Von wegen Milch aus der Region: Landwirte beklagen Etikettenschwindel

Ellenbach/Störnstein. Im zweiten Teil unserer „Serie mit den Bauern“ schildern die Milchbauern Werner Reinl (Ellenbach) und Hubert Meiler (Störnstein) ihre Erfahrungen mit dem regionalen Etikettenschwindel. Und verraten, was Landwirte so verdienen.

Im fernen Berlin und München werden neue Vorschriften zum vermeintlichen Tierwohl erlassen, bei Lanz, Maischberger und Co. diskutieren Buchautoren über Nitrat, Insektensterben und Klima. Aber die Praxis-Experten vor Ort kommen selten zu Wort. OberpfalzECHO hat deshalb zwei Vertreter des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) eingeladen, um über ihre Situation zu sprechen.

Werner Reinl (Ellenbach) und Hubert Meiler (Störnstein) schildern in unserer neuen „Sendung mit den Bauern“ die Lage ihrer Zunft – zerrieben zwischen ökonomischen Zwängen und den Ansprüchen der Gesellschaft an Ökologie, Verbraucherschutz und Tierwohl.

Im zweiten Teil erzählen die beiden Milcherzeuger von Begegnungen auf Feldwegen mit Radfahrern, von regionalem Etikettenschwindel und dem Risiko junger Landwirte, in eine ungewisse Zukunft zu investieren.

OberpfalzECHO: Ihr beschwert euch, dass trotz der Renaissance der Regionalität Landwirte nicht wertgeschätzt werden – dass selbst die Landbevölkerung schon die Nase beim Spaziergang rümpft, wenn der Bauer mit dem Traktor übers Feld fährt?

Reinl: Das Image der Landwirtschaft ist immer auch so eine Wahrnehmungssache. Wir sind eine ländliche Region, ich habe relativ wenig Kontakte zu städtischen Verbrauchern, wir sind nicht regelmäßig im Supermarkt. Mich kennen’s auch, dass ich mich engagiere für die Sache, da bekomme ich eigentlich schon eine Wertschätzung. In städtischen Regionen, die weit weg von einem bekannten Bauern sind, ich glaube, dass da die Meinung über die Landwirtschaft nicht sehr positiv ist – weil man da halt schon vor allem aus den Medien nur Kritik am Düngemittel- und Pestizideinsatz kennt. Und wenn da kein Bauer vor Ort mal Stellung bezieht, ist das Image nicht so gut.

Meiler: Wir sind jetzt gerade mit der „Fairen Milch“ unterwegs, und dann kommst du in die Geschäfte rein, ein riesiger Verkaufsraum und dann ist ein kleiner Bereich regional. Wenn es regional ist. Wir haben eine Gruppe regionales Marktförderungssystem im Landratsamt eingerichtet, wo die Firmen regional einkaufen sollen. Dann haben wir an Weihnachten ein schönes Couvert bekommen mit einer Karte drin, alles regional. Und dann haben sie einen Weihnachtsstern drinnen aus Holz rausgelasert, herrlich alles. Dann dreh ich ihn um, da steht hinten drauf „Made in China“.

Weil’s billiger ist?

Meiler: Na ja, wir haben so einen kleinen Faschingsstammtisch, da lassen wir alle Jahre unsere Orden bei einer Frau in Windischeschenbach droben genau so machen, mit Lasergerät. Dann habe ich sie angerufen: Bist du angefragt worden. Nein, sagt sie. Na, sag’ ich, der Landrat ist doch fast ein Nachbar. Im Landratsamt frag’ ich: Wie kommt’s ihr auf so eine Idee, muss man das in China kaufen? Na. sagt sie, wir haben im Landkreis niemanden gefunden. In der Behindertenwerkstatt in Irchenrieth haben wir angefragt und die haben das nicht machen können. Es gibt doch andere auch, sag’ ich. Aber super, dass ihr in China eine Firma findet, die das machen kann. Und das ist regional – regional schreien und reden, dann in China einkaufen.

Es wohnen halt auch immer mehr Städter am Land, weil die Mieten immer teurer werden. Und auch die Landbevölkerung arbeitet nicht mehr zwangsläufig in der Landwirtschaft …

Meiler: Die Medien greifen beim Tierwohl immer Nischenbereiche auf von Landwirten auf der Alm, die überwiegend von der Förderung leben. Das sind alles so Hobbybetriebe. Ich kann halt nicht mehr mit einem kleinen Wagen meine Gülle ausfahren. Wir werden oft als Störung empfunden, wenn ich mit meinem Fass auf dem Feldweg unterwegs bin, das ist drei Meter breit. Dann muss der Spaziergänger auf die Seite gehen und das ist schon ein Problem. Das ist nicht die Idylle, die er sehen will. Viele Radfahrer schauen uns böse an, wenn sie mal absteigen müssen.

Reinl: Ich höre immer wieder mal davon, aber selbst erlebe ich es bei uns eigentlich nicht. Die meisten Leute grüßen freundlich. Wir liegen allerdings auch etwas weiter Abseits der nächsten größeren Stadt, sodass wir keine „Naherholungs-Touristen“ haben.

Meiler: „Regional“ ist auch so ein Schlagwort. Wenn du in einen Supermarkt gehst, ist ein kleines Fach regional. Das ist bei vielen ein Marketing-Aushängeschild mit wenig Substanz. ldi rühmt sich ja, dass sie nur mehr Schweine aus Deutschland nehmen, die hier gehalten, geschlachtet und verarbeitet werden. Aber wenn man es genau liest, nur aus Frischfleisch.

Wie viele Aldi-Läden haben überhaupt Frischfleisch? Ich wusste gar nicht, dass Aldi Frischfleisch hat, ich kenne nur die Ware in den Kühltruhen.

Meiler: Das Verpackte ist kein Frischfleisch. Da kann man sich leicht hinstellen und solche Werbeslogans rausgeben, weil das liest ja keiner mehr, dass es nur um Frischfleisch geht. Alles andere wird aus anderen Ländern angeboten, so wie du sagst. Argentinisches Rindfleisch ist noch besser, weil es gereift ist, ist ja kein Wunder, weil bis es rüberkommt, ist es gereift. Es ist ein Unterschied, ob ich es vom Schlachthof nebenan kaufe oder da. Und solche Sachen sind für den Verbraucher so irreführend, dass die sagen: Was habt ihr Bauern denn, die machen doch alles für euch? Ich mache momentan die Erfahrung, weil durch Corona die Wirtshäuser zu haben, die sonst meine Eier haben. Jetzt habe ich gestern einen Gemüsehändler, der viel rumkommt in Altersheimen und größeren Wirtshäusern gebeten, kannst du nicht mal fragen, ob die was brauchen. Der bekommt zur Antwort: „Horch, ich tu mir doch das Gewürge nicht an mit einem Frischei, da kommt das Gesundheitsamt wieder und der Veterinär und überprüfen mich. Ich darf nur noch Flüssigei nehmen. Bei Frischei muss ich einen Salmonellentest und das und allen Teufel machen.“

Was machst jetzt mit deinen Eiern?

Meiler: Naja …

Reinl: (lacht) … Eierlikör …

Meiler: … viel Eierlikör und Nudeln. Und dann, sagt er, haben wir auf eines der Flüssigeier draufgeschaut, und dann steht auf einem noch China droben. Wenn ich solchen Häuser aufdrücke, dass sie das, was wir vor Ort produzieren, nicht mehr nehmen können, dann brauche ich mich nicht hinstellen und sagen, „regional, regional“. Früher hat jedes Altersheim von der Nachbarschaft Eier genommen.

Da müssten wir jetzt den Cem Özdemir einladen und fragen, wie können wir das verändern?

Reinl: Die Vorschriften werden auf Bundesebene gemacht, denke ich.

Meiler: Solche Häuser wären halt noch was, wo ich regional was machen kann. Zum Aldi brauche ich nicht gehen, weil einer diese großen Mengen nicht regional liefern kann.

Würden Importbeschränkungen nach ökologischen und Fair-Trade-Gesichtspunkten was bringen?

Reinl: Ist doch naheliegend.

Natürlich ist das naheliegend, weil wir wenig davon haben, wenn die Umwelt nur in Deutschland geschützt wird.

Reinl: Genau.

Kommen wir zu den Zahlen: Regelmäßig halbiert sich die Zahl der Bauern …

Reinl: Alle zehn Jahre halbiert sich die Zahl.

… dennoch geht’s dem Rest nicht besser. Warum eigentlich nicht – weil Masse mal Null auch Null ist oder gibt es doch einige wenige Profiteure?

Reinl: Warum will ein junger Mensch IT-Fachberater werden? Ein Faktor ist immer, dass er ein vernünftiges Einkommen erwirtschaften will, um eine Familie gründen und ein Haus bauen zu können. Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen in der Landwirtschaft wieder passen – der Beruf an sich ist toll. Vielfältig, abwechslungsreich, mit der Natur. Aber die wirtschaftliche Perspektive fehlt einfach. Und deswegen sagen viele junge Leute: Steig mir auf den Frack! Ich bin gespannt, mein Junger hat jetzt die Ausbildung abgeschlossen, will noch den Techniker machen. Dem gefällt die Arbeit am Hof, der wäre gerne Bauer. Schauen wir mal nach der Technikerausbildung, wenn er da ein gutes Angebot bekommt, ob er wirklich bereit ist, jeden Feiertag, Samstag, Sonntag – wir sind ja wirklich 365 Tage im Jahr da – ob er da wirklich einen Spaß daran hat, für das Geld das auf sich zu nehmen. Dann spielt auch die Partnerin eine Rolle.

Damit man sich’s besser vorstellen kann: Was ist denn für einen durchschnittlichen Betrieb, wie ihr einen habt, realistisch, was kann man da verdienen?

Meiler: Der Bauernverband weist aus, was die Betriebe für einen Gewinn gemacht haben. Ich kann jetzt gar nicht so genau sagen, was da der Durchschnitt ist, so unterm Strich 50.000 Euro. Die Zahlen hören sich eigentlich recht gut an. Da muss man aber auch dazusagen, der Gewinn in der Landwirtschaft ist nicht wie in einem anderen Unternehmen nach allen Abzügen, bei uns sind die Sozialabgaben und alles andere nicht abgezogen. Was überhaupt nirgends erscheint: Wie viele Arbeitskräfte arbeiten auf dem Betrieb. Wenn, wie bei mir, die Frau, der Sohn und die Schwiegertochter mitarbeiten, werden maximal 2,5 Mitarbeiter als Lohnkosten angesetzt, es arbeiten aber vier.

Reinl: Bei uns ist es ein bisschen anders, die Kinder sind kleiner, meine Mutter hilft ein bisschen, die drei Kinder helfen alle mit, das ist auch gut, die lernen da. Aber eigentlich wäre es doch fair, jeder andere, der einen Ferienjob macht, der bekommt 8 oder 12 Euro in der Stunde, bei uns ist das alles so selbstverständlich, dass die halt mit zulangen müssen. Und anders ginge es auch nicht.

Gibst ihnen kein Taschengeld?

Reinl: Ja, das schon (lacht).

Meiler: Das geht aber nicht vom Gewinn weg, und das schaut dann super aus, wenn der Betrieb 50.000 Euro Gewinn macht. Dass das aber eigentlich vier Arbeitskräfte waren, wenn ich das dann durch vier teile, sagt sich ein jeder, na ja, für das ginge ich nicht in die Arbeit.

Reinl: Was wir auch nicht haben, sind Nacht-, Sonntags-, Feiertagszuschläge. Da sind wir wieder beim Thema Wertschätzung. Jetzt über die Feiertage hat es geheißen, dass die Politiker zur Polizei und zu den Rettungskräften gehen, die über die Feiertage Dienst hatten. Alles schön und gut, aller Ehren wert. Ich habe ein E-Mail geschrieben an Bayern 1 – mit keinem Wort werden die Bauern erwähnt, die dann nicht am nächsten Tag frei haben, sondern wir gehen ja an Neujahr trotzdem in den Stall.

Und die wirtschaftliche Perspektive wird nicht besser?

Reinl: Das kann man pauschal nur schwer sagen, dazu sind die Betriebe zu unterschiedlich. Viel wird auch querfinanziert. Einer hat eine Erbschaft gemacht, beim anderen haben zwei Betriebe zusammengeheiratet und dadurch weniger Pachtausgaben. Der andere hat einen Bauplatz. Es gibt nur noch ganz wenige Betreibe, die ausschließlich aus der Landwirtschaft ihr Auskommen bestreiten. Ganz oft, wenn sie einen Stall gebaut haben, geht die junge Frau noch in die Arbeit.

Wie kann man dann am besten die wirtschaftliche Realität der Landwirte abbilden?

Reinl: Warum zäumen wir es nicht von den Kosten auf? Da gibt’s die Vollkostenstudie vom Büro für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL) im Auftrag vom BDM und dem europäischen Milchboard. Offizielle Zahlen, mit denen auch die Bundesregierung arbeitet, womit die Kosten eines durchschnittlich gut wirtschaftenden Betriebs berechnet werden. Da ist dann auch eine Entlohnung der Arbeitszeit mit drinnen. Und da sind wir im süddeutschen Raum bei Vollkosten von 52 Cent für den Liter Milch. Dass der eine Betrieb das besser verkraftet, weil er vielleicht noch eine Biogasanlage hat, die Gewinne abwirft, ist halt so. Ein anderer Unternehmer, der viel breiter aufgestellt ist, der stößt halt einen Bereich, der über längere Zeit nicht so gut läuft, einfach ab.

Meiler: Drehen wir’s mal um. Mein Junge wird 35, die Familie hat drei Kinder. Bei uns stünde eigentlich ein Stallbau an. Er müsste einen Stall, wie ich ihn schon mal geplant hatte, so wie momentan die Vorgaben sind, außerhalb für mindestens 100 Kühe bauen. 1,5 Millionen Euro müsste er investieren, dass er von der Landwirtschaft weiterhin in dem Stil, wie ich es jetzt mache, leben kann. Er muss 1,5 Millionen die nächsten 25, 30 Jahre verdienen, dass er den Stall zahlen kann. Er fängt bei Null an. Dann hat er noch keine neuen Maschinen und nichts für ihn.

Kriegt er den Kredit?

Meiler: Den Kredit kriegt er, wenn er sein gesamtes Land als Pfand gibt. Hättest du zum Arbeiten angefangen, wenn das OberpfalzECHO gesagt hätte, du, gib mir erst mal 1,5 Millionen, die nächsten Jahre bekommst du die schon wieder von mir raus?

Reinl: Kann man jetzt nicht ganz vergleichen …

Mir ist die Problematik klar. Aber wie macht ihr das dann – nimmt man nichts aus dem Betrieb raus, außer, was man unbedingt zum Leben braucht?

Meiler: Indem du mehr arbeitest.

Reinl: In den vergangenen Jahren war’s so. Wir haben ja die gleiche Inflation wie alle, das Leben wird immer teurer, der Lebensstandard ist gewachsen. Man hat jedes Jahr ein bisschen mehr gemacht, Fläche gepachtet, mehr Kühe, mehr Milch produziert, um diese Inflation auch aufzufangen und den Lebensstandard zu halten. Man hat uns jahrzehntelang erzählt, „wachsen oder weichen“. Heute stellen wir fest, dass es den Großen auch nicht besser geht. In Ostdeutschland geben reihenweise Betriebe auf. Die sind von Fremdarbeitern abhängig, das lohnt sich dann auch wieder nicht. Bei unseren kleinen Familienbetrieben arbeiten alle mit.

Nach EU-Abstimmung zum Green-Deal: Doleschal fordert unbürokratische Umsetzung 

Das europäische Parlament hatte im November über die Gesetzestexte zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) abgestimmt. Damit sei das Schwergewicht des EU-Haushalts nach turbulenten, intensiven und konfliktreichen Verhandlungen gelandet, sagt der CSU-Europaabgeordnete Christian Doleschal: „Mit dieser Abstimmung brachten wir die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach langjährigen Verhandlungen endlich über die Ziellinie. Wir haben dafür gesorgt, dass die Gemeinsame Agrarpolitik nachhaltiger, transparenter und berechenbarer ist.“

Den deutschen Abgeordneten von CDU/ CSU sei es im EU-Parlament gelungen, viele wichtige Ziele bei den GAP-Verhandlungen durchzusetzen und den Reform-Kurs in die richtige Flugbahn zu lenken. „So werden bäuerliche Klein- und Familienbetriebe künftig besonders unterstützt und gestärkt.“ Zum ersten Mal gebe es eine verpflichtende Umverteilung der Direktzahlungen zu Gunsten von kleinen Höfen, in dem die Förderung der „ersten Hektare“ aufgestockt wird. „Dieses neue Umsetzungsmodell wird zudem den bürokratischen Aufwand der Agrarpolitik für die Landwirte spürbar verringern.“ Auch Umwelt- und Klimaschutz nähmen in der neuen GAP einen zentralen Platz ein: „Ein Viertel der Direktzahlungen werden von 2023 bis 2027 ausschließlich für die neuen Ökoregelungen eingesetzt.“

Doleschal fordert: „Ich erwarte nun, dass die Mitgliedstaaten ihre Hausaufgaben machen und Strategiepläne aufstellen, die für die Landwirte machbar und umsetzbar sind.“ Auf keinen Fall dürfe es hier zu überbordender Bürokratie kommen, die möglicherweise die falschen Anreize für Landwirte setze. „Für Deutschland erhoffe ich mir einen Maßnahmenkatalog, der alle Landwirte anspricht. Wir brauchen Kooperation statt Konfrontation und fundierte Folgenabschätzungen statt immer neuer Forderungen im Rahmen des Green Deal.“

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