Enttäuschender Auftakt: Ex-ČSSR-Innenminister kommt nicht zu Prozess

Weiden/Prag. In Prag begann am Dienstag der Prozess gegen Vratislav Vajnar, früherer Innenminister der Tschechoslowakei. Zur Enttäuschung der Ankläger blieb der 92-Jährige der Verhandlung fern. Begonnen wurde trotzdem.

Eiserner Vorhang Prozess Prag
Staatsanwältin Katarina Kandova beim Prozessauftakt. Screenshot: Ascherl

Es wäre das erste Mal, dass sich ein hochrangiger Politiker für die Tötungen am Eisernen Vorhang verantworten muss. Seit zwei Jahren war um die Verhandlungsfähigkeit von Vajnar gestritten worden. 2021 hatte ein ehemaliger Militärarzt ihm fortschreitende Demenz attestiert. Nach einer Verfassungsbeschwerde kamen 2022 neutrale Gutachter zu einem anderen Schluss: Der Greis sei durchaus fähig, einer Verhandlung zu folgen.

Richterin  Kateřina Rybáková leitete die Hauptverhandlung. Der Auftakt am Dienstag war mit Spannung erwartet worden. Anwalt Lubomir Müller, der unter anderem die Angehörigen des ermordeten Hartmut Tautz sowie den verletzten DDR-Flüchtling Jürgen Seifert vertritt, sah sich schon vorsichtig am Ende eines “Langstreckenrennens”.

Prozessbeginn ohne den Angeklagten

Der Anwältin des Angeklagten informierte das Gericht, dass sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtert habe. Vorgelegt wurden eine schriftliche Entschuldigung sowie weitere medizinische Berichte. Das Gericht entschied, dass der Gesundheitszustand erneut von einem Kardiologen, einem Psychiater und einem Gerontologen überprüft werden muss. Fortsetzung der Verhandlung ist daher erst am 15. August.

Mit Spannung hatte auch die Staatsanwaltschaft Weiden, die ihrerseits gegen Vajnar ermittelt, in die tschechische Hauptstadt geblickt. Oberstaatsanwalt Christian Härtl war überrascht über das Nichterscheinen des Angeklagten: “Mit dieser Variante habe ich nicht gerechnet.” Nach seiner Einschätzung sei der 92-Jährige “definitiv verhandlungsfähig”.

In Deutschland hätte ein Prozess ohne den Angeklagten nicht beginnen können. In Prag startete man am Dienstag trotzdem. Die Richterin verlas das Protokoll einer polizeilichen Vernehmung des Angeklagten. Darin sagt Vajnar, der von 1983 bis 1988 Innenminister war, dass er zu den ihm vorgeworfenen Tötungen und Körperverletzungen nichts wisse. Diese Angelegenheiten seien Aufgabe seines Stellvertreters gewesen.

Staatsanwaltschaft Weiden hält Verfahren für richtig und wichtig

Die Anklage sieht Vajnar konkret in der Verantwortung der Erschießung des Wanderers Johann Dick aus Amberg 1986, der Zerfleischung durch Hunde des ostdeutschen Studenten Hartmut Tautz 1986 sowie der Tötung des Tschechen Frantisek Faktor 1984. Dazu kommen vier Körperverletzungen bei Fluchtversuchen. Die Staatsanwaltschaft wirft Vajnar Amtsmissbrauch vor.

Der Weidener Staatsanwalt Härtl hofft auf eine Fortführung des Prozesses. Es gehe in solchen Verfahren, gerade gegen Personen diesen Alters, nicht um eine möglichst hohe Gefängnisstrafe. “Sondern dass tatsächlich festgestellt wird: Er war verantwortlich für das, was passiert ist.” Und weiter: “Gerade in einem historisch und politisch so brisanten Verfahren ist wichtig, dass hochrangige Vertreter eines derartigen Unrechtsstaates sehen, dass das nicht vergessen wird.”

Den Anstoß für die Ermittlungen gegen politisch Verantwortliche gab vor über sechs Jahren die Platform of European Memory and Conscience in Prag. Direktor Peter Rendek kündigte eine Presseerklärung an.

Tschechische Medien berichten über den Prozessauftakt.

Gegenstand des Verfahrens ist unter anderem die Tötung des Amberger Wanderers Johann Dick 1986.

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