Kaum zu glauben: Lehrersohn aus Waldeck bringt Béla Bartók das Komponieren bei

Waldeck. Fast alle berühmten ungarischen Komponisten gingen bei Hans von Koessler zur Schule. Der Oberpfälzer prägte außerdem die Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts mit. Doch der Mann ist fast vergessen. Das soll aber nicht so bleiben.

Kümmern sich um das Erbe von Hans von Koessler: Johannes Wagner, Josef Brunner und Professor Dr. Reinhard Herrmann (von links). Foto: Theo Kurtz

Hans von Koessler? Wer sich nicht gerade zu den Freunden der klassischen Musik zählt, wird sich mit dem Namen schwertun. Dabei war er zu Lebzeiten ein ganz Großer. Bei dem gebürtigen Oberpfälzer, der 1853 in Waldeck das Licht der Welt erblickt hatte, drückte die gesamte ungarische Komponistengarde, darunter Béla Bartók oder Emmerich Kálmán die Schulbank. Doch der Musiklehrer, der mit Max Reger verwandt und mit dem berühmten Johannes Brahms befreundet war, ist fast in Vergessenheit geraten.

2026 jährt sich der 100. Todestag

Der Heimat- und Kulturkreis (HuK) Waldeck versucht ihn seit einigen Jahren wieder aus der Versenkung zu holen. 1926 starb Koessler mit 73 Jahren verarmt im mittelfränkischen Ansbach. In drei Jahren jährt sich also der 100. Todestag des Komponisten, dessen Werke zu seinen Lebzeiten auch in London und Boston aufgeführt wurden. Der passende Zeitpunkt für den HuK, um den Mann auf die Klassik-Bühne zurückzuholen, die ihm eigentlich gebührt.

Eigener Arbeitskreis gegründet

Sich auf die Spuren von Koessler zu heften, ist alles andere als einfach. Seit 2015 kümmert sich ein eigener HuK-Arbeitskreis um das Leben und Werk des berühmten Waldeckers. Der Lehrersohn war viel auf Achse. Nach seiner musikalischen Ausbildung in München wurde er Lehrer für Chormusik und Orgel in Dresden. Dann ging es an die Oper nach Köln. Dort hielt er es allerdings nicht allzu lange aus. Er nahm ein Angebot der Liszt-Akademie in Budapest dankend an, den Lehrstuhl für Komposition zu übernehmen.

Der Komponist und Musiklehrer Hans von Koessler ist der berühmteste Sohn von Waldeck. Foto: Theo Kurtz

In den Adelsstand erhoben

Sein Engagement wurde auch gewürdigt. Dem Lehrersohn aus der Oberpfalz wurden nicht nur zwei Orden verliehen, sondern er wurde auch in den Adelsstand erhoben. Aus Hermann Koessler wurde Hermann von Koessler. 1908 ging er in den Ruhestand und zog nach Ansbach um. Dort wollte er sich nur noch dem Komponieren und dem Wandern widmen. Doch ein sorgenfreies Leben war ihm nicht vergönnt. Im Gegenteil. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zerfall der Habsburger Monarchie konfiszierte die kommunistische Regierung in Ungarn nicht nur sein gesamtes Vermögen, sondern kassierte auch gleich seine Pensionsansprüche ein.

Seine Schüler holten ihn zurück

Seine Schüler von einst holten den mittellosen Mann aber Anfang der 20er Jahre nach Budapest zurück. Doch 1925 war dann für ihn beruflich endgültig Feierabend. Koessler ging wieder zurück nach Ansbach. Wegen der zunehmenden Arterienverkalkung im rechten Fuß musste er unters Messer. Die Ärzte amputierten das Bein. Doch dieser lebensverlängernde Eingriff, wie es ihm die Mediziner vollmundig versprochen hatten, wurde für ihn zum tödlichen Verhängnis. Am 23. Mai 1926, es war der Pfingstsamstag, starb Koessler an den Folgen der Operation. Beigesetzt wurde er auf dem Heilig-Kreuz-Friedhof ins Ansbach.

Komponist starb zu früh, um sein Werk zu ordnen

Koessler hatte ja gehofft, durch die OP ausreichend an Lebenszeit zu gewinnen, um sein Gesamtwerk mal ordnen zu können. Daher gibt es bis heute keine detaillierte Übersicht. Seine Kompositionen sind weit verstreut, zum Teil sogar noch gänzlich unbekannt. “Als wir zu recherchieren begonnen haben, wussten wir von 50 Werken”, erzählt Josef Brunner vom Koessler Arbeitskreis. Mittlerweile hat man an die 170 “ausgegraben”. In erster Linie Kammermusik- und Chorkompositionen.

Ein Archiv wurde angelegt, in der alle Dokumente und Belege für die Nachwelt erhalten werden. Damit dessen Werke überhaupt aufgeführt werden können, hat der HuK mittlerweile fünf davon transkribieren lassen. Nicht ganz billig. Die Sparkassenstiftung im Landkreis Tirschenreuth hat die Waldecker dabei finanziell unterstützt.

Koessler gehört zu den großen Komponisten

Dass es so still um den begnadeten Musiklehrer und Komponisten geworden ist, der sich, laut Expertenmeinung, keineswegs hinter den ganz Großen seiner Zunft verstecken muss, hat zum einen mit seiner Person zu tun. “Er war ein sehr bescheidener Mensch”, weiß Brunner. Zum anderen, mit der Musikrichtung, der er zeitlebens verhaftet war. Er war Spätromantiker. Damit traf er aber in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr den Geschmack des Publikums. Die Moderne trat ihren Siegeszug an, zu deren Vertreter auch der ehemalige Koessler-Schüler Bartók gezählt wird.

In Waldeck ist der Komponist präsent

In seinem Geburtsort Waldeck ist er jedenfalls nicht vergessen. Es gibt nicht nur das Archiv, sondern für alle Besucher einen Stationenweg durch den Ort. Auch das Geburtshaus am Unteren Markt, mit der Hausnummer 20, steht noch. Eine Gedenktafel erinnert an den berühmten Bewohner. “Im ersten Stock des Gebäudes hatte Koesslers Vater bis zu 150 Schüler auf einmal unterrichtet”, weiß HuK-Vorsitzender Johannes Wagner.

Kommt 2026 ein Koessler-Buch?

Immer wieder einmal erinnert sich die Musik- und Geschichtswelt an den berühmten Waldecker Sohn. Das ist auch Professor Dr. Reinhard Herrmann und seinem Netzwerk zu verdanken. Der frühere Leiter des Botanischen Instituts an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ist von dem Komponisten schlichtweg begeistert. Darum lässt er nichts unversucht, um Rundfunkhäusern, Orchestern, Chören aber auch Verlagen Koessler ans Herz zu legen. Er hat damit Erfolg. Bekannte Sänger-Ensembles, wie etwa Cantabile Regensburg oder der Kammerchor Berlin, haben dessen Werke schon bei internationalen Wettbewerben angestimmt. Und anlässlich des 100. Todestags soll in der Buchreihe “Komponisten in Bayern” ein Band mit dem Waldecker Komponisten erscheinen.

* Diese Felder sind erforderlich.