Prozess nach Tod im Kinderheim: Junge (12) belastet Angeklagten

Hof/Wunsiedel. Am Landgericht Hof sagt heute der inzwischen zwölfjährige Junge aus, dem die Tötung der zehnjährigen Lena zur Last gelegt wird. Er hat dabei den 26-Jährigen der Mitschuld bezichtigt.

Landgericht Hof Prozess Kinderheim Wunsiedel
Der Zwölfjährige (verdeckt) wird abseits des Publikumsverkehrs von drei Begleitern zum Landgericht Hof gebracht. Foto: OberpfalzECHO

Die Aussage erfolgte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Junge war nur als Zeuge geladen, er ist aufgrund seines Alters strafunmündig. Auf der Anklagebank sitzt ein 26-Jähriger, der als Einbrecher in das Kinderheim eingestiegen war. Dort kam es zur Vergewaltigung eines zehnjährigen Mädchens, die der 26-Jährige gestanden hat. Mit der Tötung habe er nichts zu tun.

Mitschuldig oder nicht?

In der Anklage ist eine Mitschuld des 26-jährigen Müllwerkers nicht enthalten. Möglich ist aber ein nachträglicher “rechtlicher Hinweis” des Gerichts. Das wäre dann möglich, wenn die Jugendschutzkammer den Mann trotzdem für mitschuldig am Tod des Kindes erachtet.

Schon im Vorfeld des Prozesses war die Vormundin des Zwölfjährigen an die Öffentlichkeit gegangen. Sie berichtete von Vernehmungen des Jungen bei der Polizei: Demnach habe der Mann ihm gedroht, ins Heim zurückzukehren und ihn umzubringen, wenn er das Mädchen nicht zum Schweigen bringe.

Dies soll der Junge am Dienstag bei seiner Vernehmung vor Gericht wiederholt haben, sagte sein Anwalt Michael Hasslacher am Dienstagabend gegenüber der “Süddeutschen”. Er sei vom Angeklagten bedroht und zum Tötungsdelikt gedrängt worden. Der 26-Jährige sei zu Beginn des Strangulierens noch im Zimmer gewesen und erst währenddessen aus dem Heim geflohen, zitiert die SZ den Anwalt.

Viele Stunden bis zur Entdeckung

Tatsächlich würde das einige Fragen klären, die sich nach dem ersten Prozesstag stellten. Der 26-Jährige hatte gestanden, als Einbrecher in das Kinderheim eingestiegen zu sein. In einem Zimmer sei er vom Elfjährigen überrascht worden, der ihn als Müllwerker erkannte und das Gespräch auf Sex gelenkt habe. Der 26-Jährige beschreibt den Buben als treibende Kraft. Der Junge habe das Mädchen dazu geholt. Gemeinsam habe man das Mädchen bäuchlings auf dem Bett festgehalten. Es kam zur Vergewaltigung mit der Hand, danach will der 26-Jährige “fluchtartig” das Heim verlassen haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es danach zum Streit unter den beiden Kindern kam.

Zeitlich liegen etliche Stunden zwischen den Taten und dem Auffinden des Mädchens. Der Einbruch soll gegen 23 Uhr erfolgt sein. Der Bub klopfte erstmals gegen 7 Uhr bei der Erzieherin und meldete ein anderes Kind in seinem Bett. Das Mädchen lag halbnackt auf dem Bauch. Die Betreuerin (28) dachte bei einer kurzen Nachschau, Lena habe sich nach einem “nächtlichen Malheur” eine trockene Matratze gesucht und schlafe. Erst beim Wecken um 8.30 Uhr fiel ihr auf, dass ihr Schützling tot war.

Der Notärztin war schon von der Tür aus klar, dass das Kind “mausetot” war. Das Gesicht violett verfärbt, typisch für einen Erstickungstod. Es seien schon Totenflecken zu sehen gewesen. Ihr sei auch schnell klar gewesen, dass es sich um einen “Tatort” handelte. Das Zimmer wirkte unordentlich, das Fenster stand auf. Es sei eiskalt gewesen. Die Medizinerin sah auch die Tatwaffe: ein zerrupftes LED-Beleuchtungsband, wie es zur Zimmerdekoration verwendet wird.

“Wie ein Tiger im Käfig”

Am Dienstagvormittag schilderten Polizisten, wie seltsam sich der Elfjährige nach dem Eintreffen der Polizei benommen habe. Man habe die Kinder am Vormittag zur Befragung in unterschiedlichen Räumen separieren wollen. Schon da fiel der Elfjährige auf, weil er sich weigerte, den angestammten Gruppenraum zu verlassen. Er habe “niemanden umgebracht”.

In dem Zimmer sei er dann auf- und abgelaufen “wie ein rastloser Tiger”. Er spielte immer mal wieder Playstation und fragte dazwischen bei den Polizisten nach, was denn überhaupt mit Lena sei. Der Junge habe den Eindruck gemacht, als ob er nicht geschlafen hätte. Gegen Mittag sei seine Stimmung gekippt, er sei zunehmend aggressiv geworden, habe Lena als “Schlampe” bezeichnet. Er verstehe “den ganzen Aufriss” nicht, nur weil Lena nicht richtig schlafe.

Anwalt hält Zwölfjährigen für nicht allein verantwortlich

Der Zwölfjährige tritt vor Gericht als Nebenkläger auf und wird in der Verhandlung von Anwalt Michael Hasslacher vertreten. Dieser sagte zum Prozessbeginn: “Mein Mandant erscheint mir nicht als Alleinverantwortlicher für die Tat.”

Auch der Anwalt der Mutter der getöteten Lena, Dr. Lutz Rittmann, zweifelt daran, dass die Anklage die ganze Wahrheit ist. Zwar sei der grobe Tatablauf bekannt. “Aber so wie sich die Sache in der Anklage liest, kann es meiner Meinung nach nicht gewesen sein.” Ein Streit unter den Kindern, wie ihn die Staatsanwaltschaft beschreibt, hätte doch gehört werden müssen.

Rittmann erhebt Vorwürfe gegen die Einrichtung der katholischen Jugendfürsorge. Er kenne die Akte des Zwölfjährigen. Dieser sei in der Vergangenheit wiederholt durch aggressives Verhalten aufgefallen, habe Erzieher eingesperrt, Tätlichkeiten begangen. “Die wussten, dass hier ein hochaggressiver, junger Mann unterwegs ist.” Und trotzdem seien die fünf Kinder in dieser Nacht von 22 bis 7 Uhr ohne Beaufsichtigung gewesen. “In der frühen Pubertät, ohne jede Aufsicht. Das geht in meinen Kopf nicht ganz rein.”

Warum war Lena im Heim?

Basis war ein Beschluss vom 18. November 2022 des Familiengerichts am Amtsgericht Tirschenreuth. Den geschiedenen Eltern war damals die Aufenthaltsbestimmung ihres Kindes vorübergehend entzogen und auf das Jugendamt Tirschenreuth übertragen worden.

Hintergrund war ein seit vier Jahren andauernder Streit der Eltern um die Belange des Mädchens. Ab 2019 war es zu einem Dutzend Verfahren vor Gericht gekommen. Letzter Streitpunkt war die Wahl der weiterführenden Schule, über die sich die Eltern uneinig waren. Am Ende verweigerte das Kind den Schulbesuch komplett.

Eine Kinderpsychologin warnte vor massiven Folgen dieses dauernden Loyalitätskonflikts. Im Kinderheim sollte das Mädchen wieder “zur Ruhe kommen”, heißt es im Gerichtsbeschluss.

Nach Auskunft von Anwalt Lutz Rittmann, Vertreter der Mutter, sei diese Hoffnung letztlich aufgegangen. Das Kind habe sich sehr gut entwickelt. Dem Mädchen sei es schon nach einigen Wochen wesentlich besser gegangen. “Es war absehbar, dass sie in Kürze da wieder rauskommt und zu ihren Eltern kommt.”

Mehr zum Prozess:

Als erste Zeugen sagen die Erzieherin und der Heimleiter aus.

Zum Auftakt am Donnerstag hat der angeklagte Daniel T. ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Die Anklage wirft dem 26-Jährigen Vergewaltigung und mehrere Diebstähle vor. Die Tötung des Kindes wird dem Elfjährigen angelastet.

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Von Kameras umzingelt: Der Anwalt des Zwölfjährigen, Michael Hasslacher (Mitte, mit Brille). Foto: Christine Ascherl/OberpfalzECHO

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