Tod im Kinderheim: Erzieherin hielt Lena für schlafend

Hof/Wunsiedel. Eine Erzieherin und der Heimleiter sind erste Zeugen im Prozess am Landgericht Hof. Sie müssen sich der schmerzlichen Frage stellen: Wie konnte Lena (10) unter ihrer Obhut zu Tode kommen?

Dr. Lutz Rittmann im Interview. Der Weidener Anwalt vertritt die Mutter des getöteten Mädchens als Nebenklagevertreter. Foto: Christine Ascherl

“Wie kann es sein, dass im Kinderheim niemand etwas mitbekommen hat?” Diese Frage stellt Nebenklagevertreter Lutz Rittmann am Donnerstag vor Prozessbeginn. Er ist als Anwalt für die Mutter von Lena (10) vor Ort im Landgericht Hof. “Ich bin hier, weil die Mutter wissen will, was geschehen ist.”

Der Anwalt aus Weiden bekommt am Donnerstag erste Antworten. In den Zeugenstand treten die Erzieherin (28), die für die Nachtschicht eingesprungen war, außerdem der Heimleiter des Kinder- und Jugendhilfezentrums.

Davor: ein harmonischer Fernsehabend

Die Erzieherin war demnach in dieser Nacht mit fünf Kindern allein im Haus. Der Rest war auf Skifreizeit, es waren Osterferien. Lena habe an diesem Tag einen Urologen-Termin gehabt, die Zehnjährige habe öfter eingenässt. Zum Abendessen sei das Mädchen wieder da gewesen und habe noch mit seiner Mutter telefoniert. Alle Kinder hätten dann abends gemeinsam mit ihr im Wohnzimmer ferngesehen.

Der Kleinste sei als erster zu Bett gebracht worden. Die beiden Mädchen nächtigten auf Matratzen im Aufenthaltsraum im Obergeschoss. Lena wollte noch einmal in den Arm genommen werden, erinnert sich die Erzieherin. Die Buben legten sich gemeinsam im Zimmer des Älteren schlafen, auch der Elfjährige. Die Erzieherin selbst schlief im Erzieherbereich. Den Abend hat die 28-Jährige als sehr harmonisch in Erinnerung. “Meine Gedanken vorm Zubettgehen waren eigentlich positiv.”

Sie sei gegen 7 Uhr von einem Klopfen geweckt worden. Vor der Tür stand der später tatverdächtige elfjährige Junge, der sich beschwerte, dass jemand in seinem Bett liege. Die Erzieherin folgte ihm und erkannte Lena auf dem Bauch liegend im Bett, untenrum unbekleidet. Sie habe an ein “nächtliches Malheur” gedacht und vermutet, das Mädchen habe sich nachts ein trockenes Bett gesucht. “Ich sagte dem Jungen, wir wollen kein großes Theater machen. Wir wollten Lena schlafen lassen.” Man könne das morgen frisch beziehen.

Erzieherin hielt das Kind für schlafend

Die 28-Jährige hegte keinerlei Verdacht. Man sei wieder nach oben gegangen. Inzwischen sei ein zweites Kind wach gewesen. Sie habe sich umgezogen und mit den beiden Jungs im Esszimmer gefrühstückt und Karten gespielt. Erst als die Kollegin am Morgen kam, platzte die Bombe.

Die 28-Jährige wollte Lena aufwecken und stellte mit Schrecken fest, dass das Kind eiskalt und steif war. Das Gesicht sei lila-blau gefärbt gewesen. Sie rüttelte das Mädchen und habe “sofort das Gefühl gehabt, dass irgendwas nicht stimmt”. Um 8.36 Uhr wählte sie den Notruf. Ein Notarzt habe noch versucht, ihr am Telefon zu assistieren. Ihr sei da schon klar gewesen, dass das Kind nicht mehr lebe. Man habe die Tür verschlossen und auf die Einsatzkräfte gewartet.

Lena liebte Tanzen und Musik

Die Erzieherin beschreibt Lena als ein sehr fröhliches, aufgewecktes Kind, das am Anfang vor Heimweh viel weinte. Das sei besser geworden. Das Mädchen habe nie Ärger oder Streit gesucht, war im Gegenteil sehr kreativ, liebte Tanz und Musik und sei für viele Dinge zu begeistern gewesen.

Nächtliche Kontrollgänge seien im Heim nicht vorgesehen. “In der Bereitschaftszeit schlafen wir.” Dienstende sei um 22 Uhr. Die Dienstzeit beginne am nächsten Tag etwa ab 7 oder 8 Uhr, je nachdem, wann Kinder aufwachen. “Wir sind für die Kinder nachts da und jederzeit erreichbar.” Nach Ansicht der 28-Jährigen würde man es mitbekommen, wenn Unruhe im Haus herrsche. Nachts habe sie nichts wach werden lassen, am Morgen habe sich “nichts anders angefühlt”.

Heimleiter im Zeugenstand

Auch der Heimleiter sagt am ersten Prozesstag aus. Er war am 4. April aus dem Urlaub ins Kinderheim gerufen worden. Der 47-Jährige berichtet vor Gericht über den Elfjährigen, der Lena mit einem LED-Band erdrosselt haben soll. Der Bub sei im Oktober 2022 aufgenommen worden, er kam aus der Jugendpsychiatrie und galt als traumatisiertes Kind. Der Heimleiter beschreibt ihn als “netten Kerl, der sich lenken ließ”.

Der 47-Jährige schildert aber auch aufbrausende Anfälle des Jungen, zu denen er als Heimleiter hinzugeholt wurde. Es habe auch Vorfälle in der Schule in Marktredwitz gegeben, die von den Lehrern gemeldet wurden. Einmal habe der Junge dabei eine Schere nicht aus der Hand legen wollen.

Auch der 26-jährige Angeklagte ist dem Heimleiter bekannt. Daniel T. war in den 2000ern in der Nachbargruppe, die er damals als Erzieher betreute.

Mehr zum Prozess:

Zum Auftakt am Donnerstag hat der angeklagte Daniel T. ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Die Anklage wirft dem 26-Jährigen Vergewaltigung und mehrere Diebstähle vor. Die Tötung des Kindes wird dem Elfjährigen angelastet.

Anwältin Martina Fuchs-Andonie (Weiden) vertritt den Vater des Mädchens. Foto: Christine Ascherl

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