Gewalt gegen Politiker nimmt erschreckend zu: Was ist zu tun?

Weiden. Seit Jahren steigt die Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker in erschreckendem Maß an. Der Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke war eine von vielen Attacken. Auch regionale Politiker sind betroffen.

Die Gewalt beschränkt sich nicht mehr nur auf Wahlplakate. Foto: Archiv OberpfalzECHO

Das Erschrecken und die Empörung sind groß nach dem Überfall von vier Jugendlichen auf den SPD-Europakandidaten Matthias Ecke am vergangenen Freitag in Dresden. Der Politiker erlitt dabei mehrere Knochenbrüche im Gesicht und musste operiert werden. Die Gewalt gegen Politiker und Ehrenamtliche steigt seit einigen Jahren erschreckend an. Auch Mandatsträger in der nördlichen Oberpfalz mussten schon Beleidigungen, Drohungen und körperliche Angriffe über sich ergehen lassen. Statt übliche Mitleidsbekundungen zu äußern, ist es höchste Zeit, konkrete Schritte gegen diese abscheulichen Taten zu ergreifen.

Kübel Schlamm auf Bürgermeister

Ende März vergangenen Jahres wurde der Nabburger Bürgermeister Frank Zeitler in seinem Amtszimmer von einem Mann angegriffen und mit einem Eimer Schlamm überschüttete. Der Mann wollte zuvor beim Einwohnermeldeamt der Stadt einen Wohnsitz anmelden. Nachdem sein Anliegen nicht erfüllt werden konnte, bat er den Bürgermeister um ein Gespräch, am Ende dessen er ihn mit dem Eimer angriff. Gegen den Angreifer ermittelt die Kripo Amberg wegen des Verdachts auf Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung und versuchter Körperverletzung. Auch Zeitlers Amtsvorgänger Armin Schärtl wurde vor einigen Jahren Opfer einer Beleidigung und Bedrohung in den sozialen Medien.

Ende Februar hatte circa ein Dutzend wütender Landwirte die Landtagsabgeordnete Laura Weber und weitere Gäste des Politischen Aschermittwochs der Grünen daran gehindert, das Veranstaltungslokal in Weiden zu betreten. Gegen die Blockierer aus dem Bauern-Lager ermittelt die Polizei.

Beim Plakatieren angegriffen und schwer verletzt: der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke. Foto: SPD

Angreifer aus rechtem Spektrum

Die Hintergründe der von vier jungen Männern verübten Attacken auf den SPD-Politiker Ecke und zuvor auf einen Wahlkampfhelfer der Grünen werden langsam klar: Zumindest einer der vier Angreifer kommt aus dem rechten Spektrum. Nicht nur aus Sicht von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow ist der Vorfall ein Resultat von Hass und Falschnachrichten. „Der Angriff gilt uns allen“, schrieb er auf der Plattform X. Mindestens zwei Bündnisse riefen für Sonntagnachmittag zu Demonstrationen in Berlin und Dresden unter dem Motto auf: „Gewalt hat keinen Platz in unserer Demokratie!“ Zu den Veranstaltungen kamen jeweils weit mehr als tausend Menschen.

Die Vorfälle reihen sich ein in eine bundesweite Folge von Angriffen auf Parteimitglieder vor den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni: Am Donnerstag waren in Essen der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) und sein Parteikollege Rolf Fliß attackiert und Fliß geschlagen worden. Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt (Grüne) war kürzlich in Ostbrandenburg nach einer Veranstaltung aggressiv bedrängt und an der Abfahrt gehindert worden. 

Jeder zweite Kommunalpolitiker betroffen

In einer aktuellen Umfrage berichten 72 Prozent der Bürgermeister von Gewalt, fast jeder zweite Kommunalpolitiker sagt, er sei auch betroffen. Am häufigsten sind Hasskommentare oder verbale Angriffe. In deutlich geringerer Zahl gibt es auch tätliche Angriffe, aber deren Wirkung ist natürlich deutlich drastischer. Lotta Rahlf vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt forscht seit Jahren zum Thema Gewalt an Politikerinnen und Politikern. Sie sagt, dass politisches Engagement gegen Rechts bereits in mehreren Fällen eine Angriffsfläche gewesen sei. „Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich gegen Rechts engagieren, Opfer von Angriffen werden. Das ist eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, der wir uns stellen müssen.“

Konkret nennt die Wissenschaftlerin zwei Erfordernisse: Erstens eine konsequente Strafverfolgung und zweitens präventive Projekte und Programme, damit rechte Narrative gar nicht erst in der Gesellschaft Fuß fassen können. „Damit die Strategie der Einschüchterung von der Wurzel her angefasst wird.“ Es gebe eine Zunahme auf allen Ebenen: von Bundesebene bis zur Kommunalpolitik, von Hass und Hetze im Netz bis hin zu Brandanschlägen. Gerade wenn es um extreme Gewalttaten geht – wie etwa um Brandanschläge und körperliche Angriffe, sei es häufig so, dass sie einen rechtsextremen Hintergrund hätten.

Demonstrationen für die Demokratie wie im Januar in Weiden sind wichtiger denn je. Foto: Jürgen Herda

„Aufgabe der Gesellschaft“

Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen besseren Schutz von Politikern und Helfern im Wahlkampf fordert: „Wir brauchen noch mehr sichtbare Polizeipräsenz vor Ort, um Demokraten an Wahlkampfständen und bei Veranstaltungen zu schützen“, hat ihr Parteikollege von der SPD, der Bundes-Polizeibeauftragte Uli Götsch aus Weiden, eine andere Sichtweise: „Der Schutz von Politikerinnen und Politikern, den Repräsentanten unseres Staates, ist erst in letzter Konsequenz Aufgabe der Polizei. Vielmehr ist die gesamte Gesellschaft gefordert, ein gesellschaftliches Klima in unserem Land zu schaffen, in dem es zu vergleichbaren Vorfällen erst gar nicht kommt.“

Abgerissene Wahlplakate, Pöbeleien, Schläge und Tritte gegen Parteivertreter: Die jüngsten Angriffe sind am Dienstag Thema bei der Innenministerkonferenz. Vor den Beratungen werden Forderungen für mehr Schutz laut. „Wir brauchen gute Präventionsangebote für politisch engagierte Demokratinnen und Demokraten und gleichzeitig eine konsequente Strafverfolgung für die Feinde der Demokratie“, sagte zum Beispiel Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. Auch Sachsen wird jetzt politisch aktiv. So soll das dortige Kabinett eine Bundesratsinitiative zur Strafverschärfung bei derartigen Angriffen beschließen, kündigte Landesinnenminister Armin Schuster an.

Vermehrt Angriffe auf Grünen-Politiker

Die Zielgruppe der Angreifer hat sich deutlich verlagert: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von Anfeindungen, so sind es nun die Grünen. Für die AfD wurden im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen bundesweit 478 Fälle aktenkundig, für die Grünen 1219. Für die SPD waren es 420, für andere Parteien weniger. Insgesamt wurden 2790 solche Straftaten gemeldet, wie die Regierung auf eine AfD-Anfrage mitteilte.

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