„Das Auto ist geflogen“: Türkinnen schildern Schleuserfahrt

Weiden. Drei Türkinnen (16, 30 und 40 Jahre alt) schildern am Landgericht ihre abenteuerliche Schleusung im Juni 2023. Diese endete mit einem lebensgefährlichen Unfall an der A6 bei Leuchtenberg.

Schleuser Unfall Leuchtenberg
Das verunglückte Schleuserfahrzeug am 18. Juni 2023 an der Abfahrt Leuchtenberg. Foto: Bundespolizei Waidhaus

Der Angeklagte – ein Georgier (20) – kommt dabei erstaunlich gut weg. „Sehr nett“, bezeichnet ihn die anatolische Mama, die mit ihren drei Kindern (10, 13, 15) im Wagen saß. Fürsorglich habe der Schleuserfahrer bei einem Tankstopp Cola und Kuchen mitgebracht, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Sie habe ihn schließlich gefragt: „Warum machst du diese Arbeit? Das ist doch traurig. Du bist ein junger Mensch.“

Als der Georgier um Vergebung bittet, werden ihre Lippen trotzdem schmal. Entschuldigung – nicht angenommen. Die Frau hat schwerste Verletzungen erlitten (Rippenbrüche, Prellungen, Schnittwunden). Der Schulterbruch musste operiert werden, dabei erlitt die dreifache Mutter kurzzeitig einen Herzstillstand.

Junge (13) wurde aus Kofferraum geschleudert

Was für die 40-jährige Türkin noch viel schwerer wiegt: Ihre Kinder hat es teils schwer erwischt. Dem Älteren (13) musste die Galle entfernt werden, die Nieren funktionieren nicht mehr. Der Junge hatte sich im Kofferraum befunden und war beim Unfall aus dem Auto geschleudert worden. „Ich möchte mich nicht über ihn beschweren“, sagt die Frau über den Schleuser: „Aber er hätte doch überlegen müssen: Da waren Kinder im Auto.“

„Wir sind geflogen“, schildert die jetzt 16-jährige Tochter den Unfall. Keiner auf der Rückbank war angeschnallt. Sie ist inzwischen Auszubildende zur Friseurin. Die Familie wohnt in einer Asylbewerberunterkunft in Koblenz. Sie wird nicht bleiben können: Der Asylantrag ist abgelehnt.

Die Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Peter Werner hakt nach: „Kann man sich nicht einfach in ein Auto setzen und legal nach Deutschland fahren?“ Sie habe nicht auf ein Visum warten können, begründet die Zeugin, sondern schleunigst außer Landes kommen wollen. Hintergrund sei ein Problem innerhalb der Familie, eine „Familienproblematik“. Die nötigen 20.000 Euro habe sie unter anderem aus dem Verkauf ihres Friseurgeschäfts.

8000 Euro pro Person für „All inclusive“-Schleusung

Mit im Auto saß eine Studentin (29) aus Istanbul. Zu den Gründen ihrer Flucht bleibt auch sie nebulös. „Ich hatte Gründe, hier Asyl zu suchen.“ Ein Visum sei ihr in der Türkei verweigert worden, deshalb die illegale Schleusung. Über einen Bekannten zahlte sie 8.000 Euro in bar, „all inclusive“.

Die junge Frau fliegt von Istanbul nach Ankara, von dort weiter nach Serbien. Schon auf dem Flughafen lernt sie die anatolische Mama mit ihren drei Kindern kennen, die beim gleichen „Veranstalter“ gebucht hat. Beide sind allein unterwegs, beide haben Angst. „Wir haben uns entschieden, diesen Weg gemeinsam zu gehen.“ Ein Auto bringt die Gruppe zur serbisch-ungarischen Grenze.

Studentin berichtet von sexueller Belästigung

In einer Nacht- und Nebelaktion werden die illegalen Migranten über den Zaun gebracht. Die 29-Jährige beschreibt, wie sie zunächst eine Leiter hochklettert. Dann wieder herunterspringt, als die Polizei auftaucht. Die Gruppe von etwa acht Personen versteckt sich im hohen Gras, bis die Streife weg ist. „Wir lagen eine halbe Stunde bewegungslos auf dem Boden.“ Dann startet sie einen erneuten Versuch, der glückt.

Nach einem mehrstündigen Fußmarsch pickt ein Auto die Flüchtlinge auf und bringt sie nach Bukarest. In einer schmuddeligen Wohnung warten noch andere „Kunden“ auf die Weiterreise. Hier kommt es zu einem kleinen Zwischenfall. Ein Aserbaidschaner belästigt die Studentin. Sie beschwert sich. Der Mann wird abgezogen. Nachts um 2 Uhr startet die Fahrt nach Deutschland.

Urteil vermutlich noch im April

Kurz nach 9 Uhr überquert der Chevrolet die Grenze bei Waidhaus – da taucht auch schon die Streife im Rückspiegel auf. Die 29-Jährige schildert eine abenteuerliche Flucht mit über 200 km/h. „Ich hatte Angst und sagte dem Fahrer, er soll langsamer werden.“ Die Verständigung erfolgte auf Türkisch, das er fließend spricht.

„Dann flog das Auto.“ Auch die Studentin erlitt schwere Verletzungen: Brüche am ganzen Körper. Sie kriecht unter dem Auto hervor und verliert das Bewusstsein. „Meine Augen habe ich erst wieder im Krankenhaus geöffnet.“

Der Prozess wird am 30. April, 13.30 Uhr, fortgesetzt.

Der Angeklagte mit Übersetzerin und Anwältin. Foto: Christine Ascherl

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