Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: 2023 – das Jahr des Quatschi-Quatschi

Nordoberpfalz. Was für ein Jahr voll brillanter Rhetorik, weiser Worte und kluger Diskurse. Oder etwas doch nicht? Eine Glosse.

Ich gestehe – ich bin ja auch nicht viel besser. Foto: OberpfalzECHO/Andrea Schreiber

2023 war das “Jahr des Bla” oder wie einst Horst Seehofer der Kragen platzte: „Immer dieses Quatschi, Quatschi, Quatschi“. Auf der einen Seite wird jede Flatulenz munter über den Äther geblasen, auf der anderen Seite darf man aber auch nichts mehr sagen, ohne dass jemand beleidigt ist (was ja heute “Shitstorm” heißt). Wir müssen wieder lernen, miteinander zu sprechen.

Enthülle nicht die Schwächen Deiner Nebenmenschen! Adolph Freiherr von Knigge

Die “Versportreporterung” unserer Gesellschaft

Wir werden zu einer Nation der Sportreporter – die ultimative Blaupause der Gesprächskultur unserer Gesellschaft. “Es hat ein Kontakt stattgefunden”, das ist die wahre Perle der aktuellen Diskussionskultur – nur nicht anecken, glitschig bleiben wie ein Stück Seife und wenn dann im übertragenen Sinne ein Kontakt stattgefunden hat, sich sofort sterbend auf dem Boden wälzen. So führt man heute Zweikämpfe: Mimimi und gleich eingeschnappt sein, den Rest erledigen die (a)sozialen Medien. Weiter bringt uns das nicht. Ist aber scheinbar auch nicht gewünscht.

Es gibt halt Themen, die sind ebenso komplex wie wichtig, sodass sie einfach durchdiskutiert werden müssten, was aber nicht mehr der vorgegebenen geistigen Zeitspanne entspricht. Außerdem zieht so ein Diskurs nur Ressourcen, die der Bürger anderweitig benötigt, beispielsweise zum Posten von Katzenbildern.

Wir müssen die Kunst des Diskurses und des lustvollen Streitens wieder lernen. Dafür muss man sich allerdings zuerst einmal eigene Gedanken machen. Früher hieß es oft “ich lese Spiegel, Zeit oder die Süddeutsche nicht – die Artikel sind mir zu langatmig.” Inzwischen sind sogar die Beiträge der Springerpresse zu lang. Im Optimalfall sollte eine Information beziehungsweise ein Thema in ein Bild (optimal: Katzenbild) oder maximal in ein Video über lediglich wenige Sekunden gepackt werden.

Das Narrativ

Im Windschatten der Versportreporterung ist in den letzten Jahren ein Begriff in den Fokus gerückt, mit dem man seiner eigenen Dummheit eine potemkin’sche intellektuelle Fassade geben kann – das Narrativ. Als Narrativ wird eine sinnstiftende Erzählung bezeichnet, die Einfluss auf die Art hat, wie die Umwelt wahrgenommen wird, es transportiert Werte und Emotionen. Kurz zusammengefasst: Quatschi-Quatschi für Menschen mit Bachelor-Abschluss.

Kanten gesucht: Wo sind die Erben Wehners, Hoeneß’ und Renate Schmids?

Wir brauchen wieder Kanten und Kantinnen – in der Politik, in der Gesellschaft, in den Unternehmen und in den Familien. Menschen, die wirklichen Klartext sprechen, Fehler zugeben und dabei Wertvolles gestalten. Was staunten einst die geladenen Gäste und CSU-Granden bei der Geburtstagsfeier von Peter Gauweiler, als plötzlich der Antichrist im faustschen Sinne die Bühne betrat -Gregor Gysi. Der Hintergrund war simpel, Gauweiler hatte seinen Freund und politischen Gegner eingeladen. Streiten, verbal ringen und sich dann vor dem Gegner verneigen – das hat doch was.

Der Wahlkampf 2023 hat gezeigt, wohin die Fahrt auch in Sachen Kommunikation geht. Bei den einen kannte man nicht einmal die Spitzenkandidaten, die anderen hofieren ihren Ministerpräsidenten im Bierzelt, als ob es zur Königskrönung geht. Gerüchte besagen, dass man ihn bereits des Nachts mit einem Hermelinpelz bemäntelt beobachtet hat, als er mit seinem Schwanenboot die Isar hinab glitt, während sein Haushofmeister sich in der Kunst des Briefschreibens übte. Als lachende Dritte zogen (beziehungsweise marschierten) die Steißgeburten dieser allgemeinen gesellschaftlichen Tendenz in den Landtag ein – nichts gestalten wollend, randvoll mit hohlen Phrasen und ohne jeden Restanstand. Das ist 2023, Hauptsache das Maul wackelt, wer will da schon seine Zeit mit aufwendigen Sachthemen verschwenden. Dann lieber ein schönes Katzenfoto:

Foto/Montage: OberpfalzECHO/Andrea Schreiber

Die Stunde der Sahnebonbons und anonymen Meinungsinhaber

Von echter Streitkultur sind wir inzwischen meilenweit entfernt, denn statt echter Kanten haben wir nur noch rundgelutschte Sahnebonbons, fair gehandelt, laktosefrei und Arbeitsplätze in der Automobilindustrie sichernd. Ist vielleicht Humor die Lösung, Deutschland ist ja definitiv der Humorstandort Nummer Eins in der Welt: bösartig und hinterfotzig, aber an Weihnachten Loriot anschauen. Auf den Humor zu setzen, erscheint mir deshalb eine Sackgasse.

“Angst essen Seele auf”

Hier und da mal eine Phrase gesetzt, ist ja noch kein Quatschi-Quatschi. Wie hier mit einem Filmtitel von Rainer Werner Fassbinder, er beschreibt meines Erachtens perfekt eine der wenigen Emotionen, zu der meine Mitbürger zu jeder Tag- und Nachtzeit fähig sind: die German Angst. Kurzum, es gibt also auch gute Phrasen (die man dann ja auch gerne Aphorismen nennt) und die dürfen in unserem Sprachschatz gerne einen festen Platz haben, auf dass er wachse und gedeihe.

Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz. Martin Luther

Auch dieses Zitat passt hervorragend als Alternative zum stattgefundenen Kontakt sehr gut zum Thema und auch zu den zahlreichen zusammengezwickten Gesäßen meiner Landsleute. Eine meiner Lieblingsphrasen ist übrigens von John Lennon und lautet: “Love is the answer!” Süß, gell? Und auch naiv. Darüber sollten wir diskutieren…

Selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass diese Suada in ihrer Grantigkeit auch jede Menge Quatschi-Quatschi enthält, dafür Optimismus lediglich in homöopathischen Dosen. Auch darüber sollten wir reden.

Knorrig, g’radraus, herzlich

Das wäre doch eine gelungene Definition, wie fruchtbare Kommunikation und streitbare Diskussionskultur funktionieren könnte und auch eine Exitstrategie aus dem Quatschi-Quatschi. Das Schöne daran: Im Rahmen dieser drei Begriffe kann jeder ganz individuell seine Persönlichkeit hineinhängen.

Auch diesmal erlaube ich selbstverständlich die Frage: “Was sollen wir denn dann machen, Herr G’scheid?” Ehrlich sein, Kante zeigen, kein Mimimi, sondern Klartext, ohne dabei nachtragend zu sein: Ich weiß natürlich, es ist die Quadratur des Kreises, die Jagd nach der eierlegenden Wollmilchsau, aber es lohnt sich. Ich könnte mir vorstellen, dass jeden von uns die Suche nach gelungener individueller Kommunikation auch ein Stück weiter zu sich selbst bringt. Und als Beifang gibt es einen Hauch Zufriedenheit noch obendrauf. Nicht schlecht, oder?

Selbstverständlich ist der Grat zwischen “hemdsärmeliger Kante” und einem “g’scherten Rammel” schmal, aber wie so oft gilt auch hier: die gesunde Mischung machts. Das sollte uns unsere Gesellschaft, unsere Mitmenschen und letztendlich auch wir selbst wert sein. Packen wirs an, auf ein Quatschi-Quatschi-reduziertes 2024!

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