Lena (10) starb im Kinderheim: Für Vater sind noch viele Fragen offen

Wunsiedel. In einem Monat beginnt der Prozess gegen einen 25-Jährigen, der im Kinderheim Wunsiedel ein Mädchen vergewaltigt haben soll. Lena (10) war danach getötet worden, mutmaßlich von einem anderen Heimbewohner (11). Der Vater des Kindes hofft auf Aufklärung.

Kinderheim Wunsiedel
Im April 2023 war die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung in Wunsiedel Schauplatz eines Verbrechens. Foto: Udo Fürst

Werner Z. aus dem Landkreis Neustadt/WN hat einen Katalog mit fast 40 Fragen formuliert (siehe Infokasten). Zentraler Punkt: “Wie kann es sein, dass meine Tochter Lena, welche vom Jugendamt in Obhut genommen wurde, in einem Heim ihr Leben verliert?” Besonders brisant: Der Vater hatte in den Monaten zuvor alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Kind zu sich holen zu dürfen – ob nun zurecht oder nicht. Das wird nie mehr geklärt.

Mädchen war seit November 2022 im Kinderheim

Die Fünftklässlerin war auf Basis einer richterlichen Entscheidung des Amtsgerichts Tirschenreuth seit November 2022 im Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef untergebracht. Auslöser waren über Jahre andauernde Streitigkeiten der geschiedenen Eltern über die Erziehung des Mädchens, zuletzt über die Wahl der weiterführenden Schulart. Die Mutter lebt im Landkreis Tirschenreuth, der Vater im Landkreis Neustadt/WN. 

Der Konflikt hatte das Kind derart belastet, dass es in psychiatrische Behandlung kam. Das Familiengericht Tirschenreuth übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht schließlich dem Kreisjugendamt Tirschenreuth. Die Betreuung in einer Kinder- und Jugendeinrichtung erschien den Verantwortlichen zumindest vorübergehend als beste Wahl für das Mädchen.

Der Tirschenreuther Familienrichter hatte zuletzt einen Psychiater aus Nürnberg als Sachverständigen beauftragt. Auf Basis seines Gutachtens sollte über die elterliche Sorge und damit über die Zukunft des Mädchens entschieden werden. Der Psychiater hatte bereits ausführliche Gespräche mit beiden Eltern sowie dem Kind geführt. Zum Zeitpunkt der Tat standen noch “Interaktionsbeobachtungen” in den jeweiligen Haushalten und im Kinderheim aus.

Streit um Kanaren-Kreuzfahrt

Auch unmittelbar vor der Tat stritten die Anwälte der Eltern einmal mehr vor dem Familiengericht Tirschenreuth. Auslöser: Der Vater hatte für die Osterferien eine Kreuzfahrt in die Kanaren gebucht. Der psychiatrische Sachverständige hatte im Vorfeld “keine Einwendungen” (Schreiben liegt der Redaktion vor). Zunächst stimmte auch das Jugendamt zu, unterzeichnet von einer Vertreterin der Ergänzungspflegerin: “Der Vater kann Lena am Tag vor der Reise in der Wohngruppe abholen.”

Beim Gerichtstermin am 3. April 2023 sah das anders aus. Zwei Vertreterinnen des Jugendamtes zogen die Erlaubnis zurück. Das Gericht erließ einen entsprechenden Beschluss. Der Ablehnungsbescheid traf mit dem Tag der Tötung zusammen. Ein makabrer Zufall.

Was ist in der Nacht zum 4. April 2023 passiert?

Lena übernachtete in der ersten Ferienwoche nicht in ihrer gewohnten Wohngruppe. Ein Großteil der Heimkinder befand sich auf Skiferien. Die Daheimgebliebenen waren im Haupthaus zusammengefasst.

Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Hof stieg in der Nacht der 25-jährige Daniel T. über ein offenes Badfenster in das Kinderheim ein. Der Müllwerker lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einem etwa 15 Kilometer entferntem Dorf. Er kannte die Einrichtung, weil er selbst als Jugendlicher dort gewohnt hatte. Laut Staatsanwaltschaft war er auf der Suche nach Diebesgut. Ihm werden beim Prozess auch fünf Einbrüche in Baucontainern zur Last gelegt.

Im Haupthaus soll er zunächst auf den Elfjährigen getroffen sein. Laut Landgericht Hof soll Daniel T. mit dem Elfjährigen ein Gespräch sexuellen Inhalts geführt und dabei onaniert haben. Die Zehnjährige kam dazu, an ihr soll Daniel T. sexuelle Handlungen mit den Händen ausgeführt haben, ehe er die Einrichtung wieder verließ. Angeklagt ist Vergewaltigung, also ein Eindringen in den Körper.

Elfjähriger allein verantwortlich?

Die Staatsanwaltschaft Hof geht davon aus, dass der Elfjährige das Mädchen dann allein getötet hat. Mehrere Medien berichten von Strangulieren am Hals (nicht offiziell bestätigt). Eine Beteiligung an der Tötung sei Daniel T. nicht nachzuweisen, so die Staatsanwaltschaft. “Vielmehr haben die Ermittlungen den Verdacht erhärtet, dass der Junge das Mädchen – nachdem der Angeklagte die Einrichtung verlassen hatte – getötet hat, als es zwischen diesen beiden zu einer Streitigkeit kam.” So kommt der Fall auch vor Gericht.

Die Vormundin des Buben vom Jugendamt Kulmbach erhebt Einwände. Sie hat einen Brief an das Landgericht Hof geschrieben, den die “Süddeutsche Zeitung” im Dezember öffentlich gemacht hat. Sie vermisst demnach in der Anklage gegen Daniel T. die Anstiftung zur Tötung. Der Elfjährige habe gegenüber Polizei und Sachverständigen ausgesagt, dass der Erwachsene ihm gedroht habe: Er werde in das Heim zurückkehren und ihn umbringen, wenn er das Mädchen nicht zum Schweigen bringe.

Gegen den Elfjährigen kann es keinen Strafprozess geben. Er ist strafunmündig. Der Junge ist als Zeuge geladen, seine Aussage wird aber aller Voraussicht nach unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen.

Neun Verhandlungstage bis März

Der Prozess läuft vor der Jugendkammer des Landgerichts Hof. Neun Tage sind angesetzt, von 1. Februar bis 6. März. Angeklagt sind eine ganze Reihe von Delikten: schwerer sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und schwere Körperverletzung an Lena; der sexuelle Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt am elfjährigen Buben; fünf Einbruchsdiebstähle und eine Brandstiftung (Daniel T. soll einen Baucontainer in Brand gesetzt haben).

Es sind 39 Zeugen geladen. Geladen sind der Rechtsmediziner, ein Sachverständiger der forensischen Psychiatrie sowie ein aussagepsychologischer Gutachter.

Kinderheim bittet um “angemessen Berichterstattung”

In regelmäßigen Abständen veröffentlicht Christine Allgeyer, persönliche Referentin des Direktors der KJF der Diözese Regensburg, Stellungnahmen. In der letzten Meldung vom September schreibt sie: “Der noch ausstehenden Gerichtsverhandlung misst die Katholische Jugendfürsorge für die vollständige Aufklärung der Ereignisse große Bedeutung bei.”

Eine Privatperson (nicht die Eltern) hat Strafanzeige wegen Pflichtverletzung erstattet. Die Ermittlungen dazu seien noch nicht abgeschlossen, sagt Oberstaatsanwalt Dr. Andreas Cantzler (Hof). Ein Abschluss sei für Ende des 1. Quartals 2024 vorgesehen. Die Strafanzeige richte sich gegen namentlich nicht bekannte Mitarbeiter verschiedener Einrichtungen und Behörden.

Vater sieht Fehler bei Jugendamt und Einrichtung

“Wie kann es sein, dass ein elfjähriges Kind gemeinsam mit meiner Tochter in einem Heim untergebracht ist, obwohl die Ärzte davor gewarnt haben, dass dieses Kind nicht in ein Heim gehört?

Wie kann es sein, dass bei so einem Insassen die Erzieher zwischen 22 und 6 Uhr morgens tun können was sie wollen und die Kinder nicht beaufsichtigen müssen?

Wieso gibt es für das Jugendamt die Option Papa nicht?

Wie kann ein Jugendamt mir eine Kindswohlgefährdung unterstellen, obwohl ich als Beamter meine Tochter nach dem bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan erzogen habe?

Wieso wurde meine Tochter innerhalb von 1,5 Tagen in einem Heim für schwererziehbare Kinder untergebracht, ohne dass eine Familienhilfe gestellt wurde?

Wie kann es sein, dass meine Tochter im März 2023 noch im Heim ist, obwohl der Psychologe mir bereits im Januar mitgeteilt hat, dass sie in diesem Heim fehl am Platze sei?”

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1 Kommentare

Werner Lanzrath - 09.01.2024

Das heisst die Kleine musste in einem Heim für Schwererziehbare ihre Ferien verbringen, statt mit dem Vater auf die Kanaren zu fliegen? Ernsthaft ? Kindeswohl? Was denken sich diese SachbearbeiterInnen des JA? Und jetzt ist sie tot. Moralisch klar von jenen zu verantworten, die hier gegen das Kindeswohl entschieden haben. Ich hoffe, sie träumen nachts davon.