125 Jahre SPD in Weiden: 40 Jahre rote Oberbürgermeister

Weiden. 125 Jahre und kein bisschen amtsmüde: Vier SPD-Oberbürgermeister haben vier Jahrzehnte Stadtpolitik mitgeprägt – und einer will das auch künftig nicht lassen. Ein historischer Rückblick mit Parteichronist Karl Bayer. Teil 3: Von der Stunde 0 bis heute.

„Das ist mein Weiden“, freut sich Oberbürgermeister Jens Meyer über das detailreiche Wimmelbild seiner Stadt von PuzzleYou. Bild: Jürgen Herda

Seit den 1970er Jahren beschäftigt sich Karl „Charly“ Bayer mit der Geschichte der Weidener SPD: Über die Lebensumstände in der nördlichen Oberpfalz vor 125 Jahren weiß der 70-Jährige dank vieler, studierter Dokumente im Staatsarchiv Amberg sowie privater Bestände exzellent Bescheid.

1998 erschien die von Karl Bayer verfasste, 184 Seiten umfassende Dokumentation: „Sozialdemokratie in Weiden. Die ersten hundert Jahre 1898 -1998“. Ein Vierteljahrhundert später steht schon das nächste Jubiläum vor der Tür: 125 Jahre Sozialdemokratie in der Max-Reger-Stadt.

Nazis hinterlassen verbrannte Erde

So ist das mit den Extrem-Nationalisten: Erst legen sie alles in Schutt und Asche und überlassen anderen dann den Wiederaufbau. Nazi-Oberbürgermeister Hans Harbauer, NSDAP-Kreisleiter Franz Bacherl sowie die SS-Lagerkommandanten Martin Gottfried Weiß aus Weiden und Richard Baer aus Floß hinterlassen eine geschundene Stadt. Die jüdischen Bürger enteignet, deportiert und ermordet, politische Gegner in Lagern interniert oder ins Exil getrieben.

Der Zweite Weltkrieg ist längst verloren, als sich die Front im Frühjahr 1945 der Oberpfalz nähert. Die bange Frage: Stoßen die Amerikaner von Franken oder die Russen von Böhmen Richtung Weiden vor? Wehrmacht und Waffen-SS haben sich zurückgezogen, versuchen an der Donau eine neue Verteidigungslinie aufzubauen. Kleinere militärische Einheiten („Werwolf“) und Unbelehrbare leisten noch Widerstand gegen die 3. US-Army, die im April 1945 vorrückt.

Die Zug-Explosion

Den schwärzesten Tag Weidens vor der Stunde Null lässt der frühere Kulturreferent Bernhard M. Baron in einem Zeitungsbeitrag über literarische Zeugnisse des Kriegsendes in Weiden durch eine Romanpassage Erich Ebermayers spiegeln: „Auch dass heute morgen ein Munitionszug bei der Einfahrt in den Bahnhof getroffen und in die Luft geflogen sei, sickerte durch.“ Keine Fiktion, grausame Wirklichkeit: Am 16. April 1945 gegen 10.30 Uhr explodiert der beschossene Zug auf Höhe der heutigen Christian-Seltmann-Straße. Dutzende Menschen sterben, die Häuser der damaligen Pressather Straße mit den Nummern 78, 78a, 80, 81, 82, 86 und 88 werden vollkommen vernichtet.

Nach der Besetzung Weidens am 22. April funktioniert die US-Army das Mannschaftsgefangenenlager der Wehrmacht STALAG XIII B bei der heutigen Ostmark-Kaserne in das US-Prisoner Camp „Einhorn“ um. Tausende deutscher Wehrmachtsoldaten, der Waffen-SS, des Deutschen Roten Kreuzes, der Wlassow-Armee werden hier untergebracht. Abertausende Heimatvertriebene und Flüchtlinge aus dem Baltikum, dem Warthegau, Schlesien und Pommern und dem Sudetenland treffen in Weiden ein. Als eine der größten Städte Nordostbayerns wird Weiden zu einem Zentrum der Vertriebenen.

Kommunalpolitischer Neubeginn

„Wie überall in Stadt und Land gehören Sozialdemokraten zu den ersten Verantwortlichen, denen der Aufbau eines neuen Deutschlands anvertraut wird“, schildert Karl Bayer den kommunalpolitischen Neubeginn. „In der Stadt Weiden sind es Nikolaus Rott, Gottlieb Linz, Josef Tröger und Xaver Heuberger, die von der amerikanischen Besatzungsmacht zusammen mit anderen demokratischen Kräften mit dem Wiederaufbau der Stadtverwaltung und der Wirtschaft beauftragt werden.“

Unter Aufsicht der US-Militärregierung gründen sich vorerst auf Ebene der Landkreise und Städte neue und alte Parteien (wieder). „Am 1. September 1945 versammeln sich in der Gaststätte ,Zur Zentralwerkstätte’ in der Landgerichtsstraße unter der Federführung des Eisenbahners Nikolaus Rott die verbliebenen Genossen, um den Wiederaufbau einer lokalen Parteiorganisation der Weidener Sozialdemokratie voranzutreiben“, erzählt Bayer.

Neugründung in der „Zentralwerkstätte“

Weil die zumeist verfolgten Sozialdemokraten über jeglichen Verdacht einer Verstrickung in NS-Verbrechen erhaben sind, muss die SPD 1945 weder ihren Namen noch ihr Programm ändern. Die „Zentralwerkstätte“ habe man bewusst als Ort der Zusammenkunft gewählt. „Es galt an eine jahrzehntelange Tradition anzuknüpfen – die ,Restauration’ des legendären roten Wirts Hans Bär war schon vor dem ersten Weltkrieg Treffpunkt der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Weiden.

Am 23. Dezember 1945 erteilen örtliche US-Militärbehörden in Weiden den Sozialdemokraten die Genehmigung zur politischen Betätigung. Voraussetzung für die Zulassung waren 25 Unterschriften von Personen, die in keiner Verbindung zum Nationalsozialismus stehen durften. Beizufügen war ein Grundsatzprogramm sowie Angaben über den Zweck der politischen Organisation und ihre Finanzierung.

Die Weidener SPD-Vorsitzenden nach 1945. Grafik: SPD/OberpfalzECHO

Das „Rote Jahrzehnt“

Die offizielle Gründungsversammlung findet im Januar 1946 statt. „Xaver Heuberger, zwei Jahre später Opfer eines grausamen Verbrechens, wird zum ersten Vorsitzenden gewählt“, schildert Bayer. Josef Tröger, 1944 noch im KZ Flossenbürg interniert und später von den Amerikanern als Zweiter Bürgermeister der Stadt eingesetzt, wird sein Stellvertreter. „Tröger ist 1946 Mitglied der verfassungsgebenden Landesversammlung Bayerns, was die Bedeutung der Weidener SPD im Nachkriegsbayern unterstreicht.“

Die SPD-Oberbürgermeister haben es seitdem auf die stattliche Amtszeit von 40 Jahren gebracht. „Im ,Roten Jahrzehnt’ in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist die SPD stärkste politische Kraft in der Stadt.“ Hans Schelter (1952-1970), Hans Bauer (1970-1976) und Kurt Seggewiß (2007-2020) haben vorgelegt. Der amtierende Oberbürgermeister Jens Meyer kann der 40 noch einige Jahre hinzufügen.

Die Weidener SPD-Vorsitzenden nach 1945. Grafik: SPD/OberpfalzECHO

Kurt Seggewiß’ Vermächtnis

Stadtverbandsvorsitzende Sabine Zeidler hat als Zeitzeugin zwei SPD-Oberbürgermeister erlebt. „So verschieden die zwei sind, so schätze ich doch beide sehr“, sagt die Parteifreundin über den Verflossenen und seinen Nachfolger. „Kurt Seggewiß hat damals ein schweres Erbe nach dem Korruptionsskandal um OB Hans Schröpf angetreten.“ Mit Leidenschaft und starkem Willen habe er Weiden wieder in ein gutes Licht gerückt. „Er ist ein guter Kommunikator, der immer ein Feuer entfacht.“ Das Sozialbürgerhaus nennt sie als sein Vermächtnis. „Selbst CSU-Familienministerin Ulrike Scharf hat ihn dafür gelobt.“

Als früherer Arbeitsagentur-Chef habe er dazu beigetragen, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten unter seiner Regie stetig wuchs. „Und er stand da, als die Flüchtlingskrise los ging“, sagt Zeidler, „und hat sich gekümmert.“ Ein gutes Zusammenspiel zwischen den vielen Ehrenamtlichen, den Vereinen und der Politik sei das gewesen, um die Menschen zu integrieren. Was sie besonders an Kurt schätzt: „Er engagiert sich noch heute ehrenamtlich in der SpVgg, beim Schwimmverein und beim Roten Kreuz, weil er den Bürgern zurückgeben will, wie sie ihn getragen haben.“

SPD Weiden Bürgermeister Jens Meyer Oberbürgermeister Kurt Seggewiß hört auf
Staffelübergabe: Alt-Oberbürgermeister Kurt Seggewiß (rechts) und der amtierende OB Jens Meyer. Bild: Jürgen Wilke

Jens Meyer: Mit ruhiger Hand durch die Pandemie

Als weniger wortreich, dafür als sehr umsichtig beschreibt Sabine Zeidler den Polizisten Jens Meyer im Chefsessel des Rathauses: „Er macht das ruhig, unaufgeregt, aber sehr auf das große Ganze bedacht.“ Nach der Wahl habe er Weiden mit Weitblick durch die Corona-Krise geführt. „Jens war maßgeblich an der Bewältigung der Pandemie beteiligt und hat die medizinische Versorgung bei sich gebündelt.“ Sogar ein Not-Lazarett habe er bereits vorbereitet, falls sich die Situation zuspitzen würde.

Apropos medizinische Versorgung: „Jens tut alles dafür, damit das Klinikum in kommunaler Hand bleibt.“ Der SPD-Stadtratsfraktion sei das Dilemma um das überschuldete Haus bewusst. „Viele Krankenschwestern sind überlastet, ausgebrannt, haben selber körperliche Beschwerden.“ Die wirtschaftliche Konsolidierung sei ein Balanceakt, der nur gelinge, wenn man die Mitarbeiter miteinbinde. „Die Pflegekräfte sind dankbar, wenn man ihnen zuhört – Jens nimmt die Sorgen wahr, setzt sich ein, will alle mitnehmen.“

Mr. Korrekt

Als Polizist habe er außerdem die Sicherheit der Stadt Weiden stets im Blick. „Er pflegt schon auf Grund seines Berufs einen extrem guten Austausch mit der Polizei“, weiß die Weidener Parteichefin. „Die Zahlen und Fakten sprechen dafür, dass sich die Lage entgegen manch gefühlter Verunsicherung nicht verschlechtert hat.“ In Zeiten inflationärer politischer Verfehlungen könne er außerdem mit seiner makellosen Korrektheit punkten: „Jens handelt immer in juristisch einwandfreier Weise.“ Und auch wenn die Mehrheitsverhältnisse nicht einfach seien: „Es ist ein Miteinander im Stadtrat, wie man etwa beim Skatertreff sieht“, freut sich Zeidler. „Wenn die Vorschläge gut sind, finden wir auch Mehrheiten.“

Handlungsbedarf sieht die gelernte Krankenschwester bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt: „Wir brauchen einfach Gewerbegebiete, weil wir uns nun mal durch Gewerbesteuereinnahmen finanzieren.“ Als die größten Herausforderungen der Kommunalpolitik in Zeiten von Klimawandel und internationalen Krisen identifiziert sie eine „Energiewende, die weder Bürger noch Unternehmen überfordert – wir müssen unsere Hausaufgaben machen, aber da sind wir auf dem besten Weg“.

Oberbürgermeister Jens Meyer beim Besuch von Ministerpräsident Markus Söder. Foto: OberpfalzECHO/David Trott

Festakt „125 Jahre SPD in Weiden“

Es gibt etwas zu feiern: Keine deutsche Partei kann auf eine derart lange Tradition zurückblicken. Seit 125 Jahren kämpft die Sozialdemokratie in Weiden für soziale Gerechtigkeit.

  • Am Samstag, 20. Mai, lädt „die einzige Partei, die sich Dank ihrer Ablehnung von Hitlers Ermächtigungsgesetz niemals umbenennen musste“ (Markus Rinderspacher) zur Jubiläumsfeier in den Saal der Gaststätte Postkeller.
  • Festredner ab 17 Uhr: Florian von Brunn, Landesvorsitzender der BayernSPD
  • Party ab 19.30 Uhr: mit DJ Borti

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