Jürgen Meyer (ILS Nordoberpfalz) über Silvester in Berlin: “Es macht echt wütend!”

Weiden. Die Silvesternacht in Berlin schockiert die Nation. Auch Einsatzkräfte in der Region erleben Angriffe. Nicht in dieser Intensität, nicht täglich. Aber immer öfter. Jürgen Meyer (ILS Nordoberpfalz) im Interview.

Jürgen Meyer ILS
Jürgen Meyer von der Integrierten Leitstelle will 2016 fit werden um auf den Matchu Pitchu hinauf zu wandern

Verfolgen Sie die Berichterstattung über die Angriffe auf Einsatzkräfte?

Jürgen Meyer: Natürlich. Es macht echt wütend. Es enttäuscht einen, dass auf Einsatzkräfte in dieser Form losgegangen wird. Man unterscheidet nicht mehr zwischen der Uniform: blau, weiß, grün. Hauptsache, es geht gegen Vertreter einer Organisation. Menschen, die helfen wollen, werden in den Hinterhalt geführt, bedroht und attackiert.

Woher rührt dieser Hass – ausgerechnet auf Helfer?

In unserem Team gibt es dazu verschiedene Meinungen. Zum einen liegt das an der Erziehung, nicht unbedingt an Integration. Wer Gewalt erfährt, gibt Gewalt weiter. Zum anderen stellen wir nach der Corona-Zeit fest, dass die Menschen gereizter sind. Schon der Telefonist in der Einsatzzentrale wird von Wildfremden angepöbelt.

Und vor Ort? Erleben Ihre Mitarbeiter Gewalt?

Wir hatten im letzten Jahr mehrere Einsätze, in denen sich Rettungskräfte zurückziehen mussten, bis die Polizei da war. Wir haben am Funkgerät neuerdings einen roten Knopf – nicht ohne Grund. Wenn der Mitarbeiter auf den roten Knopf drückt, kommt sofort der Notruf zu uns. Wir können dann alles mithören, was vor Ort passiert, um schnellstmöglich Hilfe zu schicken. Der Knopf wird nicht oft, aber so 10 Mal im Jahr gedrückt. Es gibt Objekte in unserem Zuständigkeitsbereich, die betreten wir nur, wenn die Polizei kommt.

Es gibt Objekte in unserem Zuständigkeitsbereich, die betreten wir nur, wenn die Polizei kommt. Jürgen Meyer, Leiter der Rettungsleitstelle Nordoberpfalz.

Migrationshintergrund spielte in Berlin ja durchaus eine Rolle, verbunden mit einer negativen Einstellung gegenüber der Staatsmacht.

Man kann Berlin nicht mit der Nordoberpfalz vergleichen. Solche Viertel gibt es bei uns nicht. Aber auch in der nördlichen Oberpfalz hat die Gewalt gegenüber Einsatzkräften zugenommen. Die Täter sind aller Couleur. Man kann nicht sagen, das ist der Deutsche, der Migrant, der Amerikaner… Da ist alles dabei. Es hat sich einfach die Gesellschaft verändert. Ein Mitarbeiter meinte, er sei halt noch beim Zivildienst gewesen, andere waren bei der Bundeswehr. Das fehlt heute.

Wäre das Pflichtjahr dann nicht eine gute Idee?

Die Kollegen meinen fast einstimmig: Ja. Das würde nicht schaden: sich einfach mal wieder unterordnen zu müssen, Verantwortung zu übernehmen, Hilfsbereitschaft zu erlernen.

Welche Rolle spielt Alkohol?

Eine massive Rolle. Bis 2018 sind wir tagtäglich einen Einsatz mit einem rotzbesoffenen Patienten gefahren hat. Das ist ein wenig zurückgegangen, liegt aber immer noch bei 300 Einsätzen im Jahr. In der Silvesternacht war es wieder massiv. 86 Einsätze innerhalb von 7 Stunden – das ist schon heftig. Und umso mehr ein Patient intoxikiert ist, umso mehr traut er sich.

Welche Strafen sind möglich?

Wie können Angriffe auf Einsatzkräfte bestraft werden? Das Gesetz wurde 2017 verschärft. Nach § 114 Strafgesetzbuch können tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und Hilfeleistende (Feuerwehr, Katastrophenschutz, Rettungsdienst, Notaufnahme) mit bis zu fünf Jahren Haft verurteilt werden. Der Strafrahmen wäre also da. Nach Einschätzung von Markus Fillinger, Amtsgerichtsdirektor in Tirschenreuth, besteht das Problem eher in der Nachweisbarkeit: Jede Tat muss einem Täter zugeordnet werden können. Grob gesagt: Wer hat den Böller abgeschossen, der den Feuerwehrmann verletzt hat?

Seit 2018 gibt es zudem die Möglichkeit für “priorisierte Verfahren” bei Angriffen gegen Einsatzkräfte. Sprich: Gerichte verurteilen die Täter zeitnah. Die Staatsanwaltschaft Weiden hat dies zuletzt 2020 für das Verfahren gegen einen Autofahrer (23) genutzt, der bei einer Kontrolle in Floß einen Polizisten mitgeschleift hatte. Das Urteil fiel nach sechs Wochen: ein Jahr Haft auf Bewährung.

* Diese Felder sind erforderlich.