Kommentar zur AfD-Wahlkampfveranstaltung in Weiden

Weiden. Eine Reportage über die AfD-Veranstaltung am Weidener Rathaus. Der Autor, also ich, sagt: Ich schreibe, was ist. AfD-Anhänger fühlen sich „links-verhetzt“. Manchen Gegendemonstranten fehlt das Etikett „rechtsextrem“. Ich finde: Wir können so nicht weiter machen: Jeder in seinem Eck mit der Überzeugung, Recht zu haben.

Zeigt das Söder-Bashing der AfD bereits Wirkung bei orthografischen Feingeistern? Foto: Jürgen Herda

Des Menschen Vorurteil ist sein Himmelreich: @Katja Müller bezeichnet die Reportage „AfD schießt sich auf Söder und Aiwanger ein“ als „linke Hetze“. @Manuel Kraus meint zu wissen: „Wie es eben vorgegeben wird.“ Glaubt ihr das wirklich? Stellt sich jemand das tatsächlich so vor, dass Olaf Scholz, Markus Söder oder Angela Merkel aus dem Ruhestand und Bill Gates aus Medina beim OberpfalzECHO anrufen, um ihre Anweisungen zu erteilen?

Drei Vorbemerkungen

  • Eine Reportage ist die möglichst genaue Wiedergabe von Eindrücken während eines Ereignisses, damit sich Leser ein Bild auch von der Stimmung dort machen können.
  • Im Beitrag über die AfD-Wahlkampfveranstaltung am Weidener Rathausplatz inklusive Gegendemo gebe ich wieder, was ich aufgezeichnet habe – ergänzt um Angaben zur Person, um Redner und Akteure einordnen zu können.
  • Nennen Sie mir einen Satz, aus diesem Text, der nicht so gefallen ist: Wie, @Tom Ecker, sieht denn aus Ihrer Sicht eine „neutrale Berichterstattung“ aus? Zu ignorieren, wenn eine hochgradig manipulative Rednerin wiederholt ins Mikro kreischt: „Wer sind die Diebe? Es sind die Ausländer! Wer sind die Massenvergewaltiger? Es sind die Ausländer!“ Wohlgemerkt: Nicht eine bestimmte Gruppe von Männern, sondern DIE Ausländer.

Glauben AfD-Anhänger, dass die AfD Lösungen hat?

Auf der anderen Seite: Was spricht dagegen, @Ronald Wesche, das Aufeinanderprallen der zwei Sichtweisen – AfD auf der einen, Gegendemonstranten auf der anderen Seite – als „Zwei Welten stehen sich gegenüber“ zu beschreiben? Und wem ist geholfen, @Thomster Wiberino, wenn ich der Veranstaltung das Etikett „rechtsradikal“ aufklebe? Es dürfte kaum jemanden entgangen sein, dass die AfD in weiten Teilen ein Fall für den Verfassungsschutz ist, die mehrheitlich für unsere Exportnation den Dexit will. Schreckt das jemanden ab?

Ich beschreibe solche Veranstaltungen mit der Absicht zu verstehen, was Menschen umtreibt. Ohne die Naivität zu glauben, dass Wahlkampfreden wörtlich zu nehmen sind. Ich würde gerne verstehen, warum eine wachsende Zahl von Menschen ernsthaft glaubt, dass die AfD unsere Probleme besser lösen kann als die von ihr so bezeichneten Altparteien – die immerhin beim Erfolgsmodell Bundesrepublik maßgeblich beteiligt waren, im Gegensatz zu Rechtspopulisten. Oder glauben die AfD-Wähler lediglich, den etablierten Politikern so lange einen Denkzettel verpassen zu müssen, bis diese in ihrem Sinn agieren?

Manfred Schiller, Oberpfälzer Spitzenkandidat für den Bezirkstag, macht den Auftakt. Foto: Jürgen Herda

Von wegen, „wenn das der Wähler wüsste!“

In diesem Sinn habe ich die Kritik der beiden ersten Redner, Manfred Schiller und Roland Magerl, an der Energie-, Wirtschafts- oder Gesundheitspolitik wertfrei wiedergegeben – inklusive „Maskendeals“ und der steilen These von der „Plandemie“. Denn selbstverständlich darf in einer pluralistischen Gesellschaft eine Partei die Rückkehr zur Atomkraft oder das Ende von Preisdeckeln fordern. Ganz nach dem Motto der Veranstaltung, „wenn das der Wähler wüsste!“ – man muss schon alle Nachrichten ignorieren, um diese Themen nicht mitzubekommen.

Und auch die beiden anderen Redner werden korrekt zitiert. Es ist ja keine linke Verzerrung, die Rhetorik von Kathrin Ebner-Steiner zu beschreiben, die mit Suggestivfragen versucht, Zuhörer zum Mitbrüllen des Satzes zu motivieren: „Die Ausländer sind es!“ Sie hat anschließend nicht gefragt: „Und wen haben sie auf Mallorca wegen einer Gruppenvergewaltigung an der Playa del Palma festgenommen? Fünf junge Deutsche!“ Wie sagte Karl Valentin, unser bayerischer Urkomiker so schön: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ Oder im Umkehrschluss: Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall. Und immer falsch ist es, Millionen von Menschen, die Ausländer sind, als Verbrecher zu stigmatisieren. Das ist Volksverhetzung.

Kampf um die Hoheit der Stammtische: Franz Josef Strauß wollte zeit seines Lebens eine rechte Partei jenseits der CSU verhindern. Foto: Jürgen Herda

Grosz‘ Schimpfkanonaden gegen Söder und Aiwanger

Ganz zu schweigen von der österreichischen Büttenredner-Urgewalt Gerald Grosz. Dessen Wortlaute habe ich gerne und genüsslich dokumentiert. Dem Grazer Ex-FPÖ- und BZÖ-Populisten spreche ich sein kabarettistisches Talent in keinster Weise ab. Kleiner Schönheitsfehler: Der Buchautor, der die SPÖ kapern wollte, ist kein Komiker, sondern Politiker. Seine Schimpfkanonaden gegen Markus Söder und Hubert Aiwanger sind dann aber auch mehr als scharfzüngige Kaskaden auf einer Theaterbühne. Es ist die Vernichtung von handelnden Personen mit Worten.

Man muss Söder und Aiwanger nicht mögen. Man kann feministische Außenpolitik von „Bbbbbb-Baerbock“ lächerlich finden. Die völlige Entmenschlichung von Politikern, die aller Wahrscheinlichkeit nach Stärken und Schwächen besitzen, übersteigt dennoch Grenzen. Söder als geistig nackt und rhetorisch blank zu bezeichnen, beleidigt auch rund 40 Prozent der bayerischen Wähler, die sich in seiner Politik mehr oder weniger wiederfinden. Und ist es nicht die AfD, die sich empört, man würde ihre Wähler diskriminieren, wenn man schlecht über sie redet? Hier wird niemand lesen: Alles Deppen!

Stargast der AfD: Der ehemalige FPÖ- und BZÖ-Politiker Gerald Grosz. Foto: Jürgen Herda

Nur mit Gleichgesinnten reden?

Auf der anderen Seite muss man sich als Journalist immer zwischen alle Stühle setzen und auch die Gegenseite hinterfragen. Die Gegenseite, das sind nicht die 50 Gegendemonstranten, die am Freitag Flagge gegen Rassismus zeigen wollten, den zumindest Kathrin Ebner-Steiner offen zu Schau gestellt hat. Die Gegenseite, das sind Menschen unterschiedlichster Biografien, die die parlamentarische Demokratie und die pluralistische Gesellschaft als nicht perfekt wahrnehmen. Aber auch wissen: Eine bessere Form, Gesellschaft zu organisieren, haben wir noch nicht gefunden.

Reicht es angesichts der großen Zahl an AfD-Sympathisanten aber wirklich aus, „Nazis raus“ zu rufen? Und darauf zu beharren: „Mit Nazis spricht man nicht!“? Um das Argument auf die Spitze zu treiben: Ich habe einmal Gerhard Ludwig Müller, als der noch Bischof von Regensburg war, gefragt: „Müssten Sie nicht auf Ihre Kritiker zugehen und ihnen Ihre Überzeugung erklären?“ Er hat mich verwundert angeschaut und geantwortet: „Lieber drei echte als Millionen falsche Christen.“ Man kann sich auf den Standpunkt stellen, mit AfD-Anhängern nicht zu reden, auch wenn sie stärkste Partei werden sollte. Mit Blick auf Österreich, Frankreich, Ungarn, die USA, Brasilien – die Liste lässt sich beliebig weiterführen – ist das kein deutsches, sondern ein globales Phänomen.

Grünen-Stadtrat und Bezirkstagskandidat Ali Zant protestiert zusammen mit dem Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte gegen die AfD-Veranstaltung. Foto: Jürgen Herda

Wir müssen reden!

Wir müssen reden. Denn, jetzt wird’s richtig ungemütlich für uns schlimmen Gutmenschen: Wenn wir der Auffassung sind, dass die westliche Welt – zum Beispiel wegen Kolonialismus und Irak-Krieg, der den IS hervorgebracht hat – Mitverantwortung für den globalen Süden hat; wenn wir meinen, dass wir Armuts-, Klima- oder Kriegsflüchtlinge nicht im Mittelmeer ersaufen lassen sollten: Dann müssen wir davon Mehrheiten in Europa überzeugen. Denn auch das ist Demokratie: Die Mehrheit regiert. Das Gleiche gilt für Gendern, Klimakrise und Veganismus.

Weder Markus Söder, noch Hubert Aiwanger oder Kathrin Ebner-Steiner befürchten ernsthaft, dass ihnen die Schweinshaxn verboten oder das Gender-Sternchen aufoktroyiert wird. Sie sagen es im Bierzelt, weil viele es so gerne hören und tausendfache Bravos und Applaus aufbranden. Trotzdem sollte keiner die Wirkung dieser Themen unterschätzen: Es gibt Menschen auch in diesem Land, die mit Miete und Nebenkosten kaum mehr über die Runden kommen. Die reiben sich dann schon die Augen, wenn in Talkrunden die Lösung ihrer existenziellen Sorgen kaum, die Frage aber, ob Rasta-Frisuren eine kulturelle Aneignung sind, eine tragende Rolle spielt. Achtung, Spoiler: Was tun, wenn die Italiener uns eines Tages vorwerfen, Pizza essen sei „Cultural appropriation“?

AfD-Landtagsabgeordneter Roland Magerl: Zu groß für sein Mikro. Foto: Jürgen Herda

AfD-Gewinner-Themen: Looser-Themen für den Wirtschaftsstandort

Es sind aber nicht nur sozial Schwache, die aus Frust oder Protest zur AfD tendieren. Da sind auch die gelernten Handwerker Manfred Schiller und Roland Magerl, die den Eindruck haben: Das Land geht mit Bürokratismus, Planwirtschaft und Work-Life-Balance vor die Hunde. Und mal Hand aufs Herz: Wenn das Land der Dichter, Denker und Ingenieure Jahrzehnte für den Bau eines Bahnhofs braucht, kann man schon mal nachfragen, ob uns das auf Dauer die ersten drei Plätze bei der Export-Weltmeisterschaft garantiert.

Jetzt wird’s wieder knifflig: Wenn ein Land, das vom Export in die EU und in die Welt abhängig ist, aus der – zugegeben verfahren uneinigen – EU austritt und eine Willkommenskultur wie ein Münchener U-Bahn-Fahrer an den Tag legt: Sichert das unseren Wohlstand? Mit anderen Worten: Die Gewinner-Themen der AfD bei den frustrierten Wählern sind Looser-Themen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Laute AfD-Rechte Kathrin Ebner-Steiner. Foto: Jürgen Herda

Wir sind das Volk: eine zerstrittene, bucklige Verwandtschaft

Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, dass wir wie die Briten dumm aus der Wäsche gucken, wenn wir auf unseren dann verzollten Waren sitzen bleiben, müssen die Politiker aller Couleur ihre Parteiraison hintanstellen und schleunigst Lösungen für die wirklichen Probleme des Landes finden – trotz Ukraine-Krieg und komplizierter Mehrheitsverhältnisse. Und was wichtig ist, darauf müssen wir uns alle zusammen verständigen. Schon vergessen? Wir sind das Volk. Ja, nicht nur ihr da vorne, oder dort hinten, oben oder unten. Wir alle zusammen. Eine große zerstrittene bucklige Verwandtschaft. Politik ist kein Wunschkonzert.

Dass das funktionieren kann, zeigen im Kleinen unsere Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aller Parteien in der Nordoberpfalz, die eine Menge dafür tun, ihre Kommunen zukunftsfest zu machen. Aller Funklöcher und Altlasten zum Trotz: Von der strukturschwachen Grenzregion zu einer erfolgreichen Wachstumsregion in zwei Jahrzehnten, das ist uns nicht in den Schoß gefallen. Schlaue Unternehmer und fleißige Arbeitnehmer zusammen haben das gestemmt. Und das sollten wir uns auch nicht von den Profiteuren der Erregungskultur kaputt reden lassen.

Die Polizei muss nicht eingreifen: Patrick Schröder und sein Kameramann drehen für ihre Klientel. Foto: Jürgen Herda

Von wegen linksgrün-versifft

Eine Frage bleibt noch offen: Bin ich also linker Hetzer, linksgrünversiffter Mainstream-Journalist? Kennen Sie den Max-Weber-Platz – benannt nach dem Erfinder der Soziologie, einen Liberalen und Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei? Diesen Pragmatiker hat mir mein Doktorvater nahegebracht. Und als Oberpfälzer mit böhmischem Immigrationshintergrund gibt es noch einen anderen Leitstern: Václav Havel, den ich in meiner Prager Zeit kennenlernen durfte. Der Dichterpräsident hat für seine Überzeugung Knast in Kauf genommen – mit seiner Idee einer Zivilgesellschaft, die Parteien überflüssig macht, ist er leider gescheitert.

Wenn es eine Weiterentwicklung der Demokratie gibt, dann durch eine breite Beteiligung. Jeder, der Mitglied in einem Verein ist, weiß, dass es nicht immer einfach ist, um Mehrheiten für gute Ideen zu werben. Um wie viel komplizierter ist das aber bei 80 Millionen Menschen – von einem Europa der 27 plus X-Staaten ganz zu schweigen? Politik macht viel Arbeit. Vielleicht war Havel seiner Zeit voraus und all die Frustrierten und Unzufriedenen machen sich doch noch auf den Weg, „dicke Bretter zu bohren“ – denn das ist Politik für Max Weber.

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2 Kommentare

D. Götz - 21.09.2023

Hervorragender Artikel. Ich stimme Herrn Haberkorn vollends zu!

Holger Haberkorn - 18.09.2023

Sehr geehrter Herr Herda, ihre Kolumne heute ist das klügste was ich seit langer Zeit gelesen habe. Ich denke es gelingt Ihnen sehr gut ihren Platz zwischen den Stühlen zu finden und ihre journalistische Neutralität zu wahren. Ich hoffe, dass viele Leute Ihren Artikel lesen und vielleicht der ein oder andere wird auch darüber nachdenken und nicht nur in die üblichen Reflexe verfallen wird. Etwas mehr Vernunft und etwas weniger Geschrei würde unserer Gesellschaft gut tun. Danke dafür. Mit freundlichen Grüßen Holger Haberkorn