Reaktionen auf das Schröder-Interview: Fünfteilige YouTube-Serie der Rechts-Aussteiger Schlaffer und Reitz

Mantel. Das Interview mit dem stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Patrick Schröder aus Mantel polarisiert. Jetzt haben sich zwei bundesweit bekannte Aussteiger aus der rechten Szene das Video vorgenommen. Philip Schlaffer und Axel Reitz gehen in fünf Teilen an die Schmerzgrenze.

Patrick Schröder beim Redaktionsgespräch. Bild: David Trott

Die Meinungen über das Interview mit Patrick Schröder, stellvertretender Landesvorsitzender der NPD und Betreiber eines Internetshops mit Klamotten für die rechte Szene, sind geteilt. Ein Teil der Zuschriften kritisiert heftig, Schröder eine Bühne gegeben zu haben.

„Wenn ich Ihren Ansatz – ,reden lassen, um Verständnis zu schaffen‘ – richtig interpretiere“, schreibt beispielsweise Jan Nowak von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern, „und mir Ihr Nachhaken bzw. Bestehen auf Konkretisierung an anderer Stelle im Beitrag anschaue, kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum Schröder wiederholt mit dem Scheinargument „Provokation“ als Erklärung für massive NS-Verherrlichung durchgekommen ist.“ Das werde dem Gegenstand seines Erachtens nicht gerecht.

„Keine Plattform“

Etliche Kommentatoren auf YouTube finden das Interview aufschlussreich: „@TurboD-House“ schreibt: „Man gibt dem Schröder hier keine Plattform! Den Schröder-Auftritt findet nur gut, wer den Schröder eh gut findet. Durch solche Interviews oder Reactions kommen keine neuen Leute in die Bubble. Es ist eher so, dass eine breitere Öffentlichkeit gegen Schröder und Konsorten aufgebaut wird. … Hier wird außerordentlich gut gezeigt, dass in dieser Szene viele Leute sind, denen man nichts zutraut und die mit halbwahren Sprüchen bei Laune gehalten werden. Ein sinkendes Schiff.“

@susannebuchholz72 meint: „Genau! Wenn ich schon einen Shop habe mit solchen Sachen, mache ich doch dafür Werbung! Das verstehe ich auch nicht, warum man nicht die eigenen T-Shirts bzw. Jacken anzieht (zumindest für eine „Mainstream-Propaganda“-Sendung😉).“ Und zur Auseinandersetzung von Schlaffer und Reitz mit dem Interview kommentiert „@kolt_tv“: „Ich hab‘ mir bereits vor ein paar Tagen das komplette Interview gegeben – da kommt noch einiges auf euch zu, ihr beiden! 😅 Danke, dass ihr das durchzieht! Es ist so verdammt wichtig!👍“

„Patrick, auch du kannst ein normales Leben führen!“

Professionell und intensiv befassen sich zwei prominente Aussteiger aus der rechten Szene in einer fünfteiligen Serie mit dem Schröder-Interview. Philip Schlaffer, verurteilter Straftäter der Neonazi-Szene und des Rockermilieus, sowie Axel Reitz, Szene-Spitzname „Hitler von Köln“, gehen auf ihrem YouTube-Kanal (130.000 Abonnenten) mit Schröder hart ins Gericht – und schonen an einigen Stellen auch den Interviewer nicht. So soll es sein, Auseinandersetzung darf auch wehtun.

Schlaffer, der seit seiner Abkehr vom rechten kriminellen Milieu als Anti-Gewalt- und Deradikalisierungstrainer tätig ist, und Reitz, der als Referent beim Verein Extremislos e.V. Aufklärungsarbeit gegen politischen sowie religiösen Extremismus betreibt, kommen aber im Kern zum gleichen Schluss: Patrick Schröders krasse Widersprüche legen nahe, dass er sich schleunigst an ein staatliches Aussteigerprogramm wenden sollte. „Patrick, auch du kannst ein normales Leben führen!“ Dann kann’s auch noch was werden mit einer späten Karriere in einem „langweiligen bürgerlichen Beruf“.

Zutiefst gespalten?

Und welche Lehren ziehen wir aus dem über zwei Stunden langen Gespräch mit dem 39-jährigen Betreiber des YouTube-Kanals „FSN – Frei, Sozial National“ aus Mantel? Wir haben Patrick Schröder als zutiefst gespaltenen Menschen erlebt, der die eigene Partei, die Käufer seiner Klamotten und zentrale Punkte des rechten Glaubensbekenntnisses infrage stellt. Junge Rechte schickt er pragmatisch zur AfD, von den verkauften Motiven wie „HKNKRZ“ rät er ab und 90 Prozent der rechten Szene hält er nicht für fähig zu einer, wie er es nennt, „umfassenden Weltanschauung“.

Welche Taktik sollte Schröder mit solchen Aussagen verfolgen? Es ist kaum anzunehmen, dass seine NPD-Parteifreunde, die Käufer seiner gewaltverherrlichenden Motive und die Rechtsrockszene über solche Aussagen in nazistische Verzückung geraten. Und auch die AfD, die er als einzig legitime, weil erfolgreiche Rechtsaußen-Partei lobt, dürfte sich über den Applaus aus der Neonaziszene wenig freuen. Versucht sie doch – entgegen aller offensichtlichen Berührungspunkte – krampfhaft glaubhaft zu machen, sich als lupenreine demokratische Veranstaltung von gewaltbereiten Neonazis abzugrenzen.

European Fight Night am 6. Mai in Budapest

Vielmehr nährt Schröder mit seinen Aussagen den Verdacht, sich lediglich als Rechtsopportunist bereichern zu wollen. Aber auch diese Interpretation führt in eine Sackgasse. Welcher skrupellose Geschäftemacher stellt schon die eigenen Produkte und die eigenen Käufer infrage? Sicher, an anderen Stellen relativiert er die wenig schmeichelhaften Beschreibungen seiner Kameraden im „Thing der Titanen“, bei den Skinheads oder beim „Dritten Weg“. Nach dem Motto: „Sie sind jung, dumm und wollen mit dem HKNKRZ nur provozieren – wie RAP-Musiker mit Macho-Sprüchen und die linke Szene mit F*ck AfD.“

Bleibt noch die These, Schröder wolle mit solchen Einlassungen lediglich von einem teuflischen Plan ablenken, um sich bei rechten Kampfsportevents wie dem 2019 im sächsischen Ostritz verbotenen „Kampf der Nibelungen“ oder bei der European Fight Night am 6. Mai in Budapest auf den von Nazis herbeigesehnten Tag X vorbereiten.

Warten auf den Tag X?

Um die erwartete Systemkrise für eine politische Machtübernahme zu nutzen, bereiten sich einige rechte Sektierer bereits auf den ominösen Tag X vor, der im neonazistischen und systemfeindlichen Rechtsradikalismus auch mit „wenn der Tag gekommen ist“ oder „wenn wir so weit sind“ umschrieben wird. Und tatsächlich hofft Schröder auf eine Verschärfung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen in liberalen Demokratien, um die als Bedrohung wahrgenommene Einwanderung abzuwehren und anschließend rückgängig zu machen. Dass die ganze Welt händeringend nach Fachkräften sucht, geschenkt!

Aber Hand aufs Herz: Eine Partei mit einer Zustimmung im Promillebereich, ein Parteifunktionär, der nicht mehr an seine eigene Partei glaubt, ein Zweifler mit rund 8000 Abonnenten auf seinem YouTube-Kanal, der große Teile der rechten Szene für intellektuell minderbemittelt und die Mehrheit der Bevölkerung für unpolitisch hält, soll einen Umsturz planen? Dagegen erscheint der Umsturzversuch des adeligen Reichsbürgers Heinrich XIII. Prinz Reuß wie Mussolinis Marsch auf Rom.

Ärmel, hochkrempeln, ihr Patrioten!

Das heißt nicht, dass man Schröders Aussagen verharmlosen sollte. Was trotz aller Risse in dessen vermeintlich geschlossenem Weltbild bleibt, ist eine homophobe, rassistische Überzeugung, die den Minderheitenschutz unserer offenen pluralistischen Demokratie ablehnt. Seine Empfehlung, junge Menschen mit Partys, Rechtsrock und Kampfsport für die AfD zu ködern, sollte man sehr ernst nehmen. Denn eines ist auch klar: Extremismus gedeiht am besten, wo Perspektiven fehlen.

Das beste Mittel dagegen: Ein effektiver Staat, der die Selbstlähmung durch parteipolitische Taktik, bürokratische Überfrachtung, undurchsichtigen Lobbyismus und medialen Alarmismus zurückdrängt. Ein funktionierender Staat braucht allerdings auch das Engagement der Zivilgesellschaft: Statt uns ständig in hysterischen Twitter-Debatten weiter zu polarisieren, sollten wir nach pragmatischen Lösungen für real existierende Probleme suchen – und mit anpacken. Und was ein echter Patriot sein will, lieber Patrick Schröder, der sollte die Ärmel hochkrempeln, statt auf den Niedergang Deutschlands zu hoffen.

Die Lebensgeschichten der Rechts-Aussteiger

Philip Schlaffers Autobiografie: Hass. Macht. Gewalt.: Ein Ex-Nazi und Rotlicht-Rocker packt aus. Rechtsextremismus, Rockerclub und Rotlichtmilieu. Das sind die Stationen im früheren Leben von Philip Schlaffer. Als Jugendlicher wird er Teil der gewalttätigen Neonazi-Szene, später gründet er eine rechtsradikale Kameradschaft und produziert Rechtsrock. Schließlich schafft er nach 20 Jahren den Ausstieg aus Kriminalität und Extremismus und beschließt, sich fortan gegen Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit einzusetzen. Aufrichtig und erschütternd erzählt er jetzt seine Geschichte.

Axel Reitz‘ Autobiografie: Ich war der Hitler von Köln – Mein Weg aus der Neonazi-Szene und wie Extremismus effektiv bekämpft werden kann. Axel Reitz, geboren 1983, war eine der zentralen Figuren der deutschen Neonazi-Szene und bekannt als »Hitler von Köln«. Seit seiner kompletten Abkehr vom Extremismus im Jahr 2013 und seiner politischen, gesellschaftlichen und sozialen Rehabilitation engagiert er sich mit seinem YouTube-Kanal »Der Reitz-Effekt« gegen alle Arten von Extremismus, ob nun von rechts oder von links. Sein Ziel: anderen dabei zu helfen, nicht genauso in der Radikalität zu versinken wie er selbst in seiner Jugend.

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