Wie Rosners „beste Lebkuchen der Welt“ die letzte Bäckerei Waldsassens quer finanzieren
Waldsassen. Ein wenig erinnert die Bäckerei Rosner an das kleine gallische Dorf, das als Letztes den Besatzern Widerstand leistet. Nur dass die Besatzer keine Römer, sondern Supermärkte sind, und der listige Asterix Wolfgang Neumann heißt.
Deutschland im Jahr 2023: Das Land ist von veritablen Krisen, Versagensängsten und einer permanenten Empörungshysterie erfasst. Doch vom Zetern und Jammern wird die Lage nicht besser. Auch Bäcker-Quereinsteiger Wolfgang Neumann hat viel Grund zur Kritik: An der ausufernden Bürokratie, der Handelsmacht der Konzerne und der Bequemlichkeit der Konsumenten.
Doch im Gegensatz zu vielen Facebook-Nörglern packt der umtriebige Schwiegerchef seit zwei Jahrzehnten mit an. Jeden Tag ab 5 Uhr. „Auch wenn der Prophet im eigenen Land nichts zählt, gehören wir für die Touristen neben dem Kloster und der Dientzenhofer-Basilika doch auch zum Kulturgut Waldsassens.“
4000 Besucher im „Lebkuchen-Weihnachtsladen“
Rund 300 Busse parken jedes Jahr vor dem Neubau in der Baumeister-Emil-Engel-Straße, den das Atelier Markus Braun jüngst um einen schokoladenbraunen Anbau mit einem von Gattin Karin Neumann liebevoll ausgestatteten, perma-adventlichen Verkaufsraum erweiterte. Ein Stück Rothenburger Weihnachtsdorf in Waldsassen. Rund 4000 Besucher jährlich sehen seit 2006 in einer kleinen Doku, wie Lebkuchen gebacken werden: „Wir wollen den Menschen zeigen, wie wir Lebensmittel herstellen“, sagt Neumann.
„Wir müssen doch was machen“, erklärt der gelernte Schreiner, der bei Schwiegervater Klaus Zielinski die Kunst des puristischen Backens erlernt hat. „Ohne die Lebkuchen könnten wir unsere Mitarbeiter schon lange nicht mehr halten.“ Neumann als Ausnahme-Unternehmer: „Meine Leute bekommen auch im Sommer den gleichen Lohn, auch wenn es weniger Arbeit gibt.“ Dafür beschwert sich in der Lebkuchen-Hauptsaison keiner über Überstunden. „Deshalb haben wir auch keine Schwierigkeiten, Fachkräfte zu finden und zu binden“, erklärt er.
Womit Fürstin Gloria mal recht hat
Die Touristen aus ganz Deutschland kommen natürlich nicht zu Rosner, um die letzte Bäckerei des Klosterstädtchens an der tschechischen Grenze zu bewundern. Initialzündung war vielmehr der – in diesem Fall – gute Geschmack einer blaublütigen Prominenten: „Die besten Lebkuchen der Welt kommen nicht aus Nürnberg, wie viele glauben wollen“, stellte Fürstin Gloria von Thurn und Taxis richtig. „Die besten Lebkuchen der Welt macht meiner Meinung nach die Konditorei Rosner in dem kleinen Ort Waldsassen an der bayerisch-tschechischen Grenze.“
Ein Ritterschlag für eine kleine Manufaktur, die dem fränkischen Lebkuchen-Imperium trotzt. Und ein Lichtstreifen am Horizont im richtigen Moment. „Das Telefon stand nicht mehr still“, erinnert sich Neumann. „Jeder, der sich blaublütig fühlte, wollte sie probieren. Die Schwiegereltern waren heillos überfordert.“ Dennoch waren alle Bestellungen bis zum Heiligen Abend ausgeliefert. „Im nächsten Jahr ging der Boom weiter.“
Letzter eigenständiger Bäcker
Dabei stand der Familienbetrieb in der krisengeschüttelten Grenzregion damals fast auf der Kippe: „Wir sind der letzte eigenständige Bäcker am Ort, drei Konzerne teilen sich den Markt auf“, hält Neumann den Filialzug für abgefahren. „Es gibt uns einmal, und es wird uns kein zweites Mal mehr geben.“ Mit dem Niedergang der ehemaligen Porzellan-Stadt begann auch das Bäckersterben in Waldsassen: „Wo heute Supermärkte stehen, waren früher Porzellan-Fabriken. 1969 gab es noch neun Bäckereien, seit 2006 sind wir allein.“
Auch ein Grund für den Arbeitsplatzabbau in der Region: „Die Ketten arbeiten mit minimalem Personaleinsatz für maximalen Gewinn – bei uns ist es umgekehrt.“ Um zu überleben, blieb Rosner nur die Konzentration auf Qualität und Guerilla-Marketing: „Wir sind winzig, Sie werden uns nie in einem Supermarkt finden.“ Dafür überzeugte der umtriebige Eingeheiratete die Rosners vom Internet: „Die Schwiegereltern sind fast in Ohnmacht gefallen, als ich das 2004 vorschlug. Inzwischen verkaufen wir nur fünf Prozent in der Region, 85 Prozent im Rest Deutschlands und das Übrige international.“
Was ein Satz nicht alles auslösen kann. „Dabei war Fürstin Gloria nicht ein einziges Mal bei uns“, grinst Juniorchef Wolfgang Neumann, „sie hatte die Glasfabrik Lamberts besucht.“ Auf dem Nachhauseweg habe einer ihrer Berater erwähnt, dass es bei Rosner die besten Lebkuchen gebe. „Er hat ihr dann welche mitgebracht.“ Und wer einmal davon genascht hat …
Auch Gourmet-Kritiker Siebeck war Rosner-Fan
„1757 wurde die Bäckerei hier in der Egerer Straße 9 erstmals erwähnt“, weiß Bäckerei-Chefin Karin Neumann wie aus der Pistole geschossen. „Seit den 1930er Jahren ist sie in Familienbesitz der Rosners.“ Angefangen habe alles in der Landwirtschaft: „Da wurde für den Eigenbedarf im Holzofen Brot gebacken.“ Schon bald aber hätte die Gründergeneration ihr rösches Bauernbrot weiterverkauft.
„Mein Vater Klaus Zielinski hat dann die Konditorenkunst vor über 50 Jahren mit in die Familie eingebracht.“ Die Erfindung des weihnachtlichen Welterfolgs ist der Sparsamkeit des „Kriegskinds“ zu verdanken: „Er hatte mal wieder zu viel Eiweiß übrig, weil man als Konditor immer mehr Eigelb braucht – das hat er in einem kleinen Lebkuchenrezept verarbeitet.“
Seniorchef Klaus Zielinski steht wie zufällig daneben. Sein Rentnerdasein sieht er mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Manchmal fällt’s mir schon schwer, nicht mehr zu arbeiten“, gibt der geborene Pommer aus Pila/Schneidemühl in der Nähe von Posen zu. Der Mittachtziger hat nicht nur eine abenteuerliche Flucht hinter sich – Zielinski war überhaupt ein rechter Wandergeselle. „Wir wollten erst gar nicht weg, dann hörten wir, dass drei Tage nach der Flucht unser Haus bombardiert und völlig zerstört worden war – nochmal Glück gehabt.“
Da sein Opa bei der Bahn beschäftigt war, habe er für die Familie mit dem siebenjährigen Klaus und seiner halbjährigen Schwester Plätze in einem Viehwaggon Richtung Berlin organisiert. Dort habe man im Bunker übernachtet, dann ging es weiter nach Hannover wo ein inzwischen im Schwarzwald ansässiger Onkel als Sanitäter stationiert war. „Der hat uns dann Richtung Schwarzwald geschickt“, erzählt der Senior, „den Fliegerangriff in Freudenstadt haben wir auch noch mitbekommen, bis wir in Offenburg landeten, wo ich in einer Bäckerei gelernt habe.“
Seinen Wehrdienst absolvierte Zielinski auf dem Fliegerhorst Lechfeld bei München, anschließend trat er eine Stelle bei einer Bäckerei in Augsburg an, wo er auch die Meisterprüfung ablegte. Einem Aufenthalt in Berlin – „dort konnte man als Reservist nicht eingezogen werden“ – folgten Lehrjahre in der Schweiz: „Neugier und Abenteuerlust haben mich getrieben“, erzählt er mit leuchtenden Augen. „In Pruntrud, französisch Porrentruy, im Schweizer Jura war ich vor allem in der Patisserie, habe Feingebäck und Eis hergestellt.“
Noch ist Zielinskis Odyssee nicht zu Ende: „Zurück in Karlsruhe hatte ich einen Urlaubsflug von Frankfurt nach Portugal an die Algarve gebucht“, erzählt er. „Am Flughafen habe ich eine Frau getroffen, die auch dorthin wollte.“ Man ahnt es: Es war niemand anders als die spätere Gattin aus der Bäckerdynastie der Rosners, die zu der Zeit zusammen mit ihrer Mutter die Bäckerei geführt hat. „Erst haben wir uns immer in Bamberg getroffen, später in München, wo ich noch den Konditormeister draufgesattelt habe.“ Endlich beginnt die neue Ära der verschmolzenen Familien in Waldsassen: „1971 haben wir die Bäckerei hier neu gebaut, 1985 mit den Lebkuchen angefangen.“
Und irgendwann in den 2000ern kam dann auch noch Schwiegersohn Wolfgang Neumann dazu. „Freilich war ich am Anfang etwas skeptisch, weil er kein gelernter Bäcker war“, sagt der Doppelmeister schmunzelnd, „aber er hat vieles von mir abgeschaut und sich dabei gar nicht blöd angestellt.“ Wie sagt man so schön bei uns: „Ned gschimpft is globt gnua.“
Apropos: Ob Glorias Lob auf Zielinskis Lebkuchen eher Fluch oder Segen war? „Ganz klar Segen“, gibt es für den Seniorchef keine zwei Meinungen. Wobei der größere Impuls von Wolfram Siebeck, dem Gourmet-Kritiker des Magazins „Stern“ ausgegangen sei: „Der hat sich 30 Lebkuchen schicken lassen, und dann geurteilt – ,die aus Waldsassen sind die besten Deutschlands‘.“
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