NS-Zeitzeuge Fred Lehner: Über Schuld, Erinnerung und einen Kommunionanzug [mit Video]

Floß. Warum Fred Lehner aus Floß wegen eines nicht bezahlten Kommunionanzugs mehr als 4.000 Vorträge über die jüdische Gemeinde aus Floß gehalten hat, erklärt er hier.

Fred Lehner, ehemaliger Bürgermeister und wandelndes Gedächtnis der Gemeinde Floß. Mit dem Schicksal der jüdischen Gemeinde ist er von Geburt an verbunden. Bild: David Trott

Fred Lehner wuchs auf dem Judenberg auf, direkt gegenüber der Synagoge ist er geboren. Er ist kein Jude, doch ihn verbindet viel mit der Gemeinde. Etwa 4.000 Führungen hat er auf dem jüdischen Friedhof und in der Synagoge gehalten, schätzt er.

Er setzte sich als Bürgermeister von Floß maßgeblich dafür ein, dass die Synagoge wieder restauriert wurde. In der Reichsprogromnacht 1938 geplündert, war sie in den Nachkriegsjahren nur noch eine baufällige Ruine. Heute ist sie wieder renoviert und erstrahlt auf dem Judenberg.

Warum Fred Lehner sein ganzes Leben dem Andenken an die jüdische Gemeinde in Floß gewidmet hat, ist eine traurige Geschichte, aber auch ein wenig lustig. Warum ein nicht bezahlter Kommunionanzug darin eine sehr wichtige Rolle spielt, erzählt er in diesem Video.

1942: Lehner erlebt Deportation der jüdischen Familien

In Floß gab es lange eine äußerst aktive jüdische Gemeinde. Mitte des 19. Jahrhunderts machten Jüdinnen und Juden 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. 1848 lebten dort 385 Personen in 64 Familien. Doch die antisemitischen Gesetze ließen die Gemeinde über die Jahrzehnte immer weiter schrumpfen. 1942 lebten dort nur noch vier Personen, die Ehepaare Ansbacher und Wittelsbacher. Da war Fred Lehner 10 Jahre alt. Er erlebte, wie auch diese letzten beiden Familien deportiert wurden und somit die jüdische Gemeinde in Floß vollends ausgelöscht wurde.

Der Judenberg in Floß. In dem blauen Haus rechts lebte die Familie Wilmersdörfer. Quelle: Gemeindearchiv Floß

Der 90-jährige Mann ist voll von Flosser Geschichten. Er erinnert sich, wie der Vorsteher der Hitlerjugend in Floß die Kinder aufgefordert hat, Steine auf das Haus der jüdischen Familie Ansbacher zu werfen. Wie der Ernst Ansbacher deshalb zornig aus dem Fenster rausgesprungen ist und die Kinder verjagt hat. Er steht vor dem Haus und zeigt auf das Fenster. “Genau da ist es passsiert.” Und plötzlich sind die 80 Jahre wie weggeblasen, und die Vergangenheit ist ganz nah.

Über nahezu jedes Haus weiß Lehner etwas zu berichten. Was er nicht im Kopf hat, findet sich in dem umfangreichen Archiv in seinem Keller, das er seit Jahrzehnten pflegt. Er erinnert sich noch genau, wie die Synagoge früher ausgesehen hat, geplündert, verwahrlost, als Lager missbraucht. Er zeigt, wo die jüdischen Familien gewohnt haben, erzählt, wie sie von der Bevölkerung diskriminiert wurden. Wo viele in seiner Generation bewusst und unbewusst weggeschaut und vergessen haben, da erinnert er sich und schaut hin.

Mehr als “Es war einmal”

“Wir sind in Schuld geraten”, sagt Lehner. Doch er belässt es nicht bei dieser allgemeinen Aussage, sondern diese Erkenntnis ist seine Motivation für die Tausenden Vorträge und Initiativen, die er gestartet hat, um die Erinnerung an die jüdische Gemeinde wachzuhalten. Es reiche nicht, Erinnerungen zu pflegen und im “Es war einmal” stehenzubleiben. Der sehr alte, sehr wache Fred Lehner hat fest die Gegenwart und Zukunft im Blick, wenn er fordert: “Die Geschichte darf sich nicht wiederholen.”

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