Schobers Rock-Kolumne: R.E.M.iniszenzen und schräger Westernsound

Parkstein. Er hat sie alle geholt: Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Man nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

Hubert Schobers Weihnachtsempfehlung: Saal, The Bad Ends und Gilbert O`Sullivan. Montage: jrh

Kennt noch jemand die Berliner Indie-Pop-Band Super 700? Die bekamen einst sogar mal einen Major-Deal und durften mit Produzenten wie Gordon Raphael (unter anderem The Strokes) oder Rob Kirwan (Us, PJ Harvey) aufnehmen. Ein gewisser Johannes Saal spielte dabei die Gitarren und hört man sich jetzt sein Solo-Album unter dem schlichten Namen Saal an, versteht man gleich, warum er die eher fröhlichen Berliner Racker bald hinter sich gelassen hatte.

„White Whisper“ (Waterfall Rec.) wird seinem Namen gerecht, wird hier doch eher kontemplativ, entspannt und mit viel Bedacht in die Saiten geschlagen, pardon, behutsam gegriffen. „Enjoy the Silence, enjoy the Emptyness“ barmt er da einmal zu behutsamem Klavier und der akustischen Gitarre. Und auch Synthesizer, Klarinette, Schlagwerk oder Saxofon sind Klangkörper, die eher gestreichelt, luzide und schwerelos klingen. Julian Gropper light oder Nick Drake 4.0, wenn’s denn Vergleiche braucht. Très jolie!

Kein schlechtes Ende: In Memoriam R.E.M.

Da ist doch Bill Berry von einem ganz anderen Kaliber. Der spielte auch mal bei einer Major-Band, den famosen R.E.M. nämlich, nur bleibt er mit seiner Kapelle, The Bad Ends, deren Sound treu, besser, er weckt „The Power And The Glory“ (Bertus) Erinnerungen an die Anfangstage der Vorzeige-Indie-Rocker. Beherzt wird hier in die Saiten gegriffen – gleich mit drei Gitarristen.

Berry treibt die Kollegen unermüdlich an, nur der Gesang von Mike Mantione (ex Five Eight) ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, wobei: Brutalo-Balladen wie das wirklich ergreifende „Left to be found“ meistert er ganz gut. Aber sagen wir es ganz offen: Es gibt bessere seiner Zunft. Wenn man aber einfach mal wieder gut gemachten, alternativen Gitarren-Rock aus den 80ern hören möchte, ist man bei den schlechten Enden in guten Händen.

Fetter Gute-Laune-Pop

Von Betroffenheits-DIY-Gebastel und kernigem Indie-Rock machen wir jetzt einen gaaaaanz großen Sprung in die Vergangenheit – und in den schnöden Mainstream. Gilbert O`Sullivan (ja, der lebt wirklich noch!) blockierte mit Hits wie „Get Down“, „Alone Again“ oder „Clair“ die Hitparaden der früher 70er. Bewaffnet mit Klavier, Wuschelkopf, Dauerlächeln und rotem Pulli (mit dem „G“ drauf, ältere Semester erinnern sich) war er einst Everybody’s Darling und wurde gar zum „Songwriter des Jahres“ gekürt.

Der mit viel Pomp arrangierte Gute-Laune Pop hatte aber auch seine Momente, denn Songs und pfiffige Melodien schreiben – „Get Down“ hätte ein Elton John auch nicht besser hinbekommen – konnte der Junge ja wirklich. Das kann man jetzt auf einer 3er-CD, „The Best Of“ (BMG) betitelt nachhören – und sich von manchem Lied überraschen lassen. Warum das fette Werk – es zählt über 60 Titel – überhaupt so üppig ausgefallen ist, wissen die Götter. Dass es mit jeglichen Hintergrundinformationen in Form eines Booklets geizt, ist ärgerlich.

Dänischer Volks-Jazz

Diese Kolumne entwickelt sich zur Weitsprungdisziplin, obgleich es von England nach Dänemark ja eher der einer Katze ist. Nur könnte die Musik von Svaneborg Kardyb nicht verschiedener zu dem zuvor beschriebenen Pullover-Mann sein. Svaneborg Kardyb sind Nikolaj Svaneborg – Wurlitzer, Juno, Piano und Jonas Kardyb – Schlagzeug, Perkussion, ein mehrfach preisgekröntes Duo aus unserem Nachbarland, das bei den Danish Music Awards Jazz 2019 gleich zwei „Grammys“ gewann: New Artist of the Year und Composer of the Year.

Mit Einflüssen aus der dänischen Volksmusik und dem skandinavischen Jazz, darunter Nils Frahm, Esbjörn Svennson und Jan Johanssons bahnbrechende Aufnahme Jazz På Svenska, ist ihre Musik eine Verschmelzung von Melodien, Minimalismus, Grooves, elektronischen Vibes, nordischen Atmosphären und organischem Zusammenspiel. Die Instrumentals auf „Over Tage“ (Groove Attack) sind frei fließende Meditationsstücke, beherzter Ambient mit Pfeffer im Arsch, einem Michael Rother oder auch dem Peguin Cafe Orchestra nicht unähnlich und definitiv auch bestes Entspannungs-Futter für Rock- und Pop-Liebhaber.

Kleiner Bruder von James Blunt in Down Under

Um die halbe Welt jumpen wir jetzt nach Sydney, um dort auf die Sons Of The East zu treffen. Die wiederum haben sicherlich auch schon Menschen in Dänemark, England, Deutschland oder den USA verzückt, denn von irgendwo her müssen ja die 200 Millionen Streams auf Spotify, 14 Millionen Streams auf Apple Music und 47 Millionen YouTube-Plays herkommen – Aussis gibt es ja gerade mal 22 Millionen. Man mag in den entspannten Songs der Kapelle Spurenelemente von The Lumineers, Josh Rouse, Mumford & Sons oder Neil Young ausmachen – Nic Johnson würde auch glatt als kleiner Bruder von James Blunt durchgehen.

Jubelnde Harmonie-Gesänge, hubbeliges Banjo-Geschrammel, eine sehnsüchtige Mundharmonika, schwelgende Pedel-Steel-Gitarren und gefühlvolle Klavier-Akkorde ergeben „rootsy, uber-chilled music with really close-knit harmonies and really strong, pretty songs“ (ABC). Man muss das Rad nicht immer neu erfinden, gute Reifen aufziehen reicht meistens auch. Ach ja, „Palomar Parade“ ist das schicke Kleinod betitelt.

Western-Sound für Tarantino

Das hatte sich wohl auch Charles Michael Kittridge Thompson IV, besser bekannt als Black Francis, bei der Neuauflage seiner Pixies gedacht. Und so klingen die neuen wie die alten Pixies, na ja, ein wenig braver sind auch diese Jungs und Mädels (Kim Deal wurde 2014 durch Paz Lenchantin ersetzt) geworden.

„Doggerel“ (BMG) ist trotz alledem ein wuchtiges Stück Rock geworden, nicht ganz so wütend, nicht ganz so monolithisch, aber doch druckvoll, böse, zynisch, schräg im Wortwitz und auf den Punkt produziert. Einige der Stücke haben dieses dreckigen Western-Twang („Vault Of Heavan“), die sollte sich mal Quentin Tarantino für sein nächstes Epos anhören.

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afroamerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen, neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemden vom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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