30 Jahre OTH Amberg-Weiden: In drei Jahrzehnten zur Bildungsregion Nordoberpfalz
Weiden. Voller Hörsaal in der Ostbayerischen Technischen Hochschule: Aber die wissbegierigen Studierenden sind am Freitagabend in Unterzahl. Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft feiert drei Jahrzehnte Erfolgsstory der OTH Amberg-Weiden. Und blickt ambitioniert in die Zukunft.
So viele Ehrengäste füllen die Reihen im schwarzen Weidener Hörsaalgebäude des Tirschenreuther Stararchitekten Peter Brückner, dass OTH-Präsident Clemens Bulitta bei seiner Begrüßung um Nachsicht bitten muss: „Bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich nicht alle namentlich begrüße.“
- Angefangen bei den politischen Mandatsträgern, dem Vizepräsidenten des bayerischen Landtags Tobias Reiß
- und dem Weidener Landtagsabgeordneten Stephan Oetzinger, zugleich auch Landesvorsitzender des Arbeitskreises Hochschule und Kultur (AKH) der CSU.
- Lokale Vertreter wie Waldsassens Bürgermeister Bernd Sommer – immerhin sitzt Äbtissin Laetitia Fech als Vertreterin von Kirche und Klosterstadt im Hochschulrat.
„Bildung schafft Zukunft“, zitiert der amtierende Präsident Amtsvorgänger Professor Erich Bauer, Geschäftsführer des Überbetrieblichen Bildungszentrums in Ostbayern. Bei dessen Rede zum 20-jährigen Jubiläum habe der „Bildungsbotschafter für die Oberpfalz“ prophezeit, dass die Hochschule erfolgreicher Partner in einem Verbundprojekt Ostbayerischer Technischer Hochschulen, Motor der regionalen Entwicklung in allen Facetten, aus der Praxis für die Praxis, aus der Region für die Region sein werde. Und was soll man sagen? „Wir haben geliefert“, evaluiert Bulitta kurz und bündig.
Minister Blume wird in München gebraucht
Stellvertretend für die Nordoberpfälzer Wirtschaft dürfen die Vorsitzenden der beiden Fördervereine in Amberg und Weiden der vergangenen 30 Jahre, Erich Voss, Rudi Winter, Franz Mende und Günther Kamm, nicht fehlen, die für ihr persönliches Engagement und die Unterstützung ihrer Unternehmen, Siemens; Volksbank Nordoberpfalz und Stadtbau Weiden, anschließend geehrt wurden – Ludwig Zitzmann, Direktor der Sparkasse Nordoberpfalz a.D., in Abwesenheit: „Er weilt in Japan.“
Nur einer, der seine Teilnahme zugesagt hatte, fehlt an diesem Abend: Wissenschaftsminister Markus Blume wird aufgrund der aktuellen politischen Situation in München gebraucht – möglicherweise bereitet man sich in der Landeshauptstadt bereits intensiv auf eine mögliche Regierungsübernahme der Unions-Parteien vor, sofern sich Kanzler Olaf Scholz doch zu einer vorzeitigen Vertrauensfrage durchringen sollte.
Ministerialrat: „G‘scheide Entwicklung“
Für ihn spricht Ministerialrat Uwe Rappenglitz, der seit Anfang des Jahres auch Betreuungsreferent der OTH Amberg-Weiden ist, ein Grußwort: „Eine Oberpfälzer Hochschule hatte ich noch nie“, stellt er fest, „und ich habe gleich bemerkt, dass dies hier eine sehr spezielle Hochschule ist, mit zwei Standorten von Anfang an, das gibt es nicht allzu oft.“ Eine völlig neue wissenschaftliche Einrichtung, 1994 auf der grünen Wiese gegründet, ohne Vorläufer wie andernorts.
„Und die Hochschule hat sich enorm entwickelt“, lobt Blumes Vertreter, „toll, was sie der Region gegeben hat, angefangen mit 127 Studierenden in 1994, sind es jetzt 4200 – das ist schon eine ,g‘scheide‘ Entwicklung.“ Dazu zwei Promotionskollegs und mehrere Technologietransferzentren. „Besonders freut mich das Innovations-Ökosystem Kemnath, das sich vor allem Gründungsaktivitäten widmet, und die ,AI-Driven Factory of the Future‘ in Weiherhammer“, sagt Rappenglitz.
„Eine Jahrhundertentscheidung“
Dass der Tempel der Wissenschaft nicht nur ein Elfenbeinturm der schönen Worte sein muss, sondern auch Effizienz kann, zeigt der Blick zurück: Anstelle salbungsvoller Reden fasst ein Video mit Stimmen von Zeitzeugen den Werdegang von der ersten Nordoberpfälzer Fachhochschule zur Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden kurz und knackig zusammen.
Die politische Zielsetzung der Staatsregierung in den 90er Jahren war klar: Fachhochschulen sollten die wirtschaftliche Entwicklung in strukturschwachen Gebieten befördern, die Fachkräfte der Zukunft ausbilden und den „Braindrain“ in die Metropolen stoppen. „Insgesamt gäbe es in der Region 13.000 junge Menschen weniger“, erklärt Professor Wolfgang Weber, Vizepräsident für Forschung, Entwicklung und Transfer. „Eine Jahrhundertentscheidung“, nannte sie deswegen der damalige Amberg-Sulzbacher Landrat Armin Nentwig.
Ohne OTH weniger Wachstum
Weber, ein OTH-Urgestein der fast ersten Stunde, rekapituliert: „Es gab 42 Bewerberstädte für die 8 neuen Standorte, alle bestens vorbereitet.“ Alles andere als ein Selbstläufer also. Schließlich ist der nachdrückliche Einsatz des damaligen Wirtschaftsministers Gustl Lang für den Doppelstandort legendär. Das Lob aus München dementsprechend einhellig: „So konkrete Unterlagen haben wir nirgends erhalten.“ Grafenwöhrs Bürgermeister Edgar Knobloch outet sich als einer der ersten Studenten: „Ich habe es nicht bereut.“
Joachim Strehl, ehemaliger Pressesprecher der Stadt Weiden, greift bei der Bewertung der Bedeutung der Hochschule für Weiden ins oberste Fach: „Sie ist nur vergleichbar mit der Eisenbahnanbindung 1863, der Kreisfreiheit 1919 und dem Autobahnanschluss in den 80er Jahren.“ Und Erich Voss, früherer Standortleiter von Siemens Amberg und Geburtshelfer der Standortentscheidung, ist sich sicher: „Ohne Hochschule hätten viele mittelständische Unternehmen ihr Wachstum nicht stemmen können.“
Fortschritt, aber richtig!
Weil Stillstand aber Rückschritt bedeutet, will sich Präsident Bulitta keinesfalls auf vergangenen Meriten ausruhen. „Die Lorbeeren von heute, sind der Kompost von morgen“, zitiert er Stephan A. Jansen, Wirtschaftswissenschaftler und Gründungspräsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Aber auch die Qualität des Fortschritts hat der Mediziner an der Spitze der Hochschule fest im Blick. „Hochschule ist immer auch ein Hort der demokratischen Bildung.“
Und da hält er es mit Blick auf die eigene Tochter mit der deutsch-ukrainischen Aktivistin Marina Weisband, die als Diplom-Psychologin und Beteiligungspädagogin politische Irrtümer der vergangenen Jahrzehnte anprangert und einen Wertewandel weg vom kruden Individualismus, hin zur kooperativen Partizipation fordert. „Zukunft muss nachhaltig sein“, sagt Bulitta und kann auch hier auf eine klare Positionierung seiner Hochschule verweisen – mit Professorin Christiane Hellbach als Vizepräsidentin für Nachhaltigkeit, Gender und Diversity.
Felber: Wirtschaft vom Kopf auf die Füße gestellt
Als Gastredner, neudeutsch Keynote Speaker, der diese humanistische Idee von nachhaltigem Fortschritt personifiziert, hat die OTH Christian Felber, Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie verpflichtet. Eine durchaus mutige Wahl, zumal der Buchautor auch Gründungsmitglied von Attac Österreich ist. Und der blonde Aktivist überrascht das Publikum gleich zu Beginn mit einem antikapitalistischen Kopf-Handstand.
Will der Salzburger mit visueller Ähnlichkeit mit Robert Habeck damit symbolisch die Schieflage der westlichen Wirtschaftsweise mimen und sie anschließend wieder vom Kopf auf die Füße stellen? Felber hat selbst viele Fragen ans Publikum, die er nicht immer in aller Tiefe beantworten kann: „Warum ist Wirtschaftswachstum so wichtig?“ Weil es Basis unseres Wohlstands ist. Oder doch nicht? „Was verstehen Sie unter Wohlstand?“ Er bezieht sich auf das Buch seiner bayerischen Freundin Vivian Dittmar: „Echter Wohlstand“ bedeute ein Leben „reich an Zeit, erfüllenden Beziehungen, Kreativität, Verbundenheit mit der unbändigen Schönheit der Natur“.
Was für ein Wohlstand darf es sein?
Zeit-Wohlstand sei so ein Aspekt echten Wohlstands. Ein anderer: „Beziehungswohlstand.“ Laut Neuro-Biologen seien es Beziehungen zu anderen Menschen, die am glücklichsten machten, am stärksten motivierten, die größten Leistungen erbringen ließen. Deshalb frage sich Felber, „warum Wissenschaftler, die sich für Effizienz interessieren, nicht längst damit beschäftigen“. Und schon ist wieder der Saal gefragt: „Eine bescheidene, ehrlich gemeinte Frage: Welche Werte sind es, die zwischenmenschliche Beziehungen gelingen lassen?“ Das erwartbare Ergebnis: „Ehrlichkeit, Empathie, Großzügigkeit …“.
Am Ende stehen „10 wunderschöne Werte“ auf der Matrix, die „egal wo die Frage gestellt wird, nahezu identisch“ sind. Man könnte auch meinen: Weil es Binsen sind. Was nicht falsch, aber doch etwas oberflächlich daherkommt. Schließlich trägt nicht jeder wie Donald Trump seinen kolossalen Egoismus wie eine Standarte vor sich her. Aber diese optimistische Sicht der menschlichen Natur – 100 Prozent Rousseau, „der Mensch ist von Natur aus gut“, 0 Prozent Hobbes, „der Mensch ist des Menschen Wolf“ – wirkt mitten im Siegeszug eines brachialen Rechtspopulismus etwas aus der Zeit gefallen.
Zahl liberaler Demokratien sinkt
Und weil seinem Konzept einer Gemeinwohl-Ökonomie diese Annahme von der Natur des Menschen zugrunde liegt, darf man auch leise Zweifel zumindest an einer zeitnahen Umsetzung haben. Aber vielleicht braucht es ja auch gerade jetzt so eine positive Utopie, die der zerstörerischen Dystopie in den Sozialen Medien, der Erosion gesellschaftlicher Verantwortung, der Renaissance nationalistischer und rassistischer Stereotypen ein Stopp-Schild entgegenhält.
Recht hat Felber zweifellos mit der Beschreibung einer „systemischen Krisenlandschaft“, in der seit 2008 – das Jahr der Weltfinanzkrise als Teil der Weltwirtschaftskrise ab 2007 – die Zahl der liberalen Demokratien von 44 auf 32 abgenommen hat. Und es stimmt auch, dass seine Vision von der Gemeinwohl-Wirtschaft mit ganzheitlicher Sichtweise sowohl von der abendländischen Philosophie von Aristoteles über Thomas von Aquin bis Adam Smith als auch von den meisten demokratischen Verfassungen inklusive der bayerischen gestützt wird.
OTH als Ausrichter der „4. GWÖ-Konferenz“?
Konkreter wird Felber, wenn es um die Umsetzung der Gemeinwohl-Idee vor Ort geht, an dessen Gemeinwohl-Punkte-System sich bereits 1300 Unternehmen, darunter nicht nur Öko-Landwirte und Bio-Bauern, sondern auch die Sparda-Bank und industrielle Schwergewichte beteiligen. Ebenfalls mit an Bord ist die Technische Hochschule Nürnberg. Eine willkommene Einladung an die OTH, sich als Ausrichter der „Vierten Internationalen GWÖ-Konferenz“ 2026 zu bewerben, um anschließend den Prozess hin zu einer Gemeinwohl-Region wissenschaftlich zu begleiten und zu moderieren.
In einer abschließenden Gesprächsrunde stellen Vizepräsidentin Christiane Hellbach, Umweltmanager Christoph Brechler, Recycling-Experte Professor Burkhard Berninger und die brasilianische Master-Studentin Isadora Cogo Badan (Internationales Management und Nachhaltigkeit) die bisherigen Anstrengungen der Hochschule in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit dar. Fazit: „Ich würde mir wünschen, dass der Grundgedanke der Nachhaltigkeit eine Selbstverständlichkeit in allen Studienangebote ist“, sagt Berninger.
Ausgezeichnete Studenten, ehrbare Förderer
„Was wäre eine Hochschule ohne unsere Studierenden“, leitet OTH-Präsident Clemens Bulitta die Förderpreis-Verleihung an die klügsten, findigsten und fleißigsten Nachwuchswissenschaftler der Hochschule ein. Ausgezeichnet wurden:
- Julia Bauer, Masterstudiengang International Energy Engineering
- Tobias Bauer, Bachelorstudiengang Künstliche Intelligenz
- Luisa Dombrofsky, Bachelorstudiengang Betriebswirtschaft
- Johannes Fisch, Medizintechnik.
Außerdem prämierten externe Unternehmen themenbezogene Arbeiten ihrer studentischen OTH-Praktikanten:
- Lukas Gietl, IT und Automation, Siemens
- Sebastian Gundler, Bachelorstudiengang angewandte Wirtschaftspsychologie, Sparda-Bank
- Julia Ippisch, Bachelorstudiengang Medienproduktion und Medientechnik, Sparkasse
- Andreas Kraus, Masterstudiengang Umwelttechnologie, Verein Deutscher Ingenieure
- Sophia Kuchler, Bachelorstudiengang Ingenieurspädagogik, Constantia.
Ehre, wem Ehre gebührt: Professor Wolfgang Weber hält Kurz-Laudationes auf die ehemaligen Vorsitzenden der beiden Fördervereine der Hochschule und überreicht Ehrenurkunden an:
- Erich Voss: „Du hast als Standortleiter von Siemens Amberg einen Hochschulstandort mit Nachdruck gefordert und warst einer der Geburtshelfer im Mai 1990“, sagt Weber, „wir haben auch deshalb den größten Hörsaal in Amberg Siemens gewidmet.“
- Franz Mende: „Auch du bist mit dem Gründungsdatum 1. Mai 1994 verbunden“, beschreibt Weber den ehemaligen GWA-Leiter von Siemens Amberg, „die Technische Hochschule haben wir mit euerer Hilfe argumentiert.“
- Rudi Winter: „Wir kennen uns seit Jahrzehnten auch privat“, sagt Weber und zitiert aus einer Presseinformation vom 31. Mai 2007: „Die Spende der Volksbank Nordoberpfalz für diesen Hörsaal in Höhe von 100.000 Euro hast du, lieber Rudi, als Vorstand mitinitiiert.“
- Günther Kamm: „Es heißt, stell dich gut mit deinem Vermieter“, scherzt Weber über den Stadtbau-Chef, „du bist als Geschäftsführer der Stadtbau GmbH ja Vermieter des Technologiecampus.“
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