Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Wie viele Brandmauern werden heuer eingerissen?

Nordoberpfalz. Es lodert an allen Ecken und Enden, die Brandstifter jeglicher Couleur haben Hochkonjunktur und was machen wir? Wir reißen eine Brandmauer nach der anderen ein. Willkommen in der Bundesrepublik 2024. Eine mitunter sprachlose Glosse.

Symbolbild: Pixabay

“Brandmauern einreißen” und “Brandmauern errichten”, das sind gern genutzte Phrasen in diesen Tagen. Dabei geht es nicht nur um Politik, sondern auch um unsere Gesellschaft und sogar um das Menschsein an sich. Es fällt doch eine Schutzvorrichtung nach der anderen – im zwischenmenschlichen Umgang, im solidarischen Denken, im produktiven und friedlichen Miteinander.

Und schon sehe ich sie wieder, die liebreizenden Antlitze meiner Mitmenschen, die angesichts dieser Thematik wieder den Gesichtsausdruck “Einmal große Hafenrundfahrt” annehmen. Aber man muss darüber sprechen, sonst fliegt uns der Laden hier schneller um die Ohren als wir “Wachstumsbeschleunigungsgesetz” sagen können.

Ein Volk der Spießer: Sahnebonbon, rundgelutscht, vegan und laktosefrei

Auf der einen Seite reißen wir mit dem Arsch Mauern ein, die über Jahrzehnte mühselig errichtet wurden, auf der anderen Seite errichten wir gesellschaftliche Mauern auf dem Fundament unseres unsagbaren Egoismus und unserer “German Angst”. Auch wenn ich mich wiederhole – in unserem ach so wunderbarem neuen Lifestyle sind wir spießiger, als es die Generationen vor uns jemals waren. Eigentlich war das doch auch mal eine Brandmauer, die uns vor genau diesem Rückfall schützen sollte – pulverisiert, zu Staub zerfallen, aus und vorbei.

Brandmauer

Eine Brandwand oder Brandmauer (selten auch Brandschutzwand oder Feuermauer genannt) ist eine Wand, die durch ihre besondere Beschaffenheit das Übergreifen von Feuer und Rauch von einem Gebäude oder Gebäudeteil zu einem anderen verhindern soll. Diese Aufgabe muss die Brandwand auch dann erfüllen, wenn Löschwasser und Hitze auf sie einwirken oder andere Bauteile auf sie stürzen oder sie seitlich anstoßen. (Quelle: Wikipedia)

Die Mauer zwischen den Ohrwascheln

In diesem Jahr sind Europawahlen und Wahlen in zahlreichen Bundesländern – wie viele Feigenblätter werden fallen, wie viele der wenigen verbliebenen Brandmauern endgültig geschliffen? Die Brandstifter sitzen schließlich inzwischen überall, und zwar nicht nur “die da oben”, sie sitzen bei jedem von uns, der Autor nicht ausgeschlossen, in den Köpfen. So wird aus einer Brandmauer ein stylischer, luftiger Ikea-Plastik-Zaun um das wunderbare Steingärtchen unserer Herzen und Hirne.

Plötzlich doch Hüter der Sprachmauer?

Viele Mitbürgernde bekommen beim Thema Gendern sofort Schnappatmung, reißen ihre Kleider entzwei und klagen weselskygleich, dass das Ende der deutschen Sprache gekommen ist, oder wie man es in unseren Breiten so gern als stramm Einheimischer nennt – das “Deitsch”. Dabei lehnen sie aber inzwischen alles, was aus mehr als einigen schäumenswürdigen Schlagworten besteht, kategorisch ab. Die Gründe sind so vielfältig wie die Ängste der Deutschen (der ja ein “Deitscher” ist): Grüne, keine Zeit wegen Urlaubsplanung, alles andere ist zu langatmig, zu verdrossen, ob derer da oben, bla…bla…bla.

Das zarte Mäuerchen Bildung & Co.

Wovor der Deitsche scheinbar gar keine Angst hat, ist, dass die kulturelle Brandmauer oder die des gesunden Menschenverstandes eingerissen wird. Was bleibt denn dann? Die Antwort ist einfach: Nix. Und es interessiert auch keinen mehr.

Warum ein gutes Buch lesen, wenn es Netflix und Privatfernsehen gibt, warum sich eine eigene Meinung bilden, es gibt doch TikTok. So erhalte ich Informationen fein püriert und vorverdaut, sodass ich sie ganz einfach mit dem Rückenmark verarbeiten kann.

Sind wir eigentlich wahnsinnig, wie können wir so PISA gewinnen? “Ach ja, die Lehrer haben es doch toll – halbtags arbeiten und in den Ferien immer frei.” Dann mach doch mal, du Sportreporter! Das Recht auf freien Zugang zur Bildung war doch irgendwann eigentlich in Stein gemeißelt – vielleicht als Relief an einer unzerstörbaren Brandmauer? Willkommen 2024 – das ist ja lächerlich, wer brauch diese Ruine denn heute noch?

Die Verbundesligaisierung der Gesellschaft

Die nächste, einst relativ massive Brandmauer wird schon bald fallen. Wir können nicht mehr miteinander reden, miteinander streiten, mal miteinander hackeln und sich danach einfach miteinander eine Maß kaufen. So sollte es doch eigentlich gehen.

Nutzen wir doch hierzu mal eine sportliche Metapher für unsere Entwicklung, nämlich die Fußballbundesliga. Früher gab es in der ersten Liga und auch in der Gesellschaft Anführer, knorrige Kanten, uneigennützige Teamplayer und eben auch Spielleiter. Die, die nicht so schnell laufen konnten, hat man halt dann mitgezogen, sie hatten vielleicht andere äußerst nützliche Talente. Schöne alte Welt.

Das ist doch alles ganz normal und mit einem durchschnittlich ausgebildeten Fairness-Gedanken hält sich das eigentlich wunderbar die Waage. Heute sieht das alles natürlich ganz anders aus. Ein in Verantwortung Stehender trifft eine Entscheidung und auch wenn sie noch so richtig und vernünftig ist, jeder bestürmt ihn und jeder darf (selbstverständlich gern auch anonym) seine Gabel hineinstechen.

Das Ganze funktioniert selbstverständlich auch, ohne selbst je ein Spiel gepfiffen beziehungsweise irgendwie selbst Verantwortung übernommen zu haben. So verhält es sich auch im ganz normalen Zweikampf. Tödlich getroffen sinken sie sterbend zu Boden: “Es hat ein Kontakt stattgefunden”, “Oh mein Gott, 36- statt 35-Stunden-Woche”, “ich habe doch keine Zeit, ich muss in den Urlaub fliegen”…

Ja mei, im Spiel wie im Leben läuft es oft nicht so, wie man es will. Ist halt so. Punkt. Aber deshalb wieder eine Brandmauer einreißen?

G’scherter Rammel? Nein, Demokrat 4.0!

Die Brandmauern des Respekts und des Anstandes sind endgültig geschliffen, da sollte man sich tatsächlich keine zu große Hoffnung mehr machen. Früher gab es auch schon Nöhler, Nörgler und g’scherte Rammel. Denen standen kernige Macher und Ehrenamtliche mit einem moralischen und menschlichen Kompass gegenüber. Aber die haben langsam auch keinen Bock mehr, die Brandmauer immer wieder aufzurichten. Wen wunderts?

Bla, Bla und nochmals Bla

2024 droht auch die Brandmauer des “Diskurses mit Inhalt” endgültig zu fallen. Sinnleeres Schwadronieren hat es immer gegeben – am Stammtisch, auf dem Fußballplatz und auch mal als Small Talk, wenn das Wetterthema nichts mehr hergegeben hat. Das war auch alles kein Problem, manchmal sogar lustig, aber eben doch mit Brandmauer. Damals legte man noch Wert darauf, letztendlich bei essenziellen Themen auf seine Vernunft und seinen Verstand zu hören. Auch das ist natürlich nur noch süßlich-naives Synapsenknallen des Autors.

Neue Mauern braucht das Land

Willkommen auf meinem ganz persönlichen rosa Wölkchen: wie sollte die wider den (Un-)Geist der Zeit zu errichtende Mauer denn beschaffen sein? Das ist schwer zu sagen, ich spinne mal vor mich hin.

Sie soll so bunt sein wie ein Regenbogen, bitte nur nicht perfekt gemauert und mit Aussparungen, sodass man Bücher hineinstellen kann – außen bunt und wild, aber aus Hightech-Material mit Membranfunktion, sodass Überläufer auf der Seite der stylischen Zwiderwurzn zu uns netten Menschen wechseln können. Jeder, der will, darf diese Mauer mitbauen und jeder darf einfach davon profitieren, oder kurz gesagt: Man freut sich, wenn sich ein anderer freut. Alle sind freundlich, alles andere wäre auch viel zu stressig.

An dieser Mauer dürfen Kinder spielen, toben, klettern, einfach so und ganz ohne pädagogisches Konzept und Leistungs- beziehungsweise Hochbegabtenförderung. Außerdem gibt es an der Mauer hübsche Ruhebänke, wo sich die alten Leutchen niedersetzen dürfen. Man unterhält sich mit ihnen, sie sind happy und selbst hat man das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. So einfach wäre es manchmal.

Aber die Antwort kommt prompt, Sie haben eine neue Mail (Absender: anonym):

Sehr geehrter Herr Rieger,

wie soll denn das gehen? Wer garantiert mir, dass dabei nicht einer mehr davon hat als ich? Können Sie mir versichern, dass der Bau EU-subventioniert ist, ich aber ansonsten mit Europa nichts zu tun habe? Haben Sie überhaupt eine Baugenehmigung?

Leute wie Sie wollen die schöne Landschaft in Deitschland zuerst mit Windrädern verspargeln und dann auch noch mit solchen windigen Bauten zumauern. Dann gehen Sie doch rüber, wenn es Ihnen hier nicht passt. Zudem klingt Ihre ganze Idee so, wie wenn sie von den Grünen kommt. Ich habe Sie erwischt, Herr Rieger, sie sind ein adipöser Kinderbuchautor ohne Abschluss!

Ich erwarte ein entsprechendes Angebot von Ihnen.

Kann er/sie gern haben, denn als zusätzliche bauliche Maßnahme für meine Brandmauer ist ab sofort mit eingeplant: schießschartenartige Aussparungen in Hüfthöhe, sodass man genau das Gesäß auf die andere Seite durchstrecken kann und uns anständige Leute, die ganze Spießerbande mal ganz herzlich am….

Aber gut, der Absender oben zitierter Mail ist mit seinen Kameraden im Geiste in der Überzahl, es war ja sowieso eine abstruse Idee und definitiv mit den Menschen in diesem Lande nicht zu realisieren. Alos reiss mas wieder weg, des Glump…

Nachdenkliches zum Schluss…

Auch ich bin in meinem Moralisieren natürlich extrem, ich denke, wir sollten doch alle einfach mal einen Gang herunterschalten. Dann hat halt ein anderer im Leben mehr Glück gehabt, dann muss eben einer weniger arbeiten und dann fällt der eine oder andere wieder sanft auf die Füße. So what?

Mein Gott, so läuft es halt im Leben, aber warum sich so und ohne Rücksicht auf Verluste daran abarbeiten, wenn dabei die eigene Lebensfreude immer mehr schwindet? Trotz Wirtschaftslage, Gendern, Ampel und (ja, lieber Rieger!) auch trotz GdL-Streik:

Das Leben ist schön.

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1 Kommentare

Roman - 16.03.2024

Die Generation Z würde sich in die Hose vollmachen, wenn sie in unserer Zeit, 1972 gross geworden wären