110 Jahre Truppenübungsplatz

Grafenwöhr. Der Truppenübungsplatz schreibt 110 Jahre Geschichte. 

Von Gerald Morgenstern 

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Unter der Federführung der US-Armee entwickelte sich die Training Area Grafenwöhr zum Platz für Multinationale Ausbildungen und Übungsvorhaben.

„O Wanderer stehe still und hör’ was ich dir sagen will! 25 Meter südlich dieser Stelle hat am 30. Juni 1910 früh 8 Uhr hat die 15 cm Granate 80Z, aus s. Feldhaubitzen v. der Grünhundhöhe kommend, als erstes Artillerie-Geschoss auf dem Truppenübungsplatze, 800 Meter vor dem Ziele ihren Geist aufgegeben“. So ist es auf einem Marterl an der Einschlagsstelle mitten im Zielgebiet des Übungsplatzes zu lesen. Der 30. Juni 1910 gilt somit als „offizielles Geburtsdatum“ des Truppenübungsplatzes, das sich in diesem Jahr zum 110. Mal jährt.

Der erste Artillerieschuss auf dem damals königlich bayerischen Schießplatz war eigentlich ein Fehlschuss. Der aus Nitzlbuch bei Auerbach stammende Michael Kugler feuerte 1910 als Kanonier im 2. Königlich Bayerischen Fußartillerieregiment aus einer Krupp Feldhaubitze „sFH 02“ auf der Grünhundhöhe diesen ersten Artillerieschuss ab. Im Kultur- und Militärmuseum sind die Bilder und Dokumente ausgestellt.

Altes Marterl Grafenwöhr
Diese Gedenktafel an der Einschlagstelle erinnerte an den ersten Artillerieschuss und somit an den offiziellen Geburtstag des Übungsplatzes.

Während der großen Festwoche zum 100-jährigen Übungsplatzjubiläum im Jahr 2010 wurde das Ereignis des 1. Schusses nachgestellt. Aus einer modernen amerikanischen Paladin-Haubitze wurde ein erneuter Artillerieschuss abgegeben, um den Beginn der nächsten 100 Jahre feierlich einzuläuten. Auch hierzu wurde ein Marterl hinter der Schießbahn 114 auf der Grünhundhöhe aufgestellt.

Auf dem Paradefeld vor dem Wasserturm gibt es seit dem Oktober 2019 das „First Shot Memorial“. Die Stadt und das Museum überreichten an die US-Armee eine historische Krupp Kanone, die an den 1. Artillerie-Schuss erinnert. Nachbauten der Marterln und die Silhouette des Kanoniers Michael Kugler stehen ebenfalls am Pavillon auf dem Paradefeld im Lager.

Bürgermeister Knobloch dankte bei der Eröffnungsfeier letztes Jahr allen Beteiligten und stellte heraus, dass sich durch die Eröffnung des Übungsplatzes die Stadt ständig weiterentwickelte und stets wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr. Die „1. Schuss Gedenkstätte“ wertete er auch als Zeichen der Deutsch Amerikanischen Freundschaft und des guten Miteinanders, das noch lange anhalten möge. Ihren Dank sprachen auch Brigadegeneral Christopher Norrie und Oberst Adam Boyd aus. Sie forderten ihre Soldaten und Besucher des Übungsplatzes auf sich am „First Shot Memorial“ wie auch im Militärmuseum über die Geschichte des Platzes zu informieren.

Eine große Erinnerungsfeier an den 110. Geburtstag des Übungsplatzes gab es nicht, mit Berichten und Online-Beiträgen ruft die Army das Ereignis ins Gedächtnis.

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Mit dem großen Zapfenstreich der Bundeswehr, US-Paraden und großen Feierlichkeiten wurde 2010 das 100-jährige Bestehen des Truppenübungsplatz Grafenwöhr begangen.

Vom bayerischen Schießplatz zur multinationalen Training Area

Eine Zeitreise durch 110-jährige Geschichte des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr

Im März 1908 gab Prinzregent Luitpold von Bayern die Verfügung für den „Truppenübungsplatz Grafenwöhr“. Der Truppenübungsplatz hat die einstige „Ackerbürger-Städtchen“ Grafenwöhr im Jahr 1910 aus dem Dornröschenschlaf gerissen. Der erste Artillerieschuss am 30. Juni 1910 gilt als offizielle Geburtsstunde. Rund 250 Gebäude werden im Truppenlager Grafenwöhr für das III. Bayerische Armeekorps aus Nürnberg errichtet.

Während des 1. Weltkrieges diente der Platz der bayerischen Armee zur Aufstellung und Ausbildung. Grafenwöhr wurde aber auch mit rund 24.000 Häftlingen zum größten Kriegsgefangenenlager in Bayern. In Zeiten des 100.000 Mannheeres fand nur eine geringe Übungstätigkeit statt.

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Königlich Bayerische Soldaten 1911 vor den Fachwerkbauten der Garnison Grafenwöhr.

Erweiterung des Platzes

1936 entschloss sich das Reichskriegsministerium des Nazi-Regimes für eine entscheidende Erweiterung auf insgesamt 23365 Hektar. 3500 Menschen aus 58 Ortschaften, Gehöften und Weilern verloren ihre angestammte Heimat. Die Schaffung neuer Kasernen sowie der Bau eines Bunkersystems, des „kleinen Westwalls“ folgten, bei Vilseck wurde das Südlager 1937 realisiert. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden nacheinander auf dem Truppenübungsplatz neue Divisionen für den Fronteinsatz aufgestellt, auch verbündete ausländische Kontingente, Spanier und Italiener waren dabei. Das traurige Finale des zweiten Weltkrieges wurde für Grafenwöhr markiert durch die beiden verheerenden Bombenangriffe vom 5. und 8. April 1945.

Beginn der amerikanischen Zeit

Am 19. April 1945 besetzten amerikanische Truppen das Lager und die Stadt Grafenwöhr. Noch im gleichen Jahre wurde der Schieß- und Übungsbetrieb wieder aufgenommen. 1947 entschied die amerikanische Besatzungsmacht den Truppenübungsplatz Grafenwöhr neu anzulegen und auszubauen. 1950 bis 1953 wurden die großen Camps Aachen, Algier und Normadie aus genormten Steinbaracken sowie die Zeltlager Tunesia, Cheb und Kasserine errichtet. Aus der Besatzungsmacht wurde im Laufe der Zeit Schutzmacht, Verbündeter und insbesondere größter Arbeitsgeber der Region.

Die Bundeswehr kommt nach Grafenwöhr

1956 zogen die ersten Einheiten der Bundeswehr in Grafenwöhr ein, sie sind heute mit dem Deutschen Militärischen Vertreter (DMV) der Juniorpartner zur amerikanischen Administration und auch im Übungsgeschehen. 1958 und 1960 verschlug es auch Elvis Presley zu einem Manöveraufenthalten nach Grafenwöhr.

Umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen in Höhe von über 100 Millionen US-Dollar gab es ab dem Jahr 1982. Schießbahnen und Übungseinrichtungen machten Grafenwöhr schließlich zum modernsten Truppenübungsplatz in Europa. Der Aus- und Neubau des Südlagers Vilseck ab dem Jahr 1985 brachte erneut einen Aufschwung. Seit 2006 ist Vilseck Heimat des 2. US-Kavallerieregiments.

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Für die bayerische Artillerie wurde offiziell 1910 der königlich Bayerische Schießplatz Grafenwöhr mit einer Größe von 9000 Hektar errichtet.

Zur Optimierung ihrer Standorte in Europa begann bei der US-Armee 2004 das Programm „Effizient Basing Grafenwöhr“. Für einen neuen Gefechtsverband von über 3500 Soldaten und etwa 5000 Familienangehörigen wurde ein enormes Bauprogramm gestartet. In einem privaten Mietwohnungsprojekt entstand auf dem Netzaberg eine neue Stadt. Kasernen und der private Mietwohnungsbau bildeten ein Gesamtvolumen von nahezu einer Milliarde Euro.

2010 wird das hundertjährige Bestehen des Übungsplatzes mit Paraden, großem Zapfenstreich, internationalen Stars, Vorführungen und Rundfahrten groß gefeiert. Im Mai 2012 wird die 172. US-Infanteriedivision in Grafenwöhr aufgelöst, neue Stationierungen erfolgen. Erst 2018 wird mit der Aufstellung der 41. US-Feldartilleriebrigade begonnen. Unter der Führung des 7. US-Armee Ausbildungskommandos (7th ATC) finden internationale Übungen mit Partnern aus bis zum 38 Gastnationen statt, Grafenwöhr ist der Dreh- und Angelpunkt des amerikanischen Heeres in Europa.

Das militärische Sperrgebiet beherbergt große Rotwildvorkommen und hat sich im Laufe der Jahrzehnte auch zu einem riesigen Naturschutzgebiet mit vielen geschützten Spezies entwickelt. Ranghohe Besuche wie 1950 der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl 1984, deutsche Verteidigungsminister bis zu US-Amtskollegen, wie Ashton Carter 2015 und 2019 der amerikanische Außenminister Mike Pompeo belegen die Bedeutung des Übungsplatzes Grafenwöhr. Ankündigungen und Drohungen des US-Präsidenten zur Reduzierung der US-Truppenpräsenz in Deutschland sind im Jahr des 110-jährien Jubiläums keine Geburtstagsgeschenke für das „Little America in der Oberpfalz“.

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