Zweiter Vorstand (35) im WSW-Prozess: Blauäugig oder ausgebufft?

Weiden. Keine Frage: Am Geschäftsmodell der WohnSachWerte eG haben viele Menschen viel verdient. Manchen gefiel auch ein Titel, der was hermachte, Wie Peter B., 35, den die Angeklagte Tina K. zu ihrem zweiten Vorstand machte. Viel tun musste er nicht dafür.

“Businesspeople”. Ralf K. darf in der Verhandlungspause mit einem geliehenen Smartphone mit seinem erkrankten Anwalt Michael Haizmann telefonieren. Links Tina K. mit Verteidigern. Foto: Christine Ascherl

Entweder ist dieser Mann total ausgebufft – oder treudoof. Im WSW-Prozess steht am Mittwoch der zweite Vorstand Peter B. vor Gericht. Ein dunkelblonder Regensburger, 35 Jahre alt. Der frühere Versicherungskaufmann mit dualem BWL-Studium kam zu seinem Posten wie die Jungfrau zum Kind. Die angeklagte Tina K. habe ihn “aus inniger Freundschaft” angeworben. Er will nicht geahnt haben, dass hier mindestens 12.000 Genossen geneppt worden sein sollen.

„Mir hat dieser Genossenschaftsgedanke gefallen“, schwärmt er vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Weiden. Sprich: Immobilien zu erwerben und damit Gelder für Genossen zu erwirtschaften. Sein Part war der “Aufbau der Immobilienabteilung“. Es gilt, wie so oft in der WSW: Mehr Schein als Sein. Nach vier Jahren hatte die WSW noch keine Immobilie (außer einer 28-Quadratmeter-Wohnung). Bei Einnahmen von über 14 Millionen Euro.

Überspitzt gesagt: 9400 Euro fürs Googeln

Der 35-Jährige sagt, er sei ganz nah dran gewesen am Immobilienkauf. “Tagtäglich” habe er im Internet nach geeigneten Häusern recherchiert. Überspitzt gesagt: Er googelte in “Immoscout.24” herum und ließ sich mit einem Onlinetool (“immocation.de”) die Rentabilität berechnen. Sein Monatsgehalt: 9400 Euro brutto. Einen Arbeitsvertrag gab es nicht. Wäre es nicht zur Festnahme gekommen, hätte er im Jahr 100 Wohneinheiten generiert. “Die Pipeline lag.”

Der Wortwechsel zwischen Gericht und dem Zeugen ist phasenweise reif fürs Kabarett. Der Vorstand sagt, die Banken hätten Finanzierungen verweigert, weil bis 2021 keine Bilanzen vorlagen. Richter Peter Werner: „Dann war Ihre ganze Arbeit 2020 sinnlos?“ Der Vorstand: „Nein, das würde ich nicht sagen. Ich musste ja erstmal ein Netzwerk aufbauen: aus Maklern, Bauträgern und Handwerkern. Das musste ja alles getan werden.“ 

Privat fleißig Wohnungen gekauft

Richter Matthias Bauer hakt nach: „Sie hatten Handwerker, obwohl Sie noch gar keine Immobilien hatten?“ Der Vorstand sagt: “Ich habe auch Kontakt zur BayWa aufgebaut für künftige Einkäufe.” Richter Bauer ungläubig: “Muss man eine Beziehung aufbauen, bevor man bei der BayWa einkauft? Ich bin da letztes Jahr hin und habe gesagt: 10 Quadratmeter Hofpflaster.” Der Vorstand sieht das anders: “Bei einem funktionierenden Netzwerk schwingt auch Emotionalität mit.”

Um es abzukürzen: Immobilien wurden schon gekauft. Aber nicht für die WSW. Ralf K. kaufte für die Familien-GmbH für eine halbe Million Euro ein Mehrfamilienhaus in Rothenstadt sowie eine Wohnung in der Regensburger Straße. Im gleichen Wohnblock schlug Peter B. zu und erwarb privat zwei Appartements. Für die WSW kaufte man dort immerhin eine 1-Zimmer-Wohnung für 78.000 Euro, in die dann ein “Genosse” einzog. “Wie hat man denn diesen glücklichen Genossen ausgewählt?”, will Richter Werner wissen. Der Vorstand: “Der kam über den Makler und wurde dann Mitglied.”

Freunde und Bekannte gaben Förderdarlehen

Er habe alles geglaubt, keinen Einblick in die Finanzen gehabt und oft auch blanko unterschrieben. “Sie waren Vorstand!”, sagt Staatsanwalt Wolfgang Voit. Er hätte sich doch zumindest wundern müssen, dass da 12.000 Genossen einzahlten, aber angeblich kein Geld für den Wohnungskauf übrig war. Peter B. sagt: “Ich habe Frau K. vertraut. Sie war mein Seelenmensch.”

Es ist ein ganz bitterer Tag für zwei Gläubiger, die im Zuhörerraum sitzen. Sie vermissen jedes Unrechtsbewusstsein. Einer ist der Sohn eines inzwischen verstorbenen Ehepaars, das dem Nachbarn Peter B. gutgläubig ein Förderdarlehen von rund 160.000 Euro gewährte. Für ihn ist ein Teil des Erbes futsch. Der zweite Herr steuerte 70.000 Euro bei. Er kannte Ralf K. aus früherer Zeit als zuverlässigen Finanzierer. Sein Geld hat er bis heute nicht zurück. Der Traum vom Segelboot im Ruhestand – erstmal ausgeträumt.

Insolvenzverwalter wartet Prozessausgang ab

Sie alle haben ihre Außenstände beim Insolvenzverwalter in Nürnberg angemeldet – und mit ihnen tausende “Genossen wider Willen”. Dr. Hubert Ampferl, so hört man, will den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Erst dann wird festgelegt, wie die Masse verteilt wird. Kurios ist dabei, dass auch der Angeklagte Ralf K. Forderungen angemeldet hat: Ihm stünden noch Provisionszahlungen zu.

Am Mittwoch fand ein weiteres Verständigungsgespräch der Verteidiger und des Staatsanwalts mit dem Gericht statt. Schon vor Weihnachten hatte die Strafkammer abgesteckt, wie es den Stand der Beweisaufnahme sieht. Demnach halten es die Richter für schwer nachzuweisen, dass die Genossenschaft nur zum Zwecke des Betrugs gegründet wurde, so wie in der Anklage vorgeworfen. Tina K., am Mittwoch in Königsblau, balancierte auf einem schmalen Grat zur Illegalität.

Strafmaß: Staatsanwalt nennt Hausnummer

Tausendfacher Betrug bleibt wohl trotzdem übrig: Weil die Online-Verträge vermutlich großteils formunwirksam geschlossen wurden – und das zumindest Tina K. und ihrem Sohn sehr bewusst gewesen sein soll. Die Staatsanwaltschaft reduzierte ihre Erwartungen auf 6 bis 7 Jahre für die Vorständin, 4 Jahre für den Ehemann und 5 bis 5,5 Jahre für den Sohn. Vorständin und Ehemann befinden sich seit fast zwei Jahren ununterbrochen in Untersuchungshaft (wird angerechnet), der Sohn war nach 4 Monaten entlassen worden. Im Fall einer Verurteilung kann passieren, dass er noch am längsten einsitzen muss.

Hinter den Kulissen wird weiter hart gerungen. Das Gespräch vom Mittwoch wird am Donnerstag fortgesetzt, Verhandlungsbeginn ist erst um 13.30 Uhr.

WSW
In diesem Komplex befindet sich die einzige Wohnung der WSW WohnSachWerte eG: 28 Quadratmeter groß, Kaufpreis 78.000 Euro. Foto: Christine Ascherl

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