Revolutionäre Gehirn-OP-Methode: Hoffnung bei extremen Schmerzen

Amberg/Weiden. Man nennt das Syndrom nicht von ungefähr Suizid-Krankheit. Unerträgliche Schmerzen, die durch Druck oder Zug am Trigeminusnerv im Hirnstamm ausgelöst werden. Privatdozent Dr. Hischam Bassiouni, Chefarzt der Neurochirurgie der Kliniken Amberg und Weiden, konnte bereits 19 Patienten ein schmerzfreies Leben schenken. Zwei davon schildern ihren Leidensweg.

Dr. Hischam Bassiouni, Chefarzt der Neurochirurgie, im Gespräch mit Patienten. Bild: Jürgen Herda

Medizinisch korrekt heißt das Krankheitsbild Trigeminusneuralgie (TN). „Meistens leiden die Patienten an starken Schmerzen im Gesicht, die vom Trigeminusnerv ausgehen“, sagt Hischam Bassiouni, der als Chefarzt der Neurochirurgie sowohl für das Klinikum St. Marien in Amberg als auch für die Kliniken Nordoberpfalz AG operiert. „Ein, zwei oder alle drei Nervenäste können betroffen sein.“

Neu am Ansatz des Klinikleiters der Neurochirurgie: „Ich operiere auch in Fällen, wo man bisher meinte, chirurgisch nichts bewirken zu können.“ Offenbar mit großem Erfolg. „Für mich war es eine neue Erkenntnis, dass man auch dann operativ helfen kann, wenn keine vaskuläre Ursache vorliegt – also auch wenn keine Gefäßschlinge den Nerv beeinträchtigt“, erklärt Bassiouni. „Bei der bereits erprobten OP-Methode wird zwischen Gefäß und Nerv Fremdmaterial eingelegt.“

Schmerzhafte Reizung durch die Spinngewebshaut

Doch es gibt auch andere Ursachen: „Die Hirnhäute – Dura mater, Arachnoidea und Pia mater – sind drei dicht aneinander liegende, schützende Hüllen um unser Gehirn“, sagt der Neurochirurg. „Dazwischen befinden sich Hirn-Rückenmarksflüssigkeit und Blutgefäße.“ Nicht nur der Druck durch ein Gefäß auf den Nerv könne Auslöser sein. „Man muss sich das als dynamisches System vorstellen“, erklärt der Arzt. „Die Arachnoidea, die Spinngewebshaut, kann den Nerv reizen.“

Einen typischen Leidensweg für Trigeminusneuralgiker hat Helga Mauritz hinter sich. Bei der 67-jährigen Geschäftsfrau verkomplizierte zusätzlich eine MS-Erkrankung die Diagnose. „Bei Multipler Sklerose können Plaques im Hirnstamm den Nerv beeinträchtigen“, sagt Bassiouni, „die dadurch verursachten Entzündungsherde kann man nicht operativ behandeln.“ Ein Grund, warum Ärzte einer OP wenig Erfolgschancen beimaßen. „Wir haben den Fall der Patientin in unseren Konferenzen hin und her diskutiert. Aufgrund des extremen Leidensdrucks der Patientin habe ich letztlich dann eine Operation angeboten, um eine in der MRT nicht sichtbare Reizung des Nerven auszuschließen.“

Wie ein Starkstromschlag

Die Hahnbacherin, die aufgrund einer Beinamputation im Rollstuhl sitzt, machte einen neun Jahre währenden extremen Leidensweg durch, der sich nach heutigem Wissensstand wohl hätte abkürzen lassen können: „Ich war zum Schluss mit Opiaten vollgepumpt, konnte kaum mehr aufrecht im Rollstuhl sitzen“, beschreibt Mauritz ihre Situation. „Die höllischen Schmerzen ließen sich dadurch aber kaum noch lindern.“ Die Frau, die eine Engel-Manufaktur betreibt, fühlte sich von Gott verlassen.

„Der erste Schmerz fühlte sich an wie ein Starkstromschlag“, erinnert sie sich noch genau an den Beginn ihres Martyriums. „Das reißt einem den Kopf zur Seite.“ Doch das war erst der Anfang. „Es wurde immer schlimmer, jede Berührung, ein Luftzug, ein Wassertropfen, allein die Annäherung auf ein paar Zentimeter Abstand oder das Öffnen des Mundes waren kaum auszuhalten.“ Zum Schluss sei der stechende Schmerz ständiger Begleiter gewesen.

Schlechte Ratgeber

Zum physischen Schmerz kommt das Unverständnis ratloser Ärzte, die die Ursache nicht erkennen: „Man kommt sich vor wie eine Hypochonderin“, sagt Mauritz. Von zweifelhaften Ratschlägen ganz zu schweigen: „Zu mir hat mal ein Doktor gesagt, ,lassen Sie sich den Nerv durchschneiden, dann ist das weg’,“ erzählt die gebürtige Sulzbach-Rosenbergerin.

Der Chefarzt kann da nur den Kopf schütteln: „Im schlimmsten Fall kommt es nach dem Durchschneiden zu einem kompletten Taubheitsgefühl“, sagt Bassiouni, „die Schmerzen sind dadurch nicht automatisch weg.“ Man könne den Nerv auch mit Kälte- und Hitzeschocks, Alkohol oder Bestrahlung behandeln: „Aber das sind ablative Behandlungsmethoden, man ruft eine Schädigung des Nervs hervor.“ Nachdem sich die Patientin in der Amberger Klinik vorgestellt hatte, habe Bassiouni mit Kollegen beratschlagt, wie man ihr helfen könne.

„Der Schmerz war weg – eine Neugeburt“

Am 10. Januar vor drei Jahren dann der OP-Termin: „Ich bin mit höllischen Schmerzen in den OP-Saal gefahren worden“, schildert Mauritz, „ich sehe Herrn Bassiouni heute noch schemenhaft durchs Fenster winken.“ Sie sei zuvor fast blind gewesen. „Als ich in der Intensivstation aufgewacht bin, machte ich die Augen auf, habe wieder gesehen und der Schmerz war weg.“ Das sei so geblieben bis heute. „Eine Neugeburt.“

Bei Johann Lehner traten die Schmerzen erstmals 2019 bei einem Thailand-Urlaub auf. „Ich ging zum Zahnarzt, der eine Zahntaschenentzündung diagnostizierte.“ Zurück in Bayern, unterzog sich der 58-Jährige einer Wurzelbehandlung. Die Schmerzen blieben. „24 Stunden jeden Tag“, sagt Lehner. „Ich habe mir sogar zwei gesunde Zähne reißen lassen, obwohl sich der Zahnarzt geweigert hatte – aber irgendwann ist man so weit, dass man alles tun würde, um das loszuwerden, und man denkt, das kommt von dieser Stelle.“

Psychosomatische Behandlung

„Von Januar bis Juni wurde ich mit Antibiotika vollgepumpt.“ Nichts habe geholfen. Eine Odyssee vom HNO-Arzt bis zur Uniklinik in Regensburg begann. „Entlassen wurde ich, wie eingeliefert“, klagt der Monteur bei Grammer. „Ich sollte mich psychologisch behandeln lassen“, war die Empfehlung, „wurde auf psychosomatische Ursachen hin behandelt, sollte mit dem Schmerz arbeiten.“ Das habe etwas geholfen. „Man nimmt ihn anders war.“ Anschließend habe man ihn auf eine fünfwöchige psychosomatische Reha geschickt. „Ich bekam Medikamente gegen Depressionen.“ Schließlich hat mich ein Neurologe zum MRT nach Amberg überwiesen.“

„Ich habe mit Herrn Lehner die Möglichkeit einer Behandlung besprochen“, sagt Bassiouni. „Für mich ein Routineeingriff“, erklärt der Chefarzt. Der Hirnstamm, von dem der Nerv entspringt, sei lebenswichtig, die Gefäße, die ihn versorgen, dürften nicht verletzt werden. „Man geht von hinter dem Ohr rein“, erklärt Bassiouni die minimalinvasive Methode, „mittlerweile dauert die OP etwa drei Stunden.“ Der etwa drei Millimeter dicke Nerv werde dabei in seinem Verlauf genau untersucht und gegebenenfalls freigelegt. Selten können Tumore die Ursachen einer Trigeminusneuralgie seien, die dann mikrochirurgisch entfernt werden.

Geringes Rückfallrisiko

Für Lehner gab es kein Zögern: „Ich konnte ja nicht mehr aus dem Haus gehen“, schildert er seine damalige Situation. Auf der „Visual Analogskala“ (VAS), eine grafische Rating-Skala zur Erfassung der subjektiven Schmerzwahrnehmung von 0 bis 10, gäben Trigeminusneuralgiker in der Regel 9 bis 10 an. „Da gehst du jedes Risiko ein“, sagt Lehner, „das nimmt man in Kauf.“ Die Operation brachte er am 19. November vor zwei Jahren hinter sich. „Am nächsten Tag war ich schmerzfrei.“

Ein Rückfallrisiko bestehe – nach der bisherigen Erfahrung von Dr. Bassiouni – vor allem für Patienten, bei denen der Nerv zuvor verödet wurde. Allen anderen habe dauerhaft geholfen werden können. „Anders als bei der herkömmlichen Methode, gibt es allerdings noch keine Langzeituntersuchungen.“

So erkennt man eine Trigeminusneuralgie:

„Eine Trigeminusneuralgie kann man durch die Beschreibung der Symptome gut diagnostizieren“, sagt Chefarzt Hischam Bassiouni. „Der Nerv verläuft im mittleren Bereich des Hirmstamms und ist verantwortlich für die Sensibilität des Gesichts.“ Durch die Irritation – durch Druck oder Zug – komme es zu einer extremen Schmerzausstrahlung, die wortwörtlich wahnsinnig machen könne: „Am häufigsten treten sie im Oberkiefer, manchmal im Unterkiefer, seltener im Stirnbereich auf.“ Auslöser können Berührungen, ein kalter Luftzeug, das Kauen, Sprechen, Rasieren oder Zähneputzen sein. „Die Patienten betreiben kaum mehr Mundpflege, können kaum mehr Essen.“ Ursachen könnten eine Gefäßschlinge, Tumore, MS oder eine entsprechende Veranlagung sein.

Die Häufigkeit der Trigeminusneuralgie (Inzidenz) liegt zwischen 4 und 13 auf 100.000 Einwohner im Jahr. Sie tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern – im Verhältnis 3:2. Die Häufigkeit steigt mit zunehmenden Alter, besonders nach dem 5. Lebensjahrzehnt, kann aber auch junge Menschen und sehr selten sogar Kinder betreffen.

Dennoch durchliefen viele Patienten eine Odyssee über Zahn-, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte oder Orthopäden. Sie litten über Jahre, würden nicht selten als eingebildete Kranke abgetan. „Bei uns stellt sich selten jemand vor, den man frühzeitig richtig diagnostiziert hat.“ Neurologen würden zwar in der Regel das Krankheitsbild erkennen. „Sie leiten zunächst eine medikamentöse Behandlung ein, die eine Zeit lang die Schmerzen gut dämpft.“ Zum Schluss hälfen aber bei vielen Patienten nicht mal mehr Opiate. „Die Dunkelziffer von Menschen, die an Trigeminusneuralgie leiden, aber nicht zur Therapie gelangen, ist groß.“

Die Chancen, im Umfeld der beiden Oberpfälzer Kliniken Hilfe zu erhalten, stünden nicht schlecht. „Ich bin Mitglied des neurologischen, standortübergreifenden Qualitätszirkels“, sagt Bassiouni, „und die Neurologen der Umgebung sind gut über das Syndrom und dessen Behandlungsmöglichkeiten informiert.“ Den Sonderfall, den Bassiouni offenbar als erster erfolgreich operiert hat – eine Trigeminusneuralgie ohne Gefäßkontakt zum Nerv – biete neue Heilungschancen. „Bei den ersten sieben Patienten habe ich noch vorsichtig gesagt, ich kann Ihnen aufgrund des extremen Leidensdrucks die OP anbieten. Inzwischen sind es aber zu viele erfolgreich behandelte Fälle, als dass es ein Zufall sein kann.“ Die Resultate seien fundiert und werden derzeit von Bassiouni zur Veröffentlichung in einem renommierten Fachblatt zusammengestellt.

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2 Kommentare

Julia H. - 16.10.2023

Mit was muss man mit einer OP rechnen? 10.000€ oder 30.000€

Tuncay - 20.06.2022

Kann dieses Verfahren auch bei Small-Fiber-Neuropathie helfen.
Da auch die Schmerzen die von Kleinnerven kommen einem zur Wahnsinn treiben können ?
Mit freundlichen Grüßen
Tuncay K