Bürgermeister im Landkreis Tirschenreuth tüfteln an der Zukunft

Tirschenreuth. Von wegen Sommerloch: Die Bürgermeister des Landkreises Tirschenreuth mussten zwar nicht noch schnell die Welt retten – aber unter anderem die erneuerbaren Energien, die kommunale Wärmeplanung und die E-Ladesäulen auf den Weg bringen.

Der Tirschenreuther Landrat Roland Grillmeier fordert die Entnahme des Fischotters. Foto: Jürgen Herda

Landrat Roland Grillmeier drückt vom Start weg aufs Gaspedal: „Wenn sich alle Referenten an die Zeitvorgabe halten, können wir’s in zweieinhalb Stunden schaffen.“ Neben organisatorischen und personellen Tagesordnungspunkten (Infobox unten) geben Klimakrise und Gesetzesinitiativen der Bundesregierung die Themen vor – Bürgermeister und Landratsamt Tirschenreuth wollen sich allerdings nicht von der Ampel treiben lassen, sondern lieber eigene Akzente setzen.

„Energiewende und Wärmeplanung sind größter Themenblock”, sagt der Landrat, „wir bereiten uns seit Monaten vor. Gott sei Dank ist das Heizungsgesetz noch einmal verändert worden.” Das gebe den Betroffenen mehr Zeit, werfe aber auch viele neue Fragen auf: 

  • Muss jede Kommune planen, und wenn ja, macht das Sinn? 
  • Was ist mit Kommunen unter 10.000 Einwohnern?
  • Wenn diese nicht planen, müssen die Bürger dann eine Wärmepumpe einbauen?
Wirtschaftsförderer und Kreisentwickler Anton Kunz. Foto: Jürgen Herda

Landkreis hat geliefert

Bei der Standortsuche für Solarparks und Windräder habe der Landkreis geliefert. Nach dem Wind-an-Land-Gesetz sollen bis 2027 1,4 Prozent und bis 2032 zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windräder verfügbar sein. „Was ist aber mit den Kommunen, die nicht gemeldet haben?“, fragt sich Grillmeier. „Gut finde ich Zusammenschlüsse, die Standorte gemeinsam danach aussuchen, wo es am meisten Sinn macht.“

Der Landkreis habe sich schon 2020 mit einem Klimamanager befasst, man habe sich auch der Wasserstoff-Initiative Neustadt/Waldnaab angeschlossen. „Wir haben viele gute Partner, starke Gewerbestandorte, die Wirtschaft und die Menschen erwarten das von uns“. Deshalb sei man auch in Gesprächen mit dem Bayernwerk, um die Chancen auszuloten, inwieweit man die Gasleitungen für andere Energieformen nutzen kann.

Klimaschutzmanager Lukas Faltenbacher. Foto: Jürgen Herda

Landkreis-Rahmen für die Energiewende

Mit im Boot bei der Energiewende: Wirtschaftsförderer und Kreisentwickler Anton Kunz: „Wir waren bei der Sparkasse, um uns die Investorenmodelle anderer Regionen anzuschauen, die mit ihren Netzwerken schon weiter sind.“ Der Wasserstoff-Modellregion Neustadt/Waldnaab habe man sich bereits im März angeschlossen. „In einem Zwischenschritt machen wir ein Interreg-Projekt mit der OTH, der FH Hof, der Stadt Weiden, dem Landkreis Hof, und der Region Karlsbad.“ Parallel bereite man einen HyPerformer-Antrag vor, mit dem eine H-Tankstelle, H-Fahrzeuge, die H-Produktion, aber auch privatwirtschaftliche Investitionen gefördert werden können. 

Klimaschutzmanager Lukas Faltenbacher beschreibt seine Grundidee: „Wir wollen landkreisweite Steuerungsmöglichkeiten für erneuerbare Energien.“ Der Ausbau des Anteils Erneuerbarer Energien sei unerlässlich, der eingeforderte Prozentsatz könne je nach Bedarf weiter wachsen: „Wir sollten uns Gedanken machen, wo und wie das geschieht.“ Dazu gebe es etwa in Falkenberg oder Wiesau bereits Kriterienkataloge: „Wir wollen gemeinsam mit allen Kommunen einen Rahmen schaffen, bei dem Bürgerbeteiligung und der Sitz der Investoren eine wichtige Rolle spielen.“

Corinna Loewert, Projektleiterin beim Energie-Technologischen Zentrum Nordoberpfalz (etz). Foto: Jürgen Herda

etz: Heiz-Poker statt Heizhammer

Corinna Loewert, Projektleiterin beim Energie-Technologischen Zentrum Nordoberpfalz (etz) macht deutlich, dass zur Erreichung der Klimaziele – der Bund will bis 2045 CO₂-neutral sein, Bayern bereits 2040 – nicht der Strom, sondern die Wärmeerzeugung der Knackpunkt sei: „Über die Hälfte des Energieverbrauchs geht in die Wärme.“ Dennoch gebe es keinen Grund zur Panik: „Das Heizungsgesetz schreibt für neue Anlagen vor, dass sie ab 2024 zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen – also auch mit Strom.“ 

Dazu kämen Härtefall-Regelungen und Übergangsfristen bis zu 13 Jahren. „Wenn eine Kommune mit 10.000 bis 100.000 Einwohnern eine Wärmeplanung hat, greift das Gesetz erst 2028 – bei mehr als 100.000 Einwohner bis 2026.“ Unklar sei, wie bei Gemeinden unter 10.000 Einwohnern verfahren werde: „Da ist momentan eine Pflicht in vereinfachtem Verfahren in der Diskussion“, sagt Loewert, „die finale Entscheidung soll heuer im Herbst fallen.“ Für die Bürgermeister eine Wahl der Qual: „Wenn Sie abwarten, kann es sein, dass sie keine Förderung mehr bekommen.“

OTH-Energie-Papst Professor Markus Brautsch stellt die Regional Energie GmbH bei der Bürgermeister-Konferenz in Tirschenreuth vor. Archivfoto: Jürgen Herda

Regionalenergie Bayern: Professor Brautsch und Ziegler-Duo

Regionale Energie aus der Region für die Region ist die Zielsetzung der Regionalenergie Bayern, hinter der so illustre Persönlichkeiten stehen wie der OTH-Energie-Papst Professor Markus Brautsch, Matthias Ziegler, Chef des Erdenwerks, das in Stein mittlerweile auch Brennstoffe wie Holzpellets und Holzbriketts herstellt, und Josef Ziegler, der inzwischen als Energieproduzent mit einem Mix aus Photovoltaik- und Windkraft-Anlagen in die Erzeugung von grünem Wasserstoff einsteigen will. Mit von der Partie ist außerdem Südwerk-Chef Manuel Zeller Bosse, Spezialist für Solarparks.

Brautsch habe in mehr als zehn Jahren über 500 Kommunen in puncto Energiewende betreut: „Viele kommen nicht in die Umsetzung, weil es an der Akzeptanz fehlt“, sagt der OTH-Professor. Da sei die Kooperation zweier starker regionaler Akteure schon einmal hilfreich. „Die Energiewende muss mit Beteiligung der Bürger geschafft werden“, sagt Brautsch. Wohlgemerkt: Nicht nur Strom, Energie ist gefragt. „Wir streben langfristige Betreibermodelle in der Region und den Ausbau der Sektorentkoppelung von Photovoltaik, Windkraft und Biomasse an.“

Peter Metz, Geschäftsführer der Firma Qwello aus Frankfurt. Foto: Jürgen Herda

Regionaler Stromtarif

Die Regionalenergie Bayern GmbH biete alles aus einer Hand: Beratung, Planung und Realisierung. Dazu gehöre die technische und wirtschaftliche Bewertung von Flächen: „Wo passt der Park?“, nennt Brautsch Kriterien, „weniger Einsehbarkeit bedeutet weniger Störung und mehr Akzeptanz bei frühzeitiger Einbindung der Bürger und Unternehmer.“ Gleichzeitig müsse für die Wirtschaftlichkeit des Projekts sichergestellt sein, dass Einspeisepunkte vorhanden sind. 

Am Ende des Prozesses stehe beispielsweise ein Solarpark mit Sitz in der Kommune: „Die kann sich daran beteiligen, bekommt Beteiligungsgewinne und Steuern.“ Noch interessanter aber sei die Gestaltung eines regionalen Stromtarifs. „Wir wollen nicht nur eine physische Direktleitung, sondern einen Regiotarif – was man nicht in Echtzeit nicht verbraucht, wird verkauft. Was man nicht hat, muss zugekauft werden.“ Bleibt nur eine Frage aus dem Plenum: „Was hindert euch loszulegen?“ In erster Linie langwierige Genehmigungen, erklärt Matthias Ziegler, „und natürlich auch der Netzausbau“.

Sebastian Putzer vom Landratsamt Tirschenreuth, referiert zum Stand der Einführung des digitalen Bauantrags. Foto: Jürgen Herda

E-Ladesäulen auf dem Land und im Dorf

Einen Beitrag zur Mobilitätswende mit E-Ladesäulen auf dem Land und im Dorf will Peter Metz, Geschäftsführer der Firma Qwello aus Frankfurt, leisten. In Bärnau, Falkenberg, Wiesau und einigen anderen Kommunen führe sein Unternehmen bereits gute Gespräche: „Wir bauen die Ladesäulen eigenwirtschaftlich auf, die Gemeinden müssen nichts bezahlen“, beschreibt Metz das Geschäftsmodell. „Und zwar vom Aufbau bis zum Netzanschluss.“ Während andere Anbieter nur Großstädte bedienten, habe Qwello frühzeitig den ländlichen Raum erschlossen: „Angefangen in der Vulkaneifel bei Gerolstein“, sagt Metz, „wir glauben daran, dass sich dieser Case durchsetzen wird, brauchen aber auch eine bestimmte Zahl von Sessions pro Tag“. Jeder Branche ihre Anglizismen.

Deshalb bevorzuge man am Land Orte mit touristischer Infrastruktur, wie den Zoigltourismus in Falkenberg, das mit unter 1000 Einwohnern normalerweise nicht ins Raster passe. Oder den Geschichtspark in Bärnau und frequentierte Einkaufszentren. Naturgemäß weniger attraktiv für Qwello: Einfamilienhaus-Siedlungen mit PV am Dach und Wall-Box in der Garage. „Wir brauchen Sondernutzungs- oder Gestattungsverträge für mindestens acht Jahre, da in den ersten drei Jahren noch nicht so viele Lader kommen.“

Bürgermeister Sebastian Dippold und Andrea Fütterer vor öffentlichen E-Ladesäulen auf dem Gelände der Firma Fütterer Stahl- und Metallbau GmbH in Neustadt/WN. Foto: Stadt Neustadt/WN

Schnelles Internet läuft

Die Lage beim Breitband- und Mobilfunkausbau beschreibt Florian Rüth, seit 2001 Regionalmanager des Landkreises Tirschenreuth. „Bei der Bayerischen Breitbandinitiative haben alle 26 Kommunen mitgemacht, 100 Prozent der Projekte sind in Betrieb.“ An der derzeitigen Gigabit-Richtlinie würden sich 20 der 26 Gemeinden aus dem Landkreis beteiligen, andere hätten andere Wege gewählt. „Die Instrumente werden top genutzt, wir werden auch bei Glasfaser immer besser.“

Auch bei der Mobilfunkversorgung finde ein stetiger Ausbau statt – eigenwirtschaftlich oder mit dem bayerischen Förderprogramm, das 2022 ausgelaufen ist und 2023 mit Neuerungen weitergeführt werden soll. „LTE-Lücken sind genauso förderberechtigt wie Glasfaser, und die Fördersumme wird auf eine Million Euro erhöht – es liegt aber immer noch in Brüssel zur Notifizierung.“

Florian Rüth, Regionalmanager des Landkreises Tirschenreuth. Foto: Jürgen Herda

Mobilfunk nur auf der Karte tadellos

Soweit also alles gut? Von wegen: „Auf der Karte sieht das gut aus, aber jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell man Probleme bekommt, wenn viele Leute im Netz sind oder es topografische und jahreszeitliche Einflüsse gibt.“ Rüth schlägt deshalb eine landkreisweite Mobilfunkmessung vor, die eine realistische Darstellung der Schwachstellen als Grundlage für Netzbetreiber und Förderprogramme ermöglicht. Kostenpunkt: 35.000 Euro. 

Bei Klaus Meyer, Bürgermeister von Bad Neualbenreuth, rennt er damit offene Türen ein: „Die arbeiten nicht mit uns zusammen, wir bauen einen Mast für 500.000 Euro, 50.000 Euro Eigenleistung, und die Telekom zeigt uns immer die gleiche Karte, nach dem Motto, ,ihr seid ja versorgt’.“ Und jetzt wolle Vodafone bauen: „Das Geld hätten wir uns sparen können, da wird nichts abgesprochen“, schimpft Meyer. „Das sind Steuergelder, wir müssen da Dampf machen – es kann nicht sein, dass das Ministerium dabei zuschaut.“

Max Siller, neuer Vorsitzender des Kreisjugendrings Tirschenreuth, stellt seine Ziele vor. Foto: Jürgen Herda

Bürgermeister-Dienstversammlung im Landkreis Tirschenreuth

Undramatisch: Bürgermeister Klaus Meyers Kassenbericht des Bayerischen Gemeindetags für den Kreisverband Tirschenreuth für die Jahre 2021 und 2022.

Frischer Wind: Max Siller, neuer Vorsitzender des Kreisjugendrings Tirschenreuth, stellt seine Ziele vor. „Wir müssen die Jugendlichen wieder rausholen“, beschwört er seine Altersgenossen, auch wenn sich der 21-Jährige beim Plausch mit seiner Schwester, 15 Jahre, gar nicht mehr so jung fühlt. „Die Menschen haben gemerkt, es ist angenehm daheim zu sitzen und auf Facebook unsachliche Kommentare zu hinterlassen.“ 

Schneller Bauen: Sebastian Putzer vom Landratsamt Tirschenreuth, referiert zum Stand der Einführung des digitalen Bauantrags. Nach dem Bayerischen Digitalgesetz sind die Behörden verpflichtet, bis zum 1. Januar 2024 digitale Verfahren zuzulassen. Das Landratsamt sei da auf einem guten Weg. Landrat Roland Grillmeier erhofft sich davon eine Beschleunigung, besonders bei komplizierten Anträgen im Außenbereich und mehr Transparenz für die Bürger.

Wie viel Fläche hat der Landkreis? Das Sachgebiet Kreisentwicklung beim Landratsamt Tirschenreuth stellt eine Flächenpotenzialanalyse Nordoberpfalz vor.

Ehrenvoll: Es gibt eine neue Ehrungssatzung des Landkreises Tirschenreuth.

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