Mutmacher-Interview: Äbtissin Laetitia Fech über das Glück des einfachen Klosterlebens

Waldsassen. Mit nur 38 Jahren wurde sie 1995 zur Äbtissin gewählt. In ihrer fast 30-jährigen Amtszeit hat Laetitia Fech eine Generalsanierung des Klosters Waldsassen in die Wege geleitet, es wirtschaftlich auf solide Beine gestellt, die Schwesternschaft verjüngt und die Schule neu belebt.

Äbtissin Laetitia Fech und Impressionen aus dem Kloster Waldsassen. Collage/Archivbilder: Jürgen Herda/Kloster

Frau Äbtissin, zu Ihren Neuerungen zählen neben den Veranstaltungen auch das Gästehaus St. Joseph, neue Arbeitsplätze sind entstanden. Das Kloster war wirtschaftlich fast am Ende, als Sie angefangen haben – wie steht es denn heute da?

Äbtissin Laetitia Fech: Wir stehen gut da. Die Pandemie war für uns sehr, sehr schwierig. Da haben wir schon noch Schlagseiten, das ist ja logisch. Aber vor Corona haben wir das erste Jahr wirklich gedacht, jetzt geht es endlich positiv aufwärts und wir funktionieren betriebswirtschaftlich wieder selbstständig. Das war schon ein Kraftakt für so eine kleine Gemeinschaft, eine Generalsanierung durchzuziehen, einen neuen Betrieb zu gründen, den wirtschaftlich zu führen – anzufangen ist das Eine, aber den Weg dann weiter zu gehen und auch nicht wegen Rückschlägen wie Corona aufzugeben, das Andere. Wir müssen uns einfach den Problemen der Zeit stellen. Das ist ganz wichtig, damit tragen, wir uns auch gegenseitig.

Sie haben die erste große Restaurierung des Klosters seit Jahrhunderten angestoßen.

Äbtissin Laetitia Fech: Wir haben die erste Generalsanierung seit der Barockzeit 1995/96 in die Wege geleitet und über 50 Millionen Euro investiert, wobei wir immer etwa 10 Prozent der Kosten pro Bauabschnitt, ungefähr 800.000 Euro, selbst aufbringen mussten. Das ist doch sehr viel für eine kleine Gemeinschaft, die zu Beginn meiner Amtszeit überhaupt keine Einnahmen hatte.

Sie haben mir geschildert, dass Sie völlig überraschend in dieses Amt der Äbtissin gewählt worden sind. Sie waren Hauswirtschaftsmeisterin, Meisterin der Paramentenstickerei – wie haben Sie es geschafft, sich derartige wirtschaftliche Kompetenzen anzueignen?

Äbtissin Laetitia Fech: Also, ich glaube, ich habe ein Stück gesunden Menschenverstand mitbekommen – gepaart mit einer Intuition, sehr gut Situationen einschätzen zu können, weil ich sehr schnell weiß, wen ich vor mir habe. Und ich glaube, der Herrgott hat mir eine besonders gute Gabe mitgegeben – das Netzwerken. Ich glaube, ich kann wirklich sagen, ich habe alles versucht und getan, was menschenmöglich ist, aber ohne dieses Riesennetzwerk an Menschen, ohne diese Kompetenz von Menschen, ob bei rechtlicher Beratung oder Projektsteuerung, wäre das nicht möglich gewesen.

Das kann kein Mensch allein. Ich bin der Kopf, ich stehe oben, aber du brauchst immer wieder ganz viele Menschen, die dir helfen und beistehen. Und ich habe immer mit gutem Gewissen gesagt: Ja, wisst’s was? Ich sitze jetzt hier, das kann ich nicht, bitte, ihr seid die Kompetenz, beratet mich jetzt – und dann kann ich vielleicht am Schluss gut entscheiden. Und das hat immer jeder respektiert, dass ich ehrlich gesagt habe, was ich kann, und was ich nicht kann.

Ein Ergebnis Ihres Einsatzes war unter anderem, die Schwesternschaft deutlich zu verjüngen, von einem ursprünglichen Altersdurchschnitt von ungefähr 70 auf 47 Jahre …

Äbtissin Laetitia Fech: … auf 49 jetzt.

Sie haben auch die Schülerzahlen erhöht …

Äbtissin Laetitia Fech: Also, wir hatten in der Bauzeit mit über 500 die meisten Schülerinnen gehabt. Da ist natürlich jetzt der Geburtenrückgang im Landkreis auch bei uns aufgeschlagen. Die Klassen sind kleiner geworden. Aber es hält sich mit der Realschule ziemlich die Waage und ist jetzt seit zwei Jahren wieder kontinuierlich am Steigen. Die Schule ist sehr beliebt. Wir haben als Profil bereits 1998 die Umweltbildung gesetzt – längst vor Fridays für Future, das war mir ein Herzensanliegen.

Die prächtige Kloster-Bibliothek wird saniert. Dafür gibt es auch heuer wieder Geld vom Kulturfonds Bayern. Archivbild: Jürgen Herda

Wie sind Sie auf diese Profilbildung gekommen?

Äbtissin Laetitia Fech: Wir haben beim Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung in Hannover eine Studie machen lassen – wie können wir Zisterzienserinnen hier heute in ihrer Tradition, aber eben auch zukunftsweisend leben? Und daraus entstand das Kultur- und Begegnungszentrum mit den Schwerpunkten Spiritualität und Kultur. Wir sind Kulturträger, ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung und dazu kam die Umweltbildung. Daraus entstand die Umweltstation.

War das von Anfang an Konsens?

Äbtissin Laetitia Fech: Damals haben ganz viele hier gesagt: Wozu brauchen wir eine Umweltstation? Heute haben wir die Umweltstation und das Kultur- und Begegnungszentrum, KuBZ im Volksmund. Basilika, Bibliothek und Klostergarten muss man gesehen haben. Aber wir haben eben auch etwa 120 Veranstaltungen im Jahr durch die Umweltstation, wir wurden jetzt wieder als Umweltschule Europas ausgezeichnet. Mir ist es ganz wichtig, dass wir den Kindern etwas fürs Leben mitgeben, ein Samenkorn ins Herz legen, sowohl in der religiösen Bildung als auch im richtigen Umgang mit der Schöpfung. Dass sie sich als junge Menschen in Freiheit für das Gute entscheiden können.

Sie haben Fridays for Future angesprochen. Man schaut derzeit mit Skepsis auf die sogenannte letzte Generation. Haben Sie Verständnis für solche rebellischen Aktionen von jungen Menschen, die den Eindruck haben, dass man mit der Schöpfung nicht so richtig gut umgeht?

Äbtissin Laetitia Fech: Darum habe ich das wahrscheinlich gemacht (lacht). Also, ich habe viel Verständnis für die Sorge, aber ich habe kein Verständnis, wenn man dabei über Leichen geht. Ich denke, wir müssen versuchen in einem guten Miteinander, im Gespräch zu Lösungen kommen, in dem wir Schwerpunkte setzen. Wir sehen das auch hier in Waldsassen. Wie haben wir 1998 angefangen? Wir haben nichts gehabt. Und das ist, wie wenn man Steine ins Wasser wirft, die immer weitere Kreise nach sich ziehen – und etwas Positives bewirken.

Zum Beispiel?

Äbtissin Laetitia Fech: Wir haben über 300 Kräuterführer ausgebildet. Und die Kräuterführer bilden wieder Mentorinnen oder Mentoren aus. Ich finde, es ist immer auch wichtig, was das Ergebnis dabei ist. Also, wenn etwas Angst und zu große Nöte verbreitet, auch die Angstmacherei im Netz – davon halte ich nichts. Für mich als Christin ist es natürlich doppelt wichtig, dass wir Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen. Und in dem, was wir tun und wie wir sind, zeigen wir, unsere Mission ist auch heute lebbar.

Die bayerischen Sparkassen haben Sie 2014 mit dem Gründer-Preis in der Kategorie „Soziales Engagement“ ausgezeichnet. Geld und Glaube, wie gut passt das zusammen, Sie kennen ja dieses berühmte und oft zitierte Bibel-Zitat – Jesus vertreibt die Geldwechsler aus dem Tempel … Ich glaube, Sie haben da einen pragmatischen Ansatz?

Äbtissin Laetitia Fech: (lacht) Ich sage, das eine tun und das andere nicht lassen. Ich sammle dieses Geld ja nicht für mich persönlich. Ich habe Armut gelobt, und das lebt jede Schwester hier. Wir haben kein persönliches Vermögen. Was uns gehört, gehört uns zusammen, als Gemeinschaft und das leben wir auch sehr konsequent. Es darf zwar jetzt jede Schwester einmal im Jahr in Urlaub gehen, aber ansonsten versuchen wir auch zum Beispiel in der Fastenzeit oder auch in der Adventszeit zu verzichten und das, was wir ersparen, den Armen zu geben. Ich gebe es immer sehr gerne Institutionen oder Menschen, jetzt den Flüchtlingen, bei denen ich konkret weiß, wo ich’s hingebe.

Nicht so einfach, wenn sie gleichzeitig das Überleben des Klosters sichern müssen?

Äbtissin Laetitia Fech: Das Kloster hat nicht viel übrig, aber wir spenden regelmäßig. Es ist uns wichtig, dass wir das Geld auch teilen, und wir sind natürlich auch sehr, sehr dankbar für jede Unterstützung, die wir bekommen, um etwas, das eine Perle, ein Kulturgut ist, zu erhalten. Und wir sehen ja auch, wie sich plötzlich viele Menschen auch wieder zurückerinnern – wo sind unsere Wurzeln, was macht uns und unsere Region aus? Vor fünfzehn Jahren hat noch keiner vom Weltkulturerbe der Klosterlandschaft Waldsassen gesprochen. Vielleicht ist das auch eine Antwort auf die große Globalisierung, die uns ja in vielem so abhängig gemacht hat. Und ich glaube, da haben wir einfach auch einen Sendungsauftrag, so etwas zu bewahren, zu beschützen. Ich meine, ich muss schon beten und viel vertrauen, aber bloß mit dem Beten geht’s halt auch nicht (lacht).

Was braucht’s außer Gottes offenes Ohr?

Äbtissin Laetitia Fech: Da braucht man auch wieder Menschen, mit denen man reden kann. Wir haben erfahren, dass bei jedem Projekt ein stimmiges, überzeugendes Konzept dahinter sein muss. Die Gebäude mussten nicht nur saniert, sondern auch mit Leben gefüllt werden – das musste überzeugen. Ob hier im Kloster, im Gästehaus oder bei der Arbeit mit den Behinderten. Wir haben sie wieder mit Leben erfüllt, aber ohne Geld geht das halt auch nicht.

Abtei Waldsassen. Bild: ©Bayern/Gert Krautbauer

Wenn wir gerade beim Thema Geld sind, vor allem die Ärmeren, leiden unter der Inflation und hohen Energiepreisen – wie beeinflusst die Folgen des Krieges das Kloster?

Äbtissin Laetitia Fech: Das beeinflusst uns auch sehr, aber ich glaube, dass mir der Heilige Geist vor zehn Jahren wohl irgendwas richtig ins Ohr geflüstert hat. Weil ich damals entschieden habe, dass wir über das Konjunkturpaket 2 eine Hackschnitzel-Anlage für die gesamte Klosteranlage gebaut haben. Für mich waren zwar eher ökologische Gründe ausschlaggebend, weil ich eine stimmige Linie und ein Konzept in unser Kloster bekommen wollte. Damit wir nicht, wenn wir schon eine Umweltstation haben, nicht mit viel Öl heizen. Wir müssen dann nur in den Spitzenphasen Öl oder Gas mit zuheizen. Ja, und jetzt sind wir natürlich sehr, sehr dankbar, dass wir die Klosteranlage mit Hackschnitzel heizen können, sonst hätten wir ein viel, viel, viel größeres Problem.

Gibt es auch andere erneuerbare Energien bei Ihnen?

Äbtissin Laetitia Fech: Wir haben jetzt auch neue Solarmodule, womit wir die Warmwassereinspeisung im Gästehaus betreiben können. Das ist noch nicht ganz fertig, es ist ja im Moment ganz schwierig, die Solarzellen und die ganzen Anschlüsse zu kriegen …

… vor allem die Handwerker dazu …

Äbtissin Laetitia Fech: … ja genau, das Thema Handwerk ist ja im Moment eine Katastrophe. Die kleine Baustelle, da haben wir jetzt zwei Jahre gebraucht, fast so lange, wie fürs ganze Mühlenviertel. Aber wenn das fertig ist, müssen wir im Sommer die Heizung nicht mehr anschalten, um Gästehaus und Kloster mit Warmwasser zu versorgen. Und ein BHKW wollen wir auch noch bauen. Wir wollen uns auch weiter in den Bereichen, wo wir noch umdenken müssen, verbessern.

Sie wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Verdienstorden, dem Bundesverdienstkreuz am Bande für den Erhalt der Gebäudesubstanz ihres Klosters, Pro meritis scientiae et litterarum des Freistaats Bayern für ihre Verdienste in der Denkmalpflege, der Bayerischen Denkmalschutzmedaille, der Bayerischen Verfassungsmedaille in Silber und in Gold – sowie der Tirschenreuther Goldenen Ehrennadel, die nur ganz selten verliehen wird. Sie sind die 19. insgesamt und die zweite Frau …

Äbtissin Laetitia Fech: … die zweite! Frau Bienlein-Holl, die die Tafel in Tirschenreuth ins Leben gerufen hat, war die erste. Also durfte ich die zweite Frau sein.

Sie sind ursprünglich Münchnerin …

Äbtissin Laetitia Fech: … gebürtige Münchnerin, in Augsburg aufgewachsen.

Jetzt haben Sie die Tirschenreuther Ehrenbürgerwürde, wenn man so will, wie weit fühlen Sie sich inzwischen dahoam hier?

Äbtissin Laetitia Fech: Total! Ich bin jetzt 29 Jahre hier, also, ich fühl’ mich mit diesem Kloster, mit diesem Ort, dieser Stadt, diesem Landkreis total verbunden. Und ja, natürlich fahre ich gerne noch nach Hause, wo meine Mutter und meine Geschwister sind. Aber ich bin jetzt 45 Jahre im Kloster, von daher ist es einfach schon ein Stück weit daheim und es ist für mich eine große Auszeichnung. Ich hatte auch schon von der Stadt Waldsassen die goldene Ehrennadel bekommen. Das ist für mich natürlich schon eine Anerkennung. Es ist mir wichtig, dass die Bevölkerung auch mit integriert ist, ob jetzt in der Schule oder im Gästehaus. Wenn die Leute, die Einheimischen am Wochenende zum Essen kommen, oder wenn sich die Waldsassener einfach auch über das Mühlen-Viertel freuen, ist das für uns das größte Lob, das es gibt. Ich bin keine Oberpfälzerin und werde auch nie eine werden, ich bin ein bayerischer Schwob – aber ich fühl’ mich hier daheim.

Au weh zwick: Der Storch der Selbsterkenntnis malträtiert die Allegorie auf den Heuchler, der unter seinem Talar teure Klamotten trägt. Archivbild: Jürgen Herda

Sie strahlen eine sehr freundliche Fröhlichkeit aus, liegt das an ihrem (fröhlichen) Namen, oder umgekehrt, haben Sie Ihren Namen danach gewählt?

Äbtissin Laetitia Fech: Den Namen Laetitia, den habe ich bekommen, also bei uns durfte man den Namen noch nicht auswählen. Ich habe ihn bekommen und habe sehr viel Glück gehabt und glaube auch, dass er ein Lebensprogramm ist, aber auch ein Stück von mir ist.

Sie würden ihn heute selber aussuchen?

Äbtissin Laetitia Fech: Ja, also es ist für mich ein wunderschöner Name – und die Muttergottes, Maria, ist meine Namenpatronin.

Wie weit ist Lebensfreude etwas, die man trotz Armutsgelöbnis in einem Kloster auch leben kann?

Äbtissin Laetitia Fech: Ich würde nicht sagen trotz, sondern gerade deswegen. Weil den Menschen macht nicht das Materielle glücklich. Natürlich, wenn ich in Armut lebe, dann ist es etwas anderes. Aber ich brauche eigentlich als Mensch gar nicht viel, um froh zu sein. Ich muss in Frieden mit mir persönlich im Herzen sein, mit den Menschen um mich. Wir hier im Kloster auch noch mit unserem Glauben, mit Gott – das wäre eigentlich das beste Friedensprogramm für unsere Welt. Und die Freude, die kann man nicht machen, die kommt von innen raus.

Wann ist ein Leben glücklich?

Äbtissin Laetitia Fech: Wenn ein Mensch ein geglücktes Leben führt, eine glückliche Ehe führt oder wie wir im Kloster, das ist einfach Berufung, wo ich dem Ruf in meinem Herzen folge, was mein Lebensziel sein soll. Unser Armutsgelübde ist – also ich sage immer, die Freiheit der gebundenen Hände. Ich merke eigentlich erst, wie frei ich bin, wenn ich mich binde. Das ist ein Paradox in unserem Leben, aber das merken nur die, die’s leben. Ich kann nicht im Vorfeld schon wissen, wie die Freiheit ist, wenn ich mich nicht darauf einlasse. Und das ist das Problem unserer heutigen Zeit, diese Bindungsangst. Das ist ein gesellschaftliches Problem, das hat nichts mit dem Kloster zu tun, damit, dass wir keinen Nachwuchs haben.

Woran machen Sie das fest?

Äbtissin Laetitia Fech: Schauen Sie in die Ehen rein. Menschen heiraten und in ein, zwei Jahren gehen sie wieder auseinander. Die Menschen werden dabei nicht glücklicher, sondern sie werden glücklich, wenn sie sich an einen Partner binden oder wenn sie sich an Gott binden – und dann reifen, miteinander reifen und sich treu bleiben und was miteinander durchtragen. Das macht frei und das macht auch zufrieden und das gibt einem das Gefühl, das Leben ist gut, ja.

Äbtissin Laetitia Fech ist nicht nur eine fromme, sondern auch eine lebenstüchtige Frau, die in ihrer Freizeit gerne wandert oder Rad fährt. Bild: jrh

Bindungsangst haben Sie als einen Grund für Nachwuchssorgen formuliert. Glauben Sie nicht, dass dieses Lebensmodell einfach nicht mehr so präsent ist? Wenn man 50 Jahre oder noch weiter zurück geht, dann war klösterliches Leben noch Bestandteil dieser gesellschaftlichen Kultur. Im engeren Sinn gläubige Familien werden weniger. Glauben Sie, dass diese Lebensform in irgendeiner anderen Art und Weise weitergehen könnte – als Sinnstiftung etwa?

Äbtissin Laetitia Fech: Ich mache mir darüber lange schon viele Gedanken. Wir haben ja auch einen sogenannten Oblaten-Kreis um uns gebildet. Der innerste Kreis ist der Konvent, er wird in Zukunft sehr klein bleiben- die Schwestern, die sich mit feierlicher Profess binden. Wenn aber kein „harter Kern“ da ist, dann funktioniert es nicht, weil sonst alles auseinanderfällt. Aber ich glaube, das Lebensmodell, dass man sich für immer bindet, das wird in Zukunft oder die nächsten Jahre, eher problematisch sein. Ich persönlich wünsche es mir, dass wir uns auch auf diese Veränderung einlassen. Wir haben jetzt zum Beispiel vier Frauen im Alter von 72 bis 24 Jahren, die ihr Probejahr als Oblaten beginnen und ihrem Beruf weiter nachgehen. Aber auch an unserer Spiritualität regelmäßig teilhaben und das dann in die Welt tragen, da, wo sie leben. Und so auch eine engere Bindung zu uns und unser Kloster auf Zeit haben und diese Versprechen immer wieder erneuern.

Ein Ordensmodell der Zukunft?

Äbtissin Laetitia Fech: Ich habe da jetzt auch noch kein endgültiges Konzept. Ich glaube, so wie wir einfach allgemein in der Kirche, in der Gesellschaft, eine riesige Umbruchsituation erleben, erleben wir das im Kloster natürlich auch. Und ich glaube, es ist vieles vom Alten noch nicht vorbei und das Neue noch nicht da. Es ist auch für meine Generation vieles, wo man sagt, ja, einfach in Geduld aushalten, Hoffnung haben, nicht aufgeben und nicht nachlassen, auch an neue Konzepte zu denken, also nicht stehen bleiben.

Bei ihren vielen Aufgaben kommen Sie noch, dürfen Sie sich noch mit Ihrer ursprünglichen künstlerischen Berufung beschäftigen oder darf man als Äbtissin nicht mehr an persönliche Selbstentfaltung denken?

Äbtissin Laetitia Fech: Nein, überhaupt nicht. Jede Schwester hat Hobbys oder sie treibt Sport oder jede hat eine Nische, wo sie etwas Privates gern machen kann. Wo sie einfach Mensch sein darf. Oder auch in den Urlaub fährt. Aber sowohl für das Geigenspielen wie für die Kunst, brauchst du Zeit. Und die kann ich mir leider einfach so nicht mehr leisten. Aber ich habe durchaus Dinge, wo ich sag‘, die mach‘ ich unheimlich gern. Das ist Fahrradfahren, Bergsteigen, Schwimmen im Urlaub und einfach regelmäßig auch etwas für meine Gesundheit zu tun. Musik hören, wenn ich selber jetzt nicht mehr zum Spielen komme. Musik spielt in unserem Leben eine große Rolle, weil ich jeden Tag singe. Von daher komm‘ ich da im Musikalischen schon sehr gut zum Zug, und es gibt mir einfach auch die Lebensfreude – auch an meiner Berufung.

Wie haben Sie Weihnachten gefeiert?

Äbtissin Laetitia Fech: Weihnachten wird nur schön, wenn man sich vorbereitet und nicht schon vier Wochen vor Weihnachten im Voraus feiert. Advent kommt von advenire, das heißt, der Herr kommt an –   und erst wenn ER kommt, dann ist Weihnachten und nicht schon in der letzten Novemberwoche. Und das ist das Problem unserer Zeit, dass wir nichts mehr erwarten können und immer alles haben müssen. Und das Schöne für uns Schwestern an Weihnachten ist, dass wir da wirklich die ersten Plätzerln essen. Für uns ist die Adventszeit noch eine Fastenzeit – wir haben zwei Fastentage in der Woche. Erstens ist es gesund, und zweitens macht‘s mich frei von vielem.

Wo empfinden Sie diese Freiheit?

Äbtissin Laetitia Fech: Für mich ist es zum Beispiel schön, durch einen Weihnachtsmarkt zu laufen, wenn ich mal Gelegenheit dazu habe, und das auf mich wirken zu lassen. Deswegen muss ich aber nix haben. Das ist überhaupt etwas, das ich, als ich ins Kloster gegangen bin, für mich erlebt habe. Wenn ich dann mit meinen Geschwistern oder meiner Mutter durchs Kaufhaus gelaufen bin, habe ich mir gedacht: „Mei, bin ich froh, dass ich das alles nicht mehr brauche.“ Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht daran freue. Also, die Textilfrau sieht immer noch, wenn jemand schön gekleidet ist. Das gefällt mir, ich finde das schön, deswegen werde ich da nicht komisch. Und wenn ich fromm bin, muss ich nicht komisch werden, sondern bin ein ganz normaler Mensch mit Gefühlen.

Ist unser Konsumverhalten nicht aber auch die logische Folge einer Wirtschaftsform, die versucht, alles jederzeit zu verkaufen und verfügbar zu machen – die Versuchung für uns Menschen besteht darin, vieles haben zu wollen, weil man es haben kann?

Äbtissin Laetitia Fech: Ja, es ist menschlich, deswegen bin ich auch im Kloster – als Gemeinschaft kann ich das sicher leichter leben, als wenn ich mitten in der Welt bin. Ich denk‘ mir manchmal, die armen Fünftklässler, mit was für einem Druck die schon leben, Markenkleidung und was weiß ich. Das hat es für uns als Kinder nicht gegeben.

… vor allem das Handy …

Äbtissin Laetitia Fech: … und das Handy natürlich und die Eltern stehen hier unter Druck. Die Kinder müssen ja mit der Zeit mitgehen, sonst verlieren sie ja auch den Anschluss. Das ist wirklich schwierig, aber es gäbe schon Kleinigkeiten, wo man ansetzen könnte.

Nach dem Motto, wenn man jeden Tag Schokolade isst, schmeckt sie nicht mehr so gut – und die Freiheit besteht dann darin festzustellen, dass Verzicht dazu führt, das Besondere wieder zu schätzen?

Äbtissin Laetitia Fech: Genau, wenn man eine Fastenkur gemacht hat, dann merkt man, wie sich die Geschmacksnerven wieder bilden. Da schmeckt ein Gemüse super, da brauche ich nicht, weiß Gott ein wie viele Gänge Menü essen – das ist natürlich auch mal was Schönes zu einem bestimmten Anlass oder einem besonderen Fest. Und es ist, wie ich vorher sagte: Wir können eigentlich mit sehr wenig sehr glücklich und zufrieden sein. Aber das muss im Herzen sein, und ich muss es wollen und ich muss es auch mal ausprobiert haben. Und wenn ich auf den Geschmack gekommen bin, dann tue ich es immer wieder einmal.

Im Nonnenchor der Basilika Waldsassen befindet sich ein reich gestaltetes Chorgestühl. Archivbild: Jürgen Herda

Habt ihr eine Köchin, oder eine spezialisierte Schwester oder kocht ihr miteinander – oder gibt es eine externe Lösung?

Äbtissin Laetitia Fech: Nein, wir haben aus wirtschaftlichen Gründen eine Küche für Kloster, Gästehaus und Schule. Also ich habe früher gern gekocht und tu‘s auch im Urlaub noch sehr, sehr gerne. Wir bekommen das Essen von St. Joseph. Das ist ein sehr gutes Essen, und es ist mir auch wichtig, dass die Mitschwestern ein gutes Essen haben. Früher hat man in den italienischen Klöstern gesagt, „bona cucina, bona disciplina“ – also wo’s ein gutes Essen gibt, da sind die Schwestern zufrieden (lacht). Ja, es ist so, wenn der Mensch nix Gescheites zum Essen kriegt, dann wird er ungemütlich. Es muss ja nicht immer teuer sein …

… wobei es sehr unterschiedlich definiert wird, was gut ist …

Äbtissin Laetitia Fech: … was ist gut, natürlich?  Wir haben eine gute, gesunde, abwechslungsreiche Küche.

Ich stelle mir das nicht so einfach vor, wenn man so eng aufeinander lebt und miteinander auskommen muss – ich könnte mir vorstellen, dass auch viele, die vielleicht nach einem erfüllten Leben suchen, draußen nicht so zurechtkommen, sich vorstellen könnten, im Kloster zu leben. Ist es schwierig für Sie, darüber eine Entscheidung zu treffen?

Äbtissin Laetitia Fech: Natürlich ist es schwierig, weil wir Menschen, die zu uns kommen wollen, auf der einen Seite bräuchten. Aber ich sag immer wieder, wer im Leben, in der Welt nicht zurechtkommt, der kommt’s im Kloster zweimal nicht. Weil ich kann in der Welt fliehen, ich kann zum Shoppen gehen, ich kann mein Radl packen, ich kann zum Wandern gehen, ich kann meine Freizeit gestalten, wie ich will. Und im Kloster gibt es einen ganz klaren Rhythmus – außer im Urlaub oder, was bei allen Schwestern sehr beliebt ist, den Wüsten-Tag.

Da gehen Sie aber nicht in die Wüste?

Äbtissin Laetitia Fech: An einem Samstag im Monat gibt es den Wüsten-Tag, und da braucht keine in den Chor oder an den gemeinsamen Tisch, und es sind alle sehr zufrieden – da kann man wandern gehen und laufen gehen und Fahrradfahren. Das Gemeinschaftsleben ist gerade für die Jüngeren eine Riesenherausforderung – gerade für welche, die vom Studium kommen. Für die ist es ganz schwierig, schon so früh da zu sein. Bei uns beginnt der Tag um 6 Uhr und geht bis abends um 8 Uhr. Und wir treffen uns fünfmal zum Gebet. Es ist viel Spielraum, jede hat ihre Arbeit. Also, wir sitzen nicht den ganzen Tag aufeinander. Gott sei Dank hat wirklich jede auch viel Freiraum für sich. Ich glaube, sonst ging’s in der heutigen Zeit überhaupt nicht, weil wir einfach schon Individualisten sind. Und das braucht man auch im Kloster.

Sind Sie streng als Mutter Äbtissin zu den Schwestern – etwa wenn man sich ständig verspätet, weil es für die jungen Leute schwer ist, früh aufzustehen?

Äbtissin Laetitia Fech: Ja gut, die Jungen müssen langsam reinwachsen. Also, ich würde nicht unbedingt sagen streng, ich bin konsequent. Es ist ganz wichtig, in Konsequenz auch eine Form des Lebens anzunehmen. Das ist halt in der Schule heute schon das Problem. Ja, wie soll ein Mensch das Leben meistern, der nicht wirklich erzogen wird? Das geht nicht. Ich kann nicht einfach nur tun, wie ich will. Das geht auch im Beruf nicht. Darum gibt‘s ja so viele Probleme mit den Handwerkern. Es ist heute sehr schwierig gute, junge Azubis zu finden, weil sie immer wieder kommen und sagen, ich will nicht so lange arbeiten und ich will so viel Kohle haben, aber es gibt auch heute sehr ideal eingestellte junge Menschen, also man es nicht pauschal sagen …

… aber andere Leute haben wir nicht …

Äbtissin Laetitia Fech: Ja, natürlich, es ist so. Das ist keine gute Entwicklung, aber ich weiß jetzt auch noch nicht, wie man so ein Problem löst. Wir müssen einen Weg finden. Frau Äbtissin, vielen Dank fürs Gespräch, und ich wünsche Ihnen viel Lebensfreude weiter und dem Kloster weiter eine so positive Entwicklung.

Zur Person: Laetitia Fech

  • Geboren: 21. Mai 1957 als Agathe Fech in München
  • 1979 Eintritt in die Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, wo sie den Ordensnamen Laetitia annahm
  • 25. März 1980 Ablegen der Profess
  • 26. August 1995: Wahl zur Äbtissin der Abtei-Waldsassen
  • 3. Oktober 1995 Benediktion („Äbtissinnenweihe“) durch Bischof Manfred Müller
  • Wahlspruch: „Die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft.“ (Jesaja 40,31)

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