„Wir fühlen uns schuldig, weil wir sicher sind“: Studentinnen aus der Ukraine an OTH in Weiden
Weiden. Zwei Studentinnen aus der Ukraine studieren gerade an der OTH in Weiden. Sie sind sicher in Deutschland, doch sie wollen ihre Familien im Krieg unterstützen. Jetzt haben sie einen Weg gefunden, wie sie auch von hier helfen können.
Anastasiia Oliinyk (21) und Anna Cheredavyk (18) sind zwei junge Studentinnen aus der Ukraine. Gerade sitzen sie in der OTH-Mensa in Weiden. Sie lachen aber nicht und reden nicht über das schöne Wetter, wie die anderen Studierenden. Nicht mehr. Sie gehen nicht viel vor die Tür, seit der Krieg in der Ukraine begonnen hat, sagen sie.
Die ersten Tage nach Kriegsbeginn haben sie von morgens bis abends nur eins gemacht: „scrolling news“, sagt Anastasiia: auf ihrem Handy die Nachrichten durchforstet. In den sozialen Medien kann man quasi live beim Krieg dabei sein. Sie haben gesehen, wie die Menschen in U-Bahnen und Keller rennen, wie Bomben einschlagen, sie haben viele Leichen gesehen, sagen sie, auch tote Kinder.
Annas und Anastasiias Familien leben in Czernowitz in der Westukraine, etwa 50 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt. Bombenangriffe gab es noch keine. Doch auch dort ist mehrmals am Tag Bombenalarm. Die Familien der Mädchen müssen in die Keller flüchten.
Der Heimat fern, dem Krieg nah
Die beiden jungen Frauen leiden auf ihre Art unter dem Krieg. „Wir fühlen uns schuldig, weil wir sicher sind“, sagen sie mehrmals. Sie hörten von Familien, Freunden, allen, dass sie das nicht müssen und sie wüssten selbst, dass es nicht richtig sei. Aber sie fühlten sich schuldig, nicht mithelfen zu können, nicht mitzuleiden, ihre Familien allein zu lassen. Während so viele aus dem Kriegsgebiet flüchten, sehnen sich die Mädchen dorthin. Doch die Eltern wollen davon nichts wissen.
„Du bist noch ein Kind, du hast im Krieg nichts verloren“, Anastasiias Vater
sagt Anastasiias Vater. Annas Familie sagt, sie hätten sonst nur noch eine mehr, um die sie sich sorgen müssten.
Nach Tagen des zehrenden Gefühls, tatenlos zu sein, haben sie nun einen Weg gefunden, um aktiv zu sein und nicht nur hilflos zuzusehen. An der OTH ist eine große Sammelstelle für Sachspenden eingerichtet. Dort helfen die jungen Frauen jeden Tag mit, sortieren, beschriften die Kartons auf Ukrainisch. Wenn am 11. März eine Kolonne an Hilfsgütern von Weiden an die slowakisch-ukrainische Grenze fährt, wollen sie auch mit dabei sein. Sie sind dann nur noch etwa 100 Kilometer Luftlinie von ihrem Heimatort Czernowitz entfernt.
„Ich habe eine Explosion gehört“
Anna studiert Wirtschaftsinformatik, Anastasiia Internationale Wirtschaftsbeziehungen. Anna weiß noch genau, wann sie in Deutschland angekommen sind: Vor einem Monat und drei Tagen. Sie hat den Kriegsbeginn quasi live mitbekommen. In der Nacht auf den 24. Februar telefonierte sie gerade mit einem Freund aus Kiew. „Wir redeten über alles mögliche, das, was uns zu dieser Zeit als wichtig vorkam.“ Dann sagt er plötzlich: „Ich habe eine Explosion gehört.“ Und plötzlich war es nur noch wichtig zu überleben. Der russische Großangriff beginnt.
Viele ihrer Freunde aus Kiew wollen flüchten, sagt sie. Doch sie trauen sich nicht auf die Straße, aus Angst, erschossen zu werden. Viele flüchteten auf die Dörfer. Die Autofahrt eines Freundes in sein Heimatdorf dauerte 21 statt 7 Stunden. Die Straßen seien blockiert.
Kindheit geraubt
Da es in ihrer Heimatstadt Czernowitz noch keine Angriffe gab und die Stadt nah an der Grenze liegt, sammeln sich dort laut Medienberichten Tausende von Menschen. Die Versorgungslage ist schlecht, es gibt immer weniger Lebensmittel, Wasser, Schlafplätze. Auch Annas Familie hat Freunde aus Kiew aufgenommen, darunter ein kleiner Junge. Vor ein paar Tagen feierten sie seinen 9. Geburtstag – und mussten die Feier unterbrechen, weil wieder Bombenalarm war und sie in der Keller flüchteten. Auch ihr kleiner Bruder (11) werde jetzt sehr schnell erwachsen. „Es tut mir so leid, dass ihnen ihre Kindheit geraubt wird“, sagt Anna, die selbst erst 18 ist.
Die jungen Frauen wollten drei bis sechs Monate in Weiden bleiben. Ihre Hochschule in Czernowitz ist eine Partnerhochschule der OTH Amberg-Weiden, besonders verbunden durch das „Kompetenzzentrum Bayern – Mittel- und Osteuropa“ (KOMO). Nächste Woche war geplant, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ukrainischen Hochschulen nach Weiden und Amberg reisen. Das ist nun abgesagt.
Ob in ein paar Monaten, wenn der Auslandsaufenthalt von Anna und Anastasiia endet, der Krieg auch zu Ende ist, kann niemand sagen. Die OTH will sie nicht in das Kriegsland zurückschicken, sagen sie.
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