Bockboanig: Sind wir nicht alle ein bisschen Bünzli?

Nordoberpfalz. Wer erinnert sich nicht daran, was früher so ein echter Spießer war. Die Welt dreht sich allerdings weiter und ich finde, es ist Zeit, den Begriff zu überdenken.

Auch ich stehe unter dem Verdacht, ein latenter Spießer zu sein. Foto: Ann-Marie Zell

Der Spießer bewegte sich früher im gutbürgerlichen Milieu, war konservativ in seinen Ansichten, chargierte farblich zwischen Mausgrau und frechen Besch-Varianten und das nicht nur modisch, sondern auch geistig. Außerdem war er eng verwandt mit dem im süddeutschen Raum beheimateten Dipferlscheißer. Die Alpha-Version des Spießers war so stolz auf das, was er erreicht hat, auf sein Haus, seinen englisch gestutzten Rasen und natürlich waren auch auf seine Gartenzwerge der ultimative Ausdruck bundesdeutscher Gemütlichkeit.

Spießer

Als Spießbürger, Spießer oder Philister werden in abwertender Weise engstirnige Personen bezeichnet, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen. In der Schweiz werden Spießbürger auch als Bünzli oder als Füdlibürger (Füdli = Hinterteil) bezeichnet. (Quelle: wikipedia)

Bye bye, Spießer der ersten Generation

Wer hätte geglaubt, dass wir ihn jemals vermissen werden, den guten alten Spießer? Denn beim Blick auf seine Nachfolgerinnen und Nachfolger ist das tatsächlich der Fall. Konnte man ihn einst in seiner Schrulligkeit noch belächeln, erschreckt mich die aktuelle Version des Spießers, denn die Engstirnigkeit der Köpfe und auch der Herzen macht mir Angst. Das Handy ist dabei der ultimative Nachfolger des grauen Pullunders. Mit dessen Hilfe kann der Spießer 4.0 seine geistreichen Expertisen anonym mit der Welt teilen. Aber mir schwant, dass wir alle inzwischen mindestens Teilzeitspießer sind.

Die Götzen des Spießers

Die Feiertage sind vorbei, vergessen wir diesen Weihnachtscrasher aus Nazareth und sein nicht mehr den Anforderungen des Marktes entsprechendes Credo. Der moderne Spießer ist längst weitergezogen, um einem anderen Götzen zu huldigen. Neben Mammon, Neid und Missgunst sind heute die Experten die Hohepriester unserer Gesellschaft. Gerne dackeln wir jedem und jeder hinterher, die uns prognostizieren, was passieren wird und uns dann auch erklären, warum es genau andersherum gelaufen ist.

Das funktioniert bei Lanz, Will & Co., aber auch gebündelt als Institut, Unternehmensberatung oder als Gremien mit schickem Namen, so beispielsweise, wenn die “Wirtschaftsweisen” gandalfartig ihren Zauberstab der freien Marktwirtschaft schwingen. Da kuscht die Nation und man ist wieder an den guten alten spießigen Adenauer-Barock erinnert: “Da müssen wir uns mal – zum Bleistift – wieder auf den Hosenboden setzen.” Das nenne ich Weisheit, man erlangt sie wie die Mitglieder des “Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung” auf den Leiter der Erkenntnis in die Besoldungsstufe C 4. Eben echte Wirtschaftsweise.

The German Angst

Eines verbindet den alten und den neuen Spießer und das ist seine Angst – “The German Angst”. Die gebietet ihn in jede Hose zu machen, die man ihm hinhält. Allerdings hat man früher kein Bild der vollgespießerten Hose gepostet. Hin und wieder Bedenken bezüglich der Zukunft zu haben, ist ja im Grunde genommen völlig in Ordnung und nur menschlich, nur vergaloppieren wir uns völlig in unserer vorauseilenden Angst oder wie schon Luther sagte: “Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.”

Goethe würde kotzen

Was haben diese Leute – wir – eigentlich aus unserer Sprache gemacht. Beispiel gefällig? Heute spricht man von “Ökoterrorismus”. Aber man kann doch nicht tatsächlich eine AK-47, das Magazin keck in den hinteren Bereich einer Mercedes-Limousine entleert, mit einer Tube Patex gleichsetzen. Oder feststellen, dass es das Gleiche ist, sich in Landhut auf der Westtangente festzukleben oder die Landshut in Mogadischu in die Luft zu jagen. Doch. Kann man, der Spießer 4.0 kann das selbstverständlich und wir schauen zu.

Der Nachwuchs sitzt schon in den Startlöchern

Also lautet ein Beschluss / Dass der Mensch was lernen muss / Nicht allein das Abc / Bringt den Menschen in die Höh / Nicht allein im Schreiben, Lesen / Übt sich ein vernünftig Wesen / Nicht allein in Rechnungssachen / Soll der Mensch sich Mühe machen / Sondern auch der Weisheit Lehren / Muss man mit Vergnügen hören.Lehrer Lämpel in Max und Moritz

Ich mache den jungen Spießern keinen Vorwurf, denn genauso wollten wir sie doch.

Fazit: Verdient auch der Spießer 4.0 eine Chance?

Ich denke, dass der große Unterschied zwischen dem alten und neuen Spießer darin besteht, dass der alte irgendwie doch eine Chance bei uns hatte. Spätestens dann, als man gehört hat, dass er erst nach dem tödlichen Verkehrsunfall seines Sohnes so wurde oder dass er sich sein Häuschen mühsam und mit viel Fleiß vom Mund abgespart hat. Vielleicht hat man ihn ja auch, weil man aus Platzmangel beim Weinfest mit ihm an seinem Tisch sitzen musste, nach einigen Flaschen Schädelsprenger ganz anders erlebt. Oder eventuell war er schlicht und einfach eigentlich doch ganz nett. Vielleicht sollten wir den modernen Spießern auch diese Chance einräumen? Leicht ist das nicht – aber es könnte sich lohnen.

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