Landgericht gibt Bewährung: Pflegedienst-Chef (64) ein freier Mann

Regensburg. Die Fußfesseln kamen sofort ab. Der Geschäftsführer (64) eines Pflegedienstes aus dem Landkreis Neustadt/WN ist am Landgericht Regensburg zwar verurteilt worden - aber auf Bewährung.

Pflegedienstleiter Johann R. Landgericht Regensburg
Der ehemalige Leiter eines Pflegedienstes, Johann R., ist nach fünf Monaten Untersuchungshaft ein freier Mann. Links Verteidiger Michael Haizmann. Foto: Christine Ascherl

Nach fünf Monaten in Untersuchungshaft verließ der 64-Jährige das Justizgebäude in der Augustenstraße als freier Mann. Die Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz von Richter Gerald Siegl verurteilte ihn wegen 51 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt. Die Kammer verhängte ein Jahr und acht Monate Haft und setzte diese zur Bewährung aus. Der Schaden zulasten dreier Krankenkassen beträgt etwa eine halbe Million Euro. Die ursprüngliche Anklage ist damit um die Hälfte der Schadenssumme eingedampft worden.

Gehaltsabrechnung rechtswidrig

Die Gefühle des Angeklagten und der anwesenden Zoll-Ermittler dürften sehr gegensätzlich ausgefallen sein. Der 64-Jährige war froh um die Freiheit, hatte aber bis zuletzt seine Unschuld beteuert und einen Freispruch gefordert. Die Zollbeamten begrüßten die Verurteilung, waren aber enttäuscht vom Strafmaß.

Richter Siegl ließ keinen Zweifel daran, dass die Gehaltsabrechnungen des Pflegedienstes gegen das Gesetz verstießen. Und zwar in einer Weise, die auch ein Laie versteht. Grob gerechnet bekamen die slowakischen “Live-Ins” (im Haushalt lebenden Pflegekräfte) 1200 Euro pro Monat ausbezahlt. Diese Summe setzte sich zur Hälfte aus Lohn und zur Hälfe aus einem steuerfreien “Verpflegungsmehraufwand” zusammen. “Welcher Mehraufwand für Verpflegung soll das sein?”, fragte Siegl. Die Osteuropäerinnen wohnten und aßen im Haushalt der Pflegebedürftigen.

Siegl erklärte kurz das Geschäftsmodell, wie es sich nach der Beweisaufnahme darstelle: Der Pflegedienst mit Sitz im Landkreis Neustadt/WN beschäftigte 2015 und 2016 gleichzeitig bis zu 180 Pflegekräfte aus Osteuropa. Zumeist wechselten sich zwei Frauen jeden Monat in einem Haushalt ab und kümmerten sich dort um Pflegefälle.

Je nach Pflegestufe wurden Arbeitszeiten entsprechend der Vorgaben des Medizinischen Dienstes (MDK) abgerechnet, also von 90 Minuten bis zu fünf Stunden täglich. Diese Zeit wurde mit Mindestlohn bezahlt (zuletzt 9,75 Euro die Stunde). Was dann noch zum versprochenen Nettolohn von 1100 bis 1400 Euro fehlte, wurde mit einem “Verpflegungsmehraufwand” aufgefüllt. Für das Gericht eine glasklare “Nettolohnabrede”.

Waffen sind inzwischen abgegeben

Das Gericht sah “bedingten Vorsatz”: “Er hat erkannt, dass das rechtlich problematisch ist. Es war ihm egal”, sagte Siegl in der Urteilsbegründung. In die Strafe wurde ein Urteil des Amtsgerichts Weiden vom Februar einbezogen: sieben Monate Haft wegen Nötigung ohne Bewährung. Die Berufung hat der 64-Jährige auf Anraten seiner Anwälte zurückgezogen.

Das Landgericht Regensburg entschied sich für Bewährung: Der 64-Jährige habe spürbare Folgen erlitten (Untersuchungshaft, Firmeninsolvenz). Seine Waffen sind inzwischen abgegeben, der Wohnsitz ist nicht länger in Swansea (Wales) gemeldet. Ohnehin blieb dem Gericht allzu großes Reichsbürger-Gehabe wie in Weiden erspart: “Er hat nicht auf seinen Überzeugungen zum System insistiert”, so der Vorsitzende Richter.

Das “letzte Wort” fiel üppig aus

Das “letzte Wort” des 64-Jährigen fiel – wie erwartet – etwas länger aus. “Ich bin froh, nach fast zehn Jahren endlich einmal gehört zu werden.” Er redete eine Stunde lang. 2005 habe er bemerkt, welch große Nachfrage nach Pflege in den eigenen vier Wänden bestand. Zuvor habe er jahrelang ein Seniorenheim geleitet, später einen eigenen ambulanten Pflegedienst gegründet. “Ich habe mich in das Thema richtig reingekniet.” Und sehr schnell habe er auch mitbekommen, dass Berufskollegen mit 24-Stunden-Pflege ziemlich Ärger bekamen, etwa ein Unternehmen in München, das über illegale Scheinselbständigkeit stolperte.

Er habe sich deshalb beim Berufsverband schlau gemacht. Die Beschäftigten kamen zunächst mit Entsende-Bescheinigungen aus Osteuropa. Der Kundenstamm wuchs rasant. Der Zoll war zufrieden. Dann habe sich die Rechtslage geändert. Die Pflegekassenverbände bestanden nun auf sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Also habe er die Leute angestellt, zu Spitzenzeiten bis zu 180 Frauen. Für die Ausarbeitung der Arbeitsverträge konsultierte er einen Anwalt, um keinen Fehler zu machen.

Mit Beginn der Ermittlungen seien “Dreck und Schmutz über uns gekippt” worden: “Uns wurde hier alles Mögliche unterstellt.” Niemals habe er Mitarbeiter um “irgendeinen Cent” betrogen oder das Lohngefälle ausgenutzt. “Das ist einfach nur Verleumdung.” Niemandem sei ein Schaden entstanden. “Wir haben der Gesellschaft etwas getan. Ansonsten werden die Leute eben entwurzelt und ins Pflegeheim gebracht.”

Da ist irgendeine Macht am Wirken. Das Licht ist es nicht. Dann muss es der Schatten sein. Geschäftsführer des Pflegedienstes im “letzten Wort”

2014 habe er 1,2 Millionen Euro Umsatzsteuer nachzahlen müssen, dabei schon einmal seine Altersvorsorge verloren. Durch einen Fehler des Notars waren die Immobilien nicht auf seine Frau umgeschrieben worden. “Dann waren die Immobilien futsch.” Die Hälfte sei 2016 gepfändet und deshalb verkauft worden. Mit dem jetzigen Urteil ordnete das Gericht die Einziehung von 512.000 Euro an. “Da ist irgendeine Macht am Wirken. Das Licht ist es nicht. Dann muss es der Schatten sein.”

Anwalt Haizmann über Pflege: “Der Staat versagt total”

Beide Verteidiger forderten Freispruch. Anwalt Georg Karl meinte scherzhaft, in diesem Wirtschaftsstrafverfahren “beinahe selbst paranoid” zu werden: “Alle zwei Wochen rufe ich meinen Steuerberater an, ob wirklich alles passt mit der Abrechnung meiner Mitarbeiter.” Jeder Fehler könne zu einer strafrechtlichen Haftung führen.

Der Pflegedienstleiter habe genau dies vermeiden wollen: Er habe alles richtig machen wollen, ließ sich anwaltlich beraten. Sein Mandant habe eine redliche Lösung für Live-in-Pflege gesucht: “Wir brauchen Pflege, die in dieser Form eigentlich zu teuer ist. Seine Frage war: Wie können wir das unter Nutzung des gesetzlichen Rahmens anbieten?”

Die Pflege von Alten und Bedürftigen sei eigentlich staatliche Aufgabe, wies Anwalt Michael Haizmann hin. “Der Staat versagt total.” Privatunternehmen müssten diese Aufgabe übernehmen und dabei gewährleisten, dass diese Pflege bezahlbar bleibt. Der 64-Jährige habe sich nicht bereichert. “Das Modell wurde nicht entworfen, um groß Kohle zu machen.”

Staatsanwältin fordert zwei Jahre und zehn Monate

Staatsanwältin Sabine Dümmel hatte am Morgen auf eine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten ohne Bewährung plädiert. Sie hatte keinen Zweifel am Vorsatz: “Aus meiner Sicht ist er ein Mensch, der die rechtlichen Voraussetzungen sehr genau kennt.”

Nach dem Verfahren ist vor dem Verfahren. Aktuell ermittelt der Zoll wieder, im Januar gab es eine große Durchsuchung bei den Firmen des jetzt Verurteilten. Der Vorwurf ist derselbe: Vorenthalten von Arbeitsentgelt. Der Pflegedienst lief nach 2016 weiter.

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