Kemnath schwimmt im Geld

Kemnath. Die 5.500-Einwohner-Stadt gilt seit einigen Tagen als einer der reichsten Kommunen im Freistaat. Dafür verantwortlich ist eine Weltfirma, die seit fast 60 Jahren in der ehemaligen Kreisstadt im westlichen Landkreis Tirschenreuth ein Werk betreibt.

Von Udo Fürst

Siemens Kemnath Büro
Ein unscheinbarer Bürobau in Kemnath ist die Geldmaschine. Hier ist unter anderem die Siemens Trademark GmbH & Co. KG untergebracht. Foto: Ralf Münch

Kemnaths Bürgermeister Werner Nickl (CSU) kann sich gemütlich zurücklehnen. Wenn er am 30. April mit 64 Jahren freiwillig aus dem Amt scheidet, hinterlässt er aller Voraussicht nach eine Stadt, die im Geld schwimmt. Für das laufende Jahr kalkuliert Kämmerer Roman Schäffler mit Gewerbesteuereinnahmen von sage und schreibe 98 Millionen Euro. Das ist mehr als das 60-fache dessen, was die Stadt vor drei Jahren an Gewerbesteuer bekam. Zum Vergleich: Die Stadt Weiden rechnet mit circa 25 Millionen Euro bei rund 43.000 Einwohnern.

98 Millionen Gewerbesteuereinnahmen

„Das stimmt schon so“, antwortet Nickl auf die Frage, ob das denn überhaupt wahr sein kann. Die 98 Millionen Euro stehen im Haushaltsplan, den der Stadtrat eigentlich vor zwei Wochen beschließen wollte. Die Sitzung fiel wegen der Corona-Krise aus. Woher das viele Geld genau stammt, will Nickl wegen des Steuergeheimnisses nicht verraten. Nur so viel: Seitdem Kemnath 2018 seine Gewerbesteuer von 340 auf den bayernweit niedrigsten Hebesatz von 230 Punkten gesenkt hat, schießen die Einnahmen nach oben.

Bürgermeister Kemnath Werner Nickl
Bürgermeister Werner Nickl Foto: Stadt Kemnath

Rund ein Dutzend Firmen hätten sich seitdem in Kemnath angesiedelt, Neugründungen oder Verlagerungen aus Grünwald, dem Münchner Speckgürtel mit einem ebenfalls niedrigen Hebesatz von 240 Punkten. Teils handelt es sich laut Kämmerer Schäffler um Holdings oder Verwaltungseinheiten aus dem Siemens-Konzern. Im Jahr der Kemnather Gewerbesteueroffensive ging Siemens Healthineers an die Börse, was der Stadtkasse schon mal viel Geld einbrachte. Denn Kemnath ist einer der Standorte des Medizintechnikherstellers, das Werk mit rund 1200 Beschäftigten ist größter Arbeitgeber. Mit den Gewerbesteuereinnahmen ging es weiter aufwärts: Von 1,6 Millionen Euro im Jahr 2017 auf knapp 14 Millionen Euro im vergangenen Jahr.

Markenrechte-Büro in Kemnath

Und die explosionsartige Steuervermehrung, die nun zusätzlich erwartet wird? Siemens-Konzernsprecher Wolfram Trost nennt auf Anfrage einen zweiten Grund für den Kemnather Steuersegen: Die Ansiedlung der Siemens Trademark GmbH & Co. KG in Kemnath. Das ist zwar nur ein unscheinbares Büro mit wenigen Mitarbeitern, die aber hüten einen gewaltigen Schatz: Die Markenrechte für den weltweit bekannten Namen Siemens. Deren Zeitwert gibt der Konzern mit rund 9,5 Milliarden Euro an.

Wie sich das Hin- und Hergeschiebe der gewaltigen Geldströme auf die Kemnather Stadtkasse auswirkt, erklärt Trost so: Für die Verwendung des Markennamens zahlt die Siemens AG an die konzerneigene Firma Trademark jedes Jahr Lizenzentgelt. Das waren für neun Monate im vergangenen Jahr fast 600 Millionen Euro. Für das Gesamtjahr 2020 wird ein entsprechend höherer Betrag erwartet. So fallen am Firmensitz von Trademark in Kemnath riesige Erträge an, auf die Gewerbesteuern fällig werden. Und zwar nicht nur in diesem Jahr. Bis 2023 kalkuliert die Stadt mit Gewerbesteuereinnahmen von rund 80 Millionen Euro – in jedem einzelnen der Jahre wohlgemerkt.

Auch Konzern profitiert

Der Konzern profitiert im Gegenzug vom niedrigen Gewerbesteuersatz. Warum Siemens Trademark ausgerechnet in Kemnath angesiedelt hat, erklärt Konzernsprecher Trost mit Hinweis auf die guten Beziehungen zur Stadt. Außerdem: „Gegenüber anderen Gemeinden fällt Kemnath dadurch auf, dass das erwartete zusätzliche Steueraufkommen durch eine Satzsenkung im Ergebnis mit den Gewerbetreibenden geteilt wird.“ Der Konzern und die Stadt teilen sich also den Steuerkuchen.

Kemnaths Nachbarn werden ebenfalls profitieren. Über die Kreis- und Bezirksumlage wird nach Nickls Einschätzung mit Zeitverzug rund die Hälfte des vielen Geldes aus der Stadt dorthin abfließen, für andere Kommunen werde dann die Umlage sinken. Für Kemnath bleibt mehr als genug übrig. Nickl ist bereits in Verhandlungen mit örtlichen Geldinstituten, wo zunächst 55 Millionen Euro geparkt werden können, ohne dass Verwahrgeld anfällt.

Nachhaltiger Plan

Auch wenn die Stadt am liebsten eine Party gefeiert hätte, die aber der Corona-Krise zum Opfer fällt: Verschwendet werden soll nichts, sagt der Bürgermeister. Das Argument, „wir können uns das nicht leisten“, gebe es nun in Kemnath nicht mehr. Allerdings müssten Projekte für die kleine Stadt auch zu stemmen und sinnvoll sowie nachhaltig sein.

Das braucht einen Plan, den der neugewählte Stadtrat erarbeiten muss. Ein Weg wäre die Gründung einer Bürgerstiftung, sagt Nickl, der bald zwar das Bürgermeisteramt abgibt, sich aber erneut in den Stadtrat wählen ließ, „weil es jetzt gerade so spannend ist“.

Dass sinnvolles und trotz des Geldsegens sparsames Wirtschaften in Kemnath auch weiterhin angesagt sein dürfte, dafür wird Kämmerer Roman Schäffler höchstselbst sorgen. Der von der CSU/CLU nominierte Politneuling setzte sich in der Bürgermeister-Stichwahl gegen Hermann Schraml (Freie Wähler) mit 54,5 Prozent der Stimmen durch.

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