Wenn der Alltag zum „Qualtag“ wird

Thumsenreuth. Die an Multiple Chemical Sensitivity (MCS), wie die „Vielfache Chemikalienunverträglichkeit“ hierzulande heißt, erkrankte Thumsenreutherin Petra Schön hat mit 48 Jahren ihren Lebensmut verloren. Das führt sie auf die durch Pestizide, Glyphosat und Flugzeugabgase verpestete Umwelt zurück.

Von Udo Fürst

Petra Schön, Depression Umwelterkrankung, 3
Seelisch und körperlich schwer angeschlagen durch Umweltgifte: Petra Schön. Fotos: Udo Fürst.

Es ist ein schwacher Trost für Petra Schön, dass sie etwa eine halbe Million Leidensgenossen zwischen Berchtesgaden und Flensburg hat. So viele Männer und (meist) Frauen leiden nämlich in Deutschland an MCS, der Multiple Chemical Sensitivity, wie die „Vielfache Chemikalienunverträglichkeit“ hierzulande heißt. Experten schätzen, dass weltweit zwischen circa drei und zehn Prozent der Bevölkerung von MCS betroffen sind.

Obwohl die Krankheit MCS eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen ist, wird sie von den meisten Krankenkassen nicht anerkannt. Das erschwert die Situation für Betroffene natürlich ungemein. Petra Schön:

Es geht an die Substanz, wenn du fast alles selbst zahlen musst.“

Ausgelöst wird die Krankheit durch eine starke Unverträglichkeit von vielfältigen flüchtigen Chemikalien wie Duftstoffen, Zigarettenrauch, Lösemitteln, Abgasen oder – wie die Thumsenreutherin in ihrem Fall zu wissen glaubt – von Flugzeugabgasen und Pestiziden.

Was tun gegen Umweltkrankheit?

Dr. John Ionescu, Gründer und wissenschaftlicher Leiter der Spezialklinik Neukirchen Heilig Blut, hat sich auf Umweltleiden und Allergien spezialisiert. Seit 30 Jahren werden in seiner Akutklinik Allergien sowie Haut- und Umwelterkrankungen anhand eines ganzheitlichen, cortison- und bestrahlungsfreien Therapiekonzeptes behandelt. „Es gibt keine Wundermittel gegen Umwelterkrankungen, nur ganz individuelle Therapien. Zunächst ermitteln wir anhand spezieller Tests und Untersuchungen die Sensibilität der Patienten gegenüber Pestiziden und anderen Umweltgiften“, erklärt der Mediziner. Wer unter Holzschutzmitteln leide, benötige eine andere Behandlung als Menschen mit einer Schwermetallbelastung. „Wichtig ist zunächst, dass die Verursacher der Umweltkrankheit beseitigt werden“, sagt John Ionescu..

Genau hier sieht Petra Schön das Problem: “Was kann man denn als Einzelner dagegen machen?“ Besonders schlimm sei es, wenn die Spritzsaison in der Landwirtschaft beginnt. Sie vermutet, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Pflanzenschutzmittel gespritzt worden seien. „Es geht an die Substanz wenn du weißt, dass dieses Nervengift wieder gespritzt wird und du nichts dagegen tun kannst.“ Ebenso allergisch reagiere sie auf Elektrosmog und das von Flugzeugen verursachte Kohlendioxid. „Ich bin dann müde, kraftlos und kann mich kaum bewegen.“ So sei auch nicht an Arbeit oder gar ihren geliebten Sport zu denken, sagt die ehemalige Arzthelferin.

Umwelt vergiftet Petra Schön

Die Leidenszeit der früher sportlichen Frau begann vor etwa fünf Jahren. „Ich konnte nicht mehr schlafen und hatte einen üblen salzig-bitteren Geschmack im extrem trockenen Mund.“ Sie sei immer kraftloser geworden, habe kaum noch sprechen können und zudem an immer stärkeren Hautreaktionen gelitten. Mit der Zeit habe sie die Vergiftung auch durch brennende Augen, eine raue Kehle, eine kaputte Darmflora, Lungen- und Nierenprobleme, gestörten Stoffwechsel und letztlich seelischen Stress geäußert. „Du wirst schnell als Verrückte abgestempelt.“ Seit Beginn ihres Leidens ist sie ohne Beschäftigung, verbringt viel Zeit in ihrem kleinen Gartenhäuschen. Dort wächst zwar Obst und Gemüse, das sie aber nicht isst. „Mir graut vor den Äpfeln, Gurken oder Lauchzwiebeln, weil ich weiß, dass das alles mit Pestiziden belastet ist.“

Petra Schön kann nicht begreifen, dass „heutzutage alles gemessen wird“, nicht aber die größten Dreckschleudern wie Flugzeuge oder der Giftcocktail, der ständig auf Felder und Weisen aufgebracht werde. „Pestizide sind 15 Monate nicht abbaubar und belasten Mensch und Tier auch im Winter.“ Die zierliche und ernste Frau weiß nicht mehr, wann sie zuletzt unbeschwert oder gar fröhlich war. „Wenn der Alltag dermaßen negativ beeinflusst ist, verliert man schnell den Lebensmut“, sagt sie resignierend. Wie zum Beweis für die vergiftete Umwelt zeigt sie eine Handvoll toter Marienkäfer. „Einen habe ich mit einer Wasserdusche retten können.“

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Diesen Marienkäfer konnte Petra Schön retten. Ein gutes Dutzend seiner Artgenossen kam jede Hilfe zu spät. Die kranke Frau führt dies auf die vielen Umweltgifte zurück.
Petra Schön, Depression Umwelterkrankung, 1

Bilder: Udo Fürst 

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