Jahn in Liga 3: Aufstieg von Lübecks Küstensturm verweht?

Lübeck. Wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, beweist der Jahn das Gegenteil. Beim fast schon abgeschlagenen VfB Lübeck zeigt Regensburg einen spielerischen Offenbarungseid. Die Hanseaten hatten die besseren Chancen auf einen höheren Sieg.

Nach dem Spiel gegen Jahn Regensburg will er die ganze Welt umarmen: Lübecks Interimstrainer Bastian Reinhardt. Foto: jrh

Die traurigen Gesichter der Jahn-Akteure nach dem Spiel können einem leidtun. Es ist ja nicht so, als wollten die Regensburger die gigantische Chance eines sofortigen Wiederaufstiegs – und damit verbunden eine ganz andere finanzielle Ausstattung – mutwillig aufs Spiel setzen.

Elias Huth: „Es kann so nicht weitergehen“

Aber nach dem – man muss es in dieser Deutlichkeit auch mal aussprechen – armseligen Auftritt beim VfB Lübeck, der vor dem Spiel acht Punkte Rückstand auf das rettende Ufer aufwies, steht zu befürchten, dass das Stühlerücken auf Platz 3 nicht der letzte Rückschlag gewesen ist. Wenn man schon bei aufopfernd kämpfenden, aber spielerisch limitierten Hanseaten kaum Torchancen erspielen kann: Gegen wen, bitte schön, soll der SSV Jahn dann den Turnaround schaffen?

„Wir müssen definitiv etwas ändern“, sagt Elias Huth folgerichtig. Doch wie? „Wir haben zu viele Spiele nicht gewonnen“, sagt der eloquente Stürmer. „Wenn du oben bleiben willst, musst du gewinnen.“ Die Situationsbeschreibung ist ja richtig. „Es kann so nicht weitergehen.“ Genau! „Wir wollen unbedingt oben bleiben, wir tun alles dafür, auch wenn man es heute nicht gesehen hat.“ Ratlosigkeit anstelle von Rezepten.

Der VfB Lübeck feiert die 1:0-Führung durch Robin Velasco mit dem ersten Torschuss. Foto: jrh

Joe Enochs: „Es reicht nicht“

Und leider verbreitet auch Jahn-Chefcoach Joe Enochs wenig Zuversicht: „Es reicht nicht, so wie wir heute gespielt haben.“ Ja, klar, in der ersten Hälfte hat so manche steife Brise den Ball verweht: Kapitän Andi Geipl brauchte zum Amüsement des Lübecker Publikums fast zwei Minuten, bis er den Ball bei der Ecke dingfest machen konnte. „Die spielen auch mit diesen Verhältnissen“, stellt Enochs richtig, dass das keine Entschuldigung sein kann.

„Wir wussten, dass es ein Endspiel ist“, wundert sich der Trainer, dass man davon nur bei den Gastgebern etwas gemerkt hat. „Wir müssen zumindest die Null halten, wenn wir schon nicht torgefährlich sind“, ergänzt er achselzuckend. Fast schon so etwas wie ein Offenbarungseid. „Das ist nicht unser Anspruch, was wir heute gebracht haben.“ Denn wenn man sich nach einer noch halbwegs bemühten ersten Hälfte gedacht hatte: Vielleicht wird’s mit Rückenwind leichter, sah man sich nach der Pause bitter getäuscht.

Gesprächsbedarf auf der Jahn-Bank: Sportchef Achim Beierlorzer beratschlagt mit Trainer Joe Enochs. Foto: jrh

Auch mit Rückenwind kaum ein laues Lüftchen

„Gerade die zweite Halbzeit war mit Wind gar nichts“, klagt Enochs. „Wir haben zweimal aufs Tor geschossen und das war’s.“ Man hätte viel zielstrebiger, gefährlicher auftreten müssen. „Deshalb haben wir verdient verloren.“ 7:0 Eckbälle in der ersten Hälfte: alle ohne Ertrag. „Wir sind nicht so in die Räume gelaufen, das zeigen wir in der Halbzeit auf.“ Und dann? „In der zweiten Hälfte haben wir auch 4 oder 5 Stück, aber allesamt ungefährlich.“ Die Schützen brächten die Eckbälle durchaus gut rein: „Aber die Räume, die wir aufzeigen, werden nicht angelaufen.“

Und nun, Mr. Enochs? „Ich bin immer der Meinung, dass wir gemeinsam den Weg finden müssen.“ Das habe lange Zeit sehr gut geklappt, aber sechs Spiele ohne Sieg sei enttäuschend – und erst recht die Art und Weise. Mit punktuell ordentlichen Leistungen könne man keine Spiele gewinnen. „Bei Lübeck hat man gemerkt, dass es um alles ging, die haben sich in jeden Ball hineingeschmissen.“ Und beim Jahn? „Normalerweise können sich die Mannschaften von uns was abgucken, was Willen, Leistung, Widerstand betrifft. Das ist heute nicht der Fall gewesen.“ Da müsse man sich an die eigene Nase fassen und nicht die Schuld woanders suchen.

Schirine Fabienne Michel machte sich bei den Lübecker Fans nicht gerade beliebt. Für den Dreier gegen den SSV Jahn reichte es dennoch.

Nur nicht das Etikett Depp vom Club klauen

Man wüsste auch gar nicht, wo man bei der Schuldsuche anfangen sollte. Denn soweit man das beurteilen kann, ist ja auch Sportchef und Mentalitätsmonster-Macher Achim Beierlorzer ganz eng bei der Mannschaft. Vereinzelte Stimmen im Umfeld, er müsse nun übernehmen, klingen daher eher nach Aktionismus. Wer den selbstbewussten Franken kennt, kann sich kaum vorstellen, dass er nicht bereits jetzt klar und deutlich seine Meinung sagt. Deshalb packt er zwar im Training mit an, hält aber ansonsten den Ball flach: Die gute Hinrunde habe eine Erwartungshaltung erzeugt, die zu hoch sei, sagte er kürzlich zur MZ.

Hilft also alles nichts: Trainerteam und Mannschaft müssen zusammen durch diese schwierige Phase und sich irgendwie daran erinnern, was außer dem Jahn-Dusel bei der zehnfachen Siegesserie ansonsten die Zutaten für den Erfolg waren: Brutale Entschlossenheit, physische Präsenz, wenn nötig bis zur 100. Minute und Chancen, die sich durch das konsequente Pressing immer wieder ergaben. Wahre Stärke erwächst oft erst in Krisenphasen. „Zusammenwachsen“ muss deshalb mehr als nur eine Floskel sein, will man dem 1. FC Nürnberg nicht sein Label als „Depp“ streitig machen.

Wirkt nicht gerade entschlossen, das Auftreten des vormals Tabellenzweiten SSV Jahn beim abgeschlagenen VfB Lübeck. Foto: jrh

Der Jahn drückt, der VfB trifft

Das Spiel beginnt wie meist: Der SSV Jahn will zeigen, was man sich vorgenommen hat, und drückt erst einmal die Lübecker hinten rein. Marvin Thiel köpft einen Regensburger Eckball vorsichtshalber zur nächsten Ecke über die Grundlinie (7.). Regensburg erspielt sich gleich mal ein deutliches Ecken-Übergewicht – sozusagen das Pendant zum 3:0 in Sandhausen nach elf Minuten, nur diesmal lediglich im Eckenverhältnis.

Weil das aber nicht zählt, tut der erste Lübecker Torschuss so richtig weh: Der Ex-Regensburger Jan-Marc Schneider schirmt die Kugel am Sechzehner mit dem Rücken zum Kasten ab, Florian Ballas versucht vergeblich die Lücke zu schließen, Schneider reicht weiter auf Robin Velasco, der abzieht und den Ball links unten versenkt: die Neuauflage des Ingolstädter Führungstreffers vor einer Woche, das 1:0 aus dem Nichts (12.).  Zuvor hatte Bene Saller den eigentlich schon ergatterten Ball im Mittelfeld wieder abgegeben.

Viel Lärm um ein schlechtes Spiel: Jahn-Kapitän Andi Geipl will sein Foul nicht wahrhaben. Foto: jrh

Ballbesitz ohne Gedankenblitz

Auch nach dem Rückstand behält der Jahn die Ballbesitzhoheit, ohne daraus viel Produktives zu gestalten. Stattdessen versucht es Cyrill Akono aus der zweiten Reihe, zielt aber zu hoch (14.). Thiels Freistoß aus gut 20 Metern verfehlt das Lattenkreuz nur um Zentimeter (25.). Und weil VfB-Kapitän Mirko Boland Jahn-Keeper Felix Gebhardt zu weit vor seinem Kasten wähnt, versucht er es mal aus der eigenen Hälfte: Den kann der U21-Nationalkeeper mit dem Fuß stoppen (25.).

Wieder einmal eine Drangphase der Oberpfälzer: Die Kugel schussert im VfB-Strafraum hin und her, bis sich Verteidiger Louis Breunig ein Herz fasst und das Ding knapp hinter der Strafraumkante volley nimmt – der Aufsetzer springt knapp am rechten Pfosten vorbei (27.). Keeper Philipp Klewin pflückt fünf Minuten später eine Flanke vor dem am Pfosten lauernden Noah Ganaus herunter (32.).

Schiri Fabienne Michel unterm Regenschirm

Nur einmal muss Lübeck tatsächlich das Glück des Tüchtigen bemühen: Niklas Kastenhofer trifft Oscar Schönfelder am Elfmeterpunkt klar am Knie. Weil aber der Ball schon weg ist, ist der Blick von Schiedsrichterin Fabienne Michel schon zur nächsten Situation gewandert (33.) – wohl auch zum Glück der Uefa-Women-Nation’s-League-Referee, die nach dem Spiel mit Regenschirm in die Kabinen geführt werden muss. Trotz einiger strittiger Szenen, nicht gerade Gentlemen-like vom norddeutschen Publikum, das doch lieber die drei Punkte feiern sollte.

Yannik Löhden bringt sich als letzter Mann selbst in schwere Seenot, kann aber die Kugel gerade noch so vor dem lauernden Huth zu Kastenhofer spitzeln (37.). Anstelle des Ausgleichs kurz vor der Pause, beinahe das 2:0: Schneider klaut dem schläfrigen Ballas die Kugel vom Fuß, ackert allein Richtung Gebhardt, Konrad Faber kann den schwer ächzenden Stürmer noch etwas abdrängen, und der Jahn-Keeper hat schließlich keine Mühe mit dem kraftlosen Schüsschen (46.).

Es ging um viel, die Emotionen kochen über: Der VfB Lübeck stemmt sich gegen den drohenden Abstieg, dem SSV Jahn droht die Blamage im Aufstiegsrennen. Foto: jrh

Entlastungsangriffe gefährlicher als der Jahn-Sturm

Nach dem Wiederanpfiff zunächst same procedure wie in Hälfte 1: Der Jahn drängelt. Bulic hält aus 20 Metern drauf, Klewin faustet die Kugel zur Seite (46.). Doch auch diesmal ist bereits der erste Lübecker Entlastungsangriff zielstrebiger als die gesamten umständlichen Ballstafetten der Regensburger. Riese Ballas springt, von Schneider bedrängt, taucht unter dem langen Ball durch, Boland fängt ihn noch vor der Grundlinie ab – seinen Abschluss aus spitzem Winkel pariert Gebhardt mit dem Fuß (50.).

Statt sich aufs Spiel zu konzentrieren, verhaken sich die Regensburger in völlig überflüssigen Rangeleien, bei denen Schönfelder aufgeweckter wirkt als am Ball (56.). Kommt mit Valdrin Mustafa anstelle von Bulic mehr Zug in die Offensive (59.)? Von wegen: Ausgerechnet Außenverteidiger Leon Sommer mit Ballgewinn am gegnerischen Strafraum, die Kugel rauscht knapp rechts vorbei (61.). Joe Enochs sieht weiteren Handlungsbedarf: Für die blassen Elias Huth, Christian Viet und Bene Saller kommen Niclas Anspach, Jonas Bauer und Bryan Hein (69.).

Gerade noch auf einem wackligen Platz 3

Gefährlich wird’s aber erneut nur vor dem Jahn-Tor: Sommer mit Ballgewinn in der eigenen Hälfte, Steilpass auf Pingdwinde Beleme, der Joker versucht den Querpass, der aber in den Armen von Gebhardt verhungert (73.). Erneut Beleme nach langem Ball auf dem Weg zur Vorentscheidung: Gebhardt antizipiert und rettet in letzter Sekunde (80.). Beleme zum Dritten: Gebhardt schießt das Schienbein des Stürmers an, der läuft durch und schiebt ein – die Fahne ist oben, abseits (84.).

Zwei Minuten vor dem regulären Ende ein zaghaftes Lebenszeichen der Gäste: Klewin pariert einen Schuss aus zweiter Reihe (88.). Und auch in 7 Minuten reeller Nachspielzeit, 5 waren angezeigt, von denen die Lübecker 4 auf dem Hosenboden aussitzen, fällt dem Möchtegern-Aufsteiger nichts mehr ein: nada, rien de rien, vubec nic. Eine armselige Leistung, die im Endspurt um den Aufstieg eher befürchten lässt, weiter nach unten durchgereicht zu werden, als Dresden und Ulm, die sich 0:0 trennen, noch einmal von den direkten Aufstiegsplätzen zu verdrängen.

Nach der Länderspielpause empfängt der SSV Jahn am Samstag, 30. März um 14 Uhr, den Halleschen FC. Nicht vergessen: Leichte Gegner gibt es für den Jahn nicht mehr!

Da resien die Jahn Fans rund 750 Kilometer nach Lübeck und dann so ein Spiel zum Abgewöhnen. Foto: jrh

Hanseatische Stimmen der Hoffnung

VfB-Interimstrainer Bastian Reinhardt: „Wenn ich die Lizenz hätte, dürfte ich weitermachen – so gucke ich einfach, was kommt. Ich wollte den Tag heute einfach genießen, dieses eine Spiel. Wir wollten hier viel Emotionen reinbringen, viel Leidenschaft, viel Energie auf den Platz. Das ist uns gut gelungen. Ich bin sehr happy, wie die Mannschaft aufgetreten ist, das war sensationell und aufgrund der letzten Spiele nicht zu erwarten, dass uns das so gelingt. Alles, was wir uns als Trainerteam vorgenommen haben, haben die Jungs super auf den Platz gekriegt. Ich glaube, so haben wir eine Chance.

Die Bank näher an der Bande, der Schulterschluss mit den Fans habe sehr gutgetan: „Das verpufft natürlich, wenn du hier 3:0 verlierst, da brauchen wir auch nicht drüber reden, aber so ist es ein kleiner Baustein, der eben dazu führt, dass wir wieder enger zusammenrücken, als Team hier auftreten und es jedem Gegner, der hier an der Lohmühle spielt, das Leben schwer zu machen. Ich glaube, wenn man mich an der Seitenlinie rauf und runter turnen sieht, sieht man, dass es Spaß macht und dass ich das sehr genieße. Gottseidank, wir sind wieder dabei, ob es reicht, werden wir sehen.“

Siegtorschütze Robin Velasco: „Wunderschön, wieder mal ein Sieg an der Lohmühle, wieder mal ein Tor zu schießen und das gegen Jahn Regensburg, ist natürlich der Hammer. Die Fans hatten zuletzt auch keine leichten Spiele mit uns. Ganz viel Kampf, das hat uns heute geprägt, das war die Marschroute. Endlich mal wieder ein Sieg und das gegen Regensburg, es fällt so eine kleine Last ab.“

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