Am Mittwoch fällt Urteil nach Tod in Kinderheim: Prozess mit unglaublichen Details

Wunsiedel/Hof. Am Mittwoch fällt das Urteil im Prozess nach dem Tod eines Mädchens (10) im Kinderheim Wunsiedel. Angeklagt ist der Einbrecher Daniel T., der das Kind vergewaltigt haben soll. Für den Tod ist, daran gibt es keinen Zweifel mehr, ein Elfjähriger verantwortlich.

Die Jugendkammer am Landgericht Hof. Foto: Christine Ascherl



Der Fall, der vor der Jugendkammer des Landgerichts Hof verhandelt wurde, barg viele Besonderheiten. Da war zunächst die Frage, warum die zehnjährige Lena überhaupt in einem Kinderheim untergebracht werden musste. Ihre Eltern – die Mutter im Landkreis Tirschenreuth, ihr Vater im Kreis Neustadt/WN – sind “ganz normale Leute”. Ihr ausufernder Sorgerechtsstreit (zuletzt über die Wahl der weiterführenden Schule) hatte letztlich dazu geführt, dass ein vorübergehender Heimaufenthalt dem Jugendamt und dem Jugendrichter in Tirschenreuth als das geringere Übel erschien – in Absprache mit den Eltern.

Absolute Ausnahmesituation

Und so befand sich da in dieser Nacht zwischen den Tätern (11 und 25), beide aus völlig zerrütteten “Broken Homes”, eine ziemlich gewöhnliche Zehnjährige. Im Prozess wurde Lena von ihren Betreuern als kontaktfreudig und kreativ geschildert. Anfangs habe sie angesichts der Heimunterbringung viel geweint, dann aber schnell Freunde gefunden. Ihr Gutachten war schon in den letzten Zügen, ihre Heimkehr stand bevor.

Zweiter Zufall: In der Nacht, als Daniel T. einbrach, war die Betreuungssituation eine andere als üblich. Es waren die Osterferien 2023. Die Gruppen befanden sich überwiegend auf Skifreizeit. Die übrigen fünf Kinder wurden in einem Haus zusammengewürfelt.

In dieser Nacht im April waren im Haus: drei Jungs, zwei Mädchen, eine Betreuerin. Sie chillten vor dem Fernseher, die Mädels durften auf einem Matratzenlager im Gemeinschaftstraum im Obergeschoss übernachten, die großen Buben (11 und 15) – darunter der spätere Täter – gemeinsam im Zimmer des Älteren. Der Kleinste musste früher ins Bett, um 23 Uhr legte sich auch die Erzieherin hin.

Angeklagter: Als Kind durch Heime und Pflegefamilien gereicht

Auf diese Situation traf Daniel T. Der Müllwerker war in einer verzweifelten Situation. Seine Vita wurde im Prozess vom psychologischen Gutachter Dr. Thomas Wenske aufgedröselt. Sie liest sich schauderhaft. Schon als Kind sei der Angeklagte Zeuge brutaler, auch sexueller Gewalt des Vaters gegen die Mutter geworden. Die Ehe zerbrach, die Mutter wurde immer wieder in psychiatrische Kliniken eingewiesen. Der Vater brachte sich um, später auch noch der Bruder.

Daniel T. kam ins Heim, als Kleinster von damals 90 Kindern des Josefsheims in Wunsiedel. In den Folgejahren wurde er weitergereicht in Heime nach Nürnberg und ins Allgäu, lebte bei einer Pflegefamilie in Österreich, schließlich im Heim für schwer erziehbare Kinder im Landkreis Hof. Irgendwie schaffte er es am Ende doch: Nach einer Bäckerlehre lernte er seine Lebensgefährtin kenne, das Paar hat zwei Kinder. Er kaufte ein Haus im Landkreis Wunsiedel – ein Fehler. Die Schulden waren zuletzt erdrückend. Die Familie hatte nicht einmal mehr das Geld zum Heizen, der Nachbar lieh Heizöl.

Bierchen getrunken und über Sex geredet?

Daniel T. startete seine Raubzüge auf Baustellen. Als er an einem Abend im April 2022 Schrebergärten in Wunsiedel durchforstete, stand er plötzlich vor seinem alten Kinderheim. Er wusste, wo das Büro war, die Kasse fürs Handgeld, der Fernsehraum mit Elektrogeräten. Und stieg durch ein offenes Badfenster ein. Im Heim traf der 25-Jährige ausgerechnet auf den Elfjährigen, der sich in seinem eigenen Zimmer etwas zu trinken holen wollte.

Einer Kripobeamtin erzählte der Elfjährige später, er habe mit dem Einbrecher ein Bier getrunken und über Sexuelles gesprochen. Das bestätigte auch der Angeklagte: Der Junge haben wissen wollen, wie “das” geht. Fest steht, dass der Bub die zehnjährige Lena aus dem Obergeschoss ins Zimmer im Erdgeschoss holte. Es kam zur Vergewaltigung durch den Erwachsenen. Das Mädchen lag auf dem Bauch und wehrte sich.

Elfjähriger beschrieb die Tötung

Über ihren Tod gibt es unterschiedliche Versionen. Zweifelsfrei ist, dass der Elfjährige sie mit einem LED-Beleuchtungsband erdrosselte, auf ihr kniend. Auf dem kabelähnlichen Gegenstand fanden sich nur ihre und seine DNA. Sein Anwalt Michael Hasslacher schildert in einem Fernsehinterview, dass der Junge das Erdrosseln in seiner (nicht öffentlichen) Aussage den Richtern vorgemacht habe. Auch die Geräusche beschrieb der inzwischen Zwölfjährige erschreckend detailliert. Das Mädchen habe sich angehört “wie ein alter Esel”.

Aber: Der Junge sagte, der jetzt angeklagte Daniel T. habe ihn zur Tat aufgefordert und sei zu Beginn auch noch im Zimmer gewesen. Der Angeklagte wiederum beteuerte in seinem Geständnis, verlesen von seinem Anwalt Maximilian Siller, dass der Bub die treibende Kraft der sexuellen Misshandlung gewesen sei. Nach der Vergewaltigung mit der Hand habe er “fluchtartig” sofort das Heim wieder verlassen.

Überzogene Kritik an Heim und Kripo

Ist den Beschäftigten des Kinderheims etwas anzulasten? Man würde meinen: Nein. Die Betreuerin (28) hatte das Badfenster am Abend aufgemacht, weil die Scheiben nach dem Duschen mehrerer Kinder beschlagen waren. Das Kinderheim ist keine geschlossene Anstalt. Die gleiche Betreuerin hatte sich überhaupt nichts Böses gedacht, als der Elfjährige am frühen Morgen bei ihr am Zimmer klopfte. In seinem Bett liege ein Mädchen.

Die Sozialpädagogin ging mit, sah Lena halbbekleidet bäuchlings auf der Matratze liegen. Das Mädchen war gelegentliche Bettnässerin. Die Betreuerin dachte an ein “Malheur”. Sie meinte es gut, als sie die Tür wieder zuzog und erst einmal mit den Jungs frühstückte. Als sie um 8.30 Uhr erneut nach Lena schaute, hatte schon die Leichenstarre eingesetzt. Eine Situation, die man niemandem wünscht.

Kripo: Fall zügig gelöst

Ebenso überzogen erscheint die Kritik an der Kripo. Als selbstverständlich wird hingenommen, dass die Spurensicherung nach gut zwei Wochen den Angeklagten festnehmen konnte. Das LKA hatte seine DNA als Spermaspur in Erbrochenem vor dem Bett entschlüsselt. Zum Verhängnis wurde Daniel D., dass er einen gestohlenen Amazon-Firestick auf dem eigenen TV im Landkreis Wunsiedel anmeldete. Als die Kripo vor der Tür stand, entnahm man ihm eine DNA-Probe. Treffer.

Fürchterlich gescholten wurde die Kripo vom psychologischen Gutachter Dr. Lennart May. Seine Kritik: Der Elfjährige sei in über dreistündigen Vernehmungen “suggestiv-manipulativ und konfrontativ aggressiv” befragt worden. Es sei nachweislich, dass Kinder sich der Autorität von Erwachsenen beugten. Grob gesagt: Beschuldigte geständen in solchen Situationen “auch den Mord an John F. Kennedy”. Die Version, Daniel T. habe den Buben zur Tötung gedrängt, führte May auf die Arbeit einer Sozialarbeiterin zurück, die das Kind für das Jugendamt Hof in über 50 Stunden Befragung beurteilt hat.

Urteilsverkündung am Mittwoch, 12 Uhr

Den Eltern bringt auch das heutige Urteil ihre Tochter nicht zurück. Mutter und Vater des getöteten Mädchens lassen sich am Landgericht Wunsiedel von ihren Anwälten Martina Fuchs-Andonie bzw. Lutz Rittmann vertreten. In den Plädoyers schloss sich die Anwältin der Mutter der Staatsanwaltschaft an (10 Jahre). Der Vertreter des Vaters des 10-jährigen Mädchens sah von einem eigenen Antrag ab. 

Die Jugendkammer hat Termin zur Urteilsverkündung und Urteilsbegründung für Mittwoch, 12 Uhr, im Schwurgerichtssaal am Landgericht Hof bestimmt.

Das Urteil

Am Mittwoch fiel das Urteil.

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