Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Liebes Grundgesetz, bitte aufwachen!
Nordoberpfalz. In diesem Jahr feiern wir 75 Jahre Grundgesetz und wir müssen echt aufpassena, dass die Feier kein Requiem wird. Ich bin mir sicher – das wäre garantiert keine "lustige Leich'". Eine Glosse.
Leider war es bisher eine sehr müde Geburtstagsparty, wie beim Pflichtbesuch bei der Oma halt. Ein bisserl den/die Jubilar/in preisen, sich noch umsonst redlich nähren und das war es dann wieder – aus den Augen, aus dem Sinn. Aber so einfach sollten wir bei der einstigen Pfahlwurzel unserer Gesellschaft nicht machen, das können wir uns auch gar nicht erlauben.
Bitte ein ganzes Jubeljahr für das Grundgesetz!
Denn wie schon der brillante Erwin Pelzig formulierte – es versuchen augenblicklich wieder jede Menge Leute unserem guten alten Grundgesetz ganz unappetitlich in die Hose zu greifen. Jetzt zum Geburtstag wäre es doch angebracht, den Feinden unseres Grundgesetzes und damit unserer Gesellschaftsordnung mal sauber auf die Schmutzfinger zu klopfen.
Wir sollten aus der Weimarer Republik gelernt haben – wer ein Kalifat Deutschland fordert, sollte dabei ebenso die Faust unserer Demokratie im Nacken zu spüren zu bekommen wie die, die glauben, in der Hülle eine pseudodemokratischen Partei ihr braunes Gedankengut zu verbreiten.
Anständige, auf die Barrikaden!
Dafür braucht es aber keine pathetischen, pappigen Solidaritätsbekundungen, sondern einen “Aufstand der Anständigen”. So einen Aufstand würde ich mir so ähnlich vorstellen, wie es einst an den Bauzäunen von Wackersdorf war: Student, Azubi, Unternehmer, Langhaariger, Oma, Pfarrer – alle für eine große, richtige Sache untergehakt. Was für ein naiver Traum, so eine Diskussion über Werte und Demokratie ist scheinbar leider inzwischen komplett aus der Zeit gefallen.
Wie alles begann: Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee
Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee tagte vom 10. bis 23. August 1948 im Auftrag der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder im Alten Schloss auf der Herreninsel in Bayern. Es war ein Sachverständigengremium mit der Aufgabe, einen „Verfassungsentwurf aus[zu]arbeiten, der dem Parlamentarischen Rat als Unterlage dienen“ könne. Ergebnis war der von den Ministerpräsidenten der Länder genehmigte „Herrenchiemsee-Bericht“, eine Arbeitsgrundlage für das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die unter anderem auch einen kompletten Verfassungsentwurf mit 149 Artikeln enthielt. (Quelle: Wikipedia)
Deppen muss man Deppen nennen
“Das wird man doch wohl in Deutschland noch sagen dürfen”, tönt es einem da in Düsenjägerlautstärke, garniert mit hohlen Phrasen aus noch hohleren Köpfen, entgegen, und zwar von denen, die immer darauf bestehen, dass man ja nichts mehr sagen darf.
Wenn jemand ein/e Depp*in ist, dann hilft auch die größte Menschenfreundlichkeit und Güte nix. Schon unser Herr Jesus trieb die Händler und Geldwechsler mit der Geisel aus dem Tempel – leider findet sich in der ganzen Bibel bei aller Interpretationswut nichts über die Besitzer von (geistigen) Gartenzwergen. Aber ich bin mir sicher, dass auch die damit gemeint sind.
Leicht ist es nicht mit uns
Schwierig wird es bei der Grauen Masse der Satten, Desinteressierten und Gewohnheitsschwadronierern, sprich beim sprichwörtlichen Deutschen Michel und seiner anhängenden Michaela. Denn bei so einer Forderung wie der nach dem Aufstand der Anständigen jault der pappsatte Deutsche selbstverständlich wieder reflexartig auf: Wer soll denn das machen, schließlich hat der für sowas keine Zeit, er muss seinen Urlaub planen und von der Politik ja so verdrossen sein. Da reicht es vielleicht gerade noch für ein pseudopfiffige anonyme Nachricht in den Sozialen Medien, aber das muss an gesellschaftlichen Engagement dann auch reichen, es gibt schließlich wichtigere Themen.
Wenn sich jemand aufgrund der Impfpflicht plötzlich wie Sophie Scholl fühlt und der große Unbill des Daseins darin besteht, dass sich ein paar junge Leute in der Urlaubszeit auf einer Landebahn festkleben, ist es schon weit nach “Fünf vor Zwölf”. Der Rest an Empörungsenergie geht dann beim Kampf um den Dieselmotor drauf.
Der fäkale Imperativ
In unserem Nachbarland gibt es eine etwas derbe, aber einfach treffende Formulierung, die ich allen Nörglern, Lamentierern und Feinden des Grundgesetzes gerne entgegenschleudern möchte. Also allen, die meinen, unser Grundgesetz sei nur ein Provisorium, eine nicht verbindliche Handlungsempfehlung und gelte sowieso nur, wenn es einem persönlich einen Vorteil bringt, rufe ich mir tiefster Überzeugung entgegen: “Geh scheißen!”
Liebes Grundgesetz, lass dich nicht unterkriegen!
Mit den anständigen, den “normalen” Leuten stoße ich mit Freude auf das Geburtstagskind an. Aber wieder schießt mir das von mir inzwischen gebetsmühlenartig verwendete Zitat des Portners aus dem Brandner Kaspar durch den Kopf: “An diesem Volksstamme magst du zerschellen.” Liebes Grundgesetz, bitte mach das nicht! Wir brauchen dich!
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