Richter im Kinderheim-Prozess: “Nahezu unbegreifliche Verkettung tragischer Zufälle”

Hof/Wunsiedel. Die Jugendkammer am Landgericht Hof hat am Mittwoch einen 26-jährigen Franken zu 7 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Daniel T. hatte vor einem Jahr ein zehnjähriges Mädchen in einem Kinderheim in Wunsiedel vergewaltigt.

Die Jugendkammer des Landgerichts Hof mit Richter Christopher Feulner. Foto: Christine Ascherl

Richter Christopher Feulner verkündete das Urteil um kurz nach 12 Uhr. Verurteilt wurde Daniel T. wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Wohnungseinbruchsdiebstahl.

Richter Feulner nannte es eine “nahezu unbegreifliche Verkettung tragischer Zufälle”, die im April 2023 zum Tod der zehnjährigen Lena führten. Die Kammer könne nachvollziehen, dass sich den Eltern als Nebenkläger noch weitere Fragen aufdrängen, die mit dem heutigen Urteil nicht beantwortet werden. “Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, diese Fragen aufzuklären.”

Richter nimmt Kripo in Schutz

Feulner nahm die Polizeiarbeit in Schutz. Es sei der akribischen Arbeit der 40-köpfigen Soko Park zu verdanken, dass schon nach wenigen Wochen die Verantwortlichen der Tat ermittelt werden konnten. Der im Vorfeld in Medien entstandene Eindruck von Unzulänglichkeiten bei den Ermittlungen “sollte so nicht stehen bleiben”.

Auch die Anhörungen des Elfjährigen durch die Kripo, die im Lauf des Prozesses kritisiert worden waren, nahm der Richter in Schutz. Ohne die Vorhaltungen hätte das Kind überhaupt keine Angaben gemacht. Dies habe der Kammer auch die Einvernahme des Jungen vor Gericht gezeigt.

Angeklagter war auf Beutezug in Wunsiedel

Aus Sicht des Gerichts sei der 26-Jährige an der Tötung des Mädchens nicht beteiligt gewesen. „Beim Urteil muss der Tod der Lena, auch wenn es schwerfällt, außer Betracht bleiben.”

Der Angeklagte habe sich seit 2021 in immer größeren finanziellen Schwierigkeiten befunden, er hatte mit seiner Lebensgefährtin ein Haus gekauft, eine neue Küche, ein Auto. Als am Ende des Jahres 2022 das Einkommen der Lebensgefährtin wegbrach, begann er mit Einbrüchen. Das Diebesgut verkaufte er teils auf Ebay.

Von Kind erkannt: “Du bist doch der Müllmann”

Richter Feulner blickte auch auf die Tatnacht zurück. Der Angeklagte war auf einem Streifzug nach Beute durch Schrebergärten zum Kinderheim gekommen, das er von seinen früheren Aufenthalten kannte. Er bemerkte nach 22 Uhr das unversperrte Badfenster. Er lief durch das Haus, in der Hoffnung Stehlenswertes in den Zimmern zu finden.

Im Erdgeschoss stieß er auf die unversperrte Zimmertür des Elfjährigen, der aufgrund der Feriensituation in einem anderen Zimmer übernachtete. Der Junge kam allerdings just in diesem Moment zurück und erkannte ihn als “Du bist doch der Müllmann”. Das Gespräch sei dann schnell auf sexuelle Inhalte gekommen. Der damals 25-jährige Angeklagte befriedigte sich in Gegenwart des Buben selbst, der schließlich die zehnjährige Lena dazuholte.

Richter Feulner schilderte noch einmal alle widerwärtigen Details der Vergewaltigung des weinenden Mädchens auf dem Bett. Anders als vom elfjährigen Heimbewohner geschildert, geht das Gericht nicht davon aus, dass der Mann bei der Erdrosselung noch im Kinderheim war. In seinem Geständnis hatte der 26-Jährige betont, nach der Vergewaltigung “fluchtartig” das Kinderheim verlassen zu haben.

Elfjähriger: distanzlos, bestimmend, früh sexualisiert

Das Gericht glaubt damit ihm und nicht dem Kind. Der 26-Jährige hatte in seinem Geständnis auch erklärt, von dem Jungen zur Selbstbefriedung animiert worden zu sein. Wenn man die Persönlichkeiten der beiden Beteiligten betrachtet, sei dies nachvollziehbar, so Feulner. Da sei einerseits der erwachsene Daniel T., der in seiner Kindheit Gewalt in der Familie erlebte, in verschiedenen Heimen, bei Pflegefamilien und in Kinderpsychiatrien aufwuchs. Er erlebte den Suizid des Vaters und des Bruders.

Der Elfjährige war schon als kleines Kind von der Mutter vernachlässigt worden, lebte bereits in mehreren Fremdunterbringungen. Das resultiere bei ihm in Distanzlosigkeit gegenüber Erwachsenen. Der Junge habe bei der Polizei teils hemmungslose Fragen gestellt, trat phasenweise bestimmend auf. Auch seine frühe Sexualisierung sei belegt. Er war in seinem vorherigen Heim durch Pornokonsum aufgefallen.

Der Angeklagte verfolgte die etwa 45-minütige Urteilsbegründung ohne Regung. Er saß mit gebeugtem Kopf hinter einer Plexiglasscheibe, neben ihm Vorführbeamte der Polizei.

Die Staatsanwaltschaft hatte vergangene Woche auf 10 Jahre Haft plädiert, die Verteidigung auf sechs.

Anwalt Lutz Rittmann, der die Mutter der getöteten Lena vertritt, hätte sich vom Prozess mehr Aufklärung erwartet, wie es in einem Kinderheim überhaupt zu so einer Tat kommen konnte. Für die Eltern sei dies “bitter und unbefriedigend”. Nachfragen seiner Nebenklagekollegin Martina Fuchs-Andonie an die Mitarbeiter des Kinderheims seien von der Staatsanwaltschaft “schroff” abgewehrt worden. “Es hätte nicht weh getan, ein paar Fragen zuzulassen.” Die Mitarbeiter, darunter der Leiter, hätten durchaus mit kritischen Fragen gerechnet, sie kamen mit Anwalt zu ihren Aussagen.

Anwältin Martina Fuchs-Andonie sagte, das Urteil werde vom Vater des Mädchens wohl so hingenommen werden müssen: “Sein Kind wird nie wieder aufstehen und mit ihm spielen.” Ein Abschluss sei nach dem Prozess für ihn “nur in Teilen” möglich.

Der Anwalt des inzwischen Zwölfjährigen, Michael Hasslacher, sprach von einem “milden Urteil”. Er hält nach wie vor die Aussage seines Mandanten für glaubwürdig, von dem Erwachsenen zur Tötung des Mädchens aufgefordert worden zu sein, sonst werde er “ihn holen”. Der Zwölfjährige werde aktuell in einer Einrichtung “sehr eingehend betreut”, dürfe nach wie vor keinen Kontakt zu anderen Kindern haben. “Es geht ihm eigentlich ganz gut. Er vermisst natürlich die Spielkameraden.” Hasslacher hatte “Hoffnung”, dass sich die Unterbringungsbedingungen verbessern. Er kündigte möglicherweise Revision an: “Allein möchte keiner als Täter dastehen.”

Die Jugendkammer des Landgerichts Hof mit Richter Christopher Feulner. Foto: Christine Ascherl
Die Jugendkammer des Landgerichts Hof mit Richter Christopher Feulner. Foto: Christine Ascherl
Anwalt Lutz Rittmann, der die Mutter des getöteten Mädchens vertritt, im Interview nach der Urteilsverkündung. Foto: Christine Ascherl
Anwalt Lutz Rittmann, der die Mutter des getöteten Mädchens vertritt, im Interview nach der Urteilsverkündung. Foto: Christine Ascherl
Kurz vor Prozessbeginn im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Hof. Foto: Christine Ascherl
Kurz vor Prozessbeginn im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Hof. Foto: Christine Ascherl

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