Deutsche und Tschechen ziemlich beste Freunde: Podium „Gemeinsam für die Zukunft?“

Weiden. Die Missverständnisse zwischen Tschechen und Deutschen überwiegen noch immer. Das machte eine Podiumsdiskussion in der Weidener Max-Reger-Halle deutlich. Im Vergleich zur Wut der Polen und Balten auf Deutschland jedoch sind wir schon ziemlich beste Freunde.

Das tschechophile Publikum, allen voran Künstler Jürgen Huber (seit der Volksschule vorne erste Reihe), diskutiert eifrig mit. Bild: Jürgen Herda

Die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, die Petra-Kelly-Stiftung, der Adalbert-Stifter-Verein und die Volkshochschule Weiden-Neustadt hatten zum Thema „Gemeinsam für die Zukunft? Tschechien ein Jahr nach den Wahlen und inmitten der EU-Ratspräsidentschaft – eine Bilanz“ in die Max-Reger-Halle nach Weiden geladen.

Für eine akademische Diskussion zu den deutsch-tschechischen Beziehungen vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und dessen wirtschaftliche Folgen wird es am Ende der Veranstaltung in der Weidener Max-Reger-Halle an einigen Stellen nachgerade emotional.

Vor allem, weil einige Gäste die Erklärungsversuche des Podiums mit Zuzanna Lizcová (Karls-Universität Prag), Volker Weichsel (Zeitschrift „Osteuropa“), Jürgen Mistol (Die Grünen, MdL) und Moderator Sebastian Lambertz (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde) als „Schönreden“ missverstehen.

Podiums mit (von links) Gastgeber Harald Krämer (VHS), Moderator Sebastian Lambertz (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde), Zuzanna Lizcová (Karls-Universität Prag), Volker Weichsel (Zeitschrift „Osteuropa“) und Jürgen Mistol (Die Grünen, MdL). Bild: Jürgen Herda

Interkultureller Platzwechsel

„Wissen Sie eigentlich, dass die Energie- und Lebensmittelpreise in Tschechien höher sind als hier“, will ein Geschäftsmann wissen, der in Pilsen eine höhere Miete als in Weiden bezahlt. In eine ähnliche Kerbe schlägt ein tschechischer Gast, dem die ganze Richtung nicht gefällt: „Ich bin nicht einverstanden mit der Ukraine-Politik, die uns ruinöse Energiepreise beschert.“ Zuzanna Lizcovás Hinweis, das habe Kriegstreiber Putin zu verantworten, überzeugt ihn nicht: „Warum hat ihn die Nato 30 Jahre lang provoziert?“

Dass der Gast dabei seinen Platz verlässt, weil er die Antworten offenbar akustisch nicht immer gut versteht, wirkt wiederum auf andere provozierend: „Setzen Sie sich wieder hin!“, wird er von mehreren Seiten aufgefordert. Beginnen so interkulturelle Missverständnisse und die oft diskutierte Spaltung der Gesellschaft?

Es gibt nicht „die Polen und die Tschechen“

Entspannend dagegen der Gastbeitrag von Künstler Jürgen Huber, der gerade erst von einer Ausstellungsreise aus Danzig zurückgekehrt ist – mit jeder Menge Aufbruchsstimmung im Gepäck: „Ich hatte gar nicht den Eindruck, dass hier etwas schön geredet wird“, sagt der frühere Regensburger Bürgermeister (Grüne). „Trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir nicht über die Polen oder die Tschechen reden sollten, sondern über die Mandatsträger, die für die Politik stehen.“

Bei seiner Ausstellung in Danzig habe er erlebt, dass seine polnischen Freunde genauso entrüstet über die Politik der PIS-Regierung seien wie er selbst. „Wenn man diskutiert, kommt man schnell in so ein Fahrwasser“, gibt Huber gern zu, dass die Verallgemeinerung keine böse Absicht sei. „Man sollte stärker differenzieren, wer wirklich gemeint ist.“ Volker Weichsel stimmt in Teilen zu, gibt aber zu bedenken: „Sie haben recht, aber Politik funktioniert national – die Partei wurde wieder gewählt.“

Moderator Sebastian Lambertz (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde) und Zuzanna Lizcová (Karls-Universität Prag). Bild: Jürgen Herda

Renaissance der Kernenergie an der bayerischen Grenze?

Zuvor hatten sich die Diskutanten bemüht, die wichtigsten deutsch-osteuropäischen Konfliktfelder im Kontext der diversen Krisen abzuräumen. Beginnend mit der für Tschechien wie Deutschland gleichermaßen problematischen Brückentechnologie „russisches Gas“, das sich inzwischen als Chimäre entpuppte. Seitdem Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala völlig unerwartet auf dem Forum der Partnerregionen in Hluboká bei Budweis mit Kreishauptmann Martin Kuba einen Südböhmischen Nuklearpakt unterzeichnete, ist man in Bayern irritiert.

Volker Weichsel dagegen überrascht das nicht: „Das ist auch ein gemeinsamer Wettkampf von Paris und Prag mit Berlin um Fördergelder für die Kernenergie – je größer der Markt, desto billiger wird die Technologie.“

Mistol: „Erneuerbare setzen sich durch“

Jürgen Mistol, Koordinator der Zusammenarbeit des Landtags mit dem Parlament der Tschechischen Republik, räumt ein: „Das Gespräch über Alternativen zur Kernenergie mit tschechischen Kollegen ist nicht einfach.“ Bei einem Treffen hätten Senatsmitglieder schlicht argumentiert: „Bei uns weht kein Wind.“ Dabei bewiesen die Windkraftanlagen in Bärnau an der bayerisch-böhmischen Grenze, dass hier an manchen Stellen so gute Bedingungen herrschten wie an der Nordsee. Dem Grünen Mistol ist dennoch nicht bange: „So ein Pakt ist schnell unterschrieben.“

Er höre seit Jahrzehnten von der Renaissance der Atomkraft. „Seit Fukushima ist in Europa gerade mal ein AKW in Finnland ans Netz gegangen.“ In Japan seien von 54 Reaktoren noch 33 am Netz – nur 4 davon eingeschaltet. „Auch die Japaner wollen weg von der Atomkraft.“ Der Regensburger Landtagsabgeordnete ist sich sicher, dass die Erneuerbaren das Rennen machen: „Windenergie ist einfach am Billigsten, Atomstrom am Teuersten – selbst, wenn man die Entsorgung nicht mitrechnet.“

Lizcová: „Windräder an der Grenze ohne zu fragen“

Zuzanna Lizcová will da nur moderat widersprechen: Energiepolitisch sei sie ganz bei Mistol. Aber es sei eben seit Jahren ein Streitthema zwischen beiden Ländern. „Als im Frühjahr die Energiepreise stiegen, titelten einige Zeitungen, die Energiewende in Deutschland sei daran schuld“, versucht sie das schlechte Image der Erneuerbaren in Tschechien zu erklären. Zeit für einen humorvollen Einwurf von Volker Weichsel: „Als Steinmeier vor einem Jahr in bester Stimmung bei Zeman war, sagte der zum Schluss, ,wenn es Probleme mit den Erneuerbaren gibt, werden wir ihnen gerne Atomstrom zum angemessenen Preis zur Verfügung stellen’.“

Was die Kommunikation angehe, ergänzt Lizcová, so sei die auf beiden Seiten nicht ideal: „Wenn sich jetzt in Bayern Empörung über geplante Atomkraftwerke an der Grenze regt, so sagen die Tschechen umgekehrt, ,ihr habt auch Windräder an der Grenze aufgestellt, ohne uns zu konsultieren’.“ Das Beispiel sorgte freilich für eine gewisse Heiterkeit. „Ich weiß schon“, räumte Lizcová denn auch freimütig ein, „das ist nicht zu vergleichen.“

NEW Windpark Creußen
Im Windpark Neuhof bei Creußen besitzt die NEW zwei Windräder. Wie es jetzt aussieht, wird es nichts mit der Beteiligung an einem Windpark im Hessenreuther Wald. Foto: Udo Fürst

Lizcová:Ukrainer kämpfen auch für die Tschechen“

In puncto Entschlossenheit bei der Unterstützung für die Ukraine beschreibt Zuzanna Lizcová den feinen Unterschied zwischen der deutschen und der tschechischen Haltung: „In Deutschland sagt man, die Ukrainer kämpfen für unsere Werte, in Tschechien, sie kämpfen für uns – das ist der Unterschied.“ Soll heißen: „Putin hat gesagt, er will die Nato in die Grenzen von 1999 zurückdrängen – das heißt, er betrachtet uns als Teil seines Imperiums.“

Der Grünen-Abgeordnete Mistol erinnert an die tschechischen Erfahrungen am Ende des Prager Frühlings 1968: „Daran dachte man, als man die russischen Panzer gesehen hat.“ Bei der Unterstützung der Ukraine sei man sich aber auch in Deutschland nicht einig. „Wir haben als Grüne seit der Krim-Besetzung darauf gedrängt, rote Linien zu ziehen und Abhängigkeiten abzubauen.“ Bei Waffenlieferungen sei er eher auf tschechischer Linie: „Auch wenn ich das Geld lieber für etwas anderes ausgeben würde“, fordert er eine europäische Verteidigungspolitik, die in Ost- und Mittelosteuropa auf geteilte Meinungen stößt.

Weichsel: „Unfassbare Wut auf Deutschland“

„In Tschechien stieß Scholz’ Zeitenwende-Rede auf Zustimmung, in Polen nicht“, weiß Lizcová. Jeder Versuch, vom Schutzschild der USA unabhängiger zu werden, werde dort als deutsche und französische Hegemonialpolitik interpretiert. Auch Volker Weichsel sieht hier Deutsche und Tschechen recht nah beisammen: „In Polen und im Baltikum herrscht eine unfassbare Wut auf Deutschland – dagegen sind die Differenzen mit Tschechien relativ gering.“ Die verschiedenen deutschen Ringtausch-Initiativen hätten bisher nur mit Tschechien funktioniert: „Die Polen haben das Gefühl, die Deutschen ziehen uns über den Tisch.“

Die immer noch große Bereitschaft der Tschechen, ukrainische Flüchtlinge mit offenen Armen aufzunehmen, dürfe man nicht als Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik missverstehen. „Das sind eine ganz andere Art von Immigranten“, beschreibt Lizcová die Wahrnehmung ihrer Landsleute. „Die kulturelle Nähe, die ähnliche Sprache“, spielten eine Rolle. Es gebe eine große Sympathie für Ukrainer, die auch für die tschechische Freiheit kämpften, und die als Bauarbeiter und Putzfrauen seit Jahren im Land lebten. „Dass es Frauen und Kinder sind und 2015 vor allem junge Männer, mag auch eine Rolle spielen.“

Volker Weichsel (links, Zeitschrift „Osteuropa“) und Jürgen Mistol (Die Grünen, MdL). Bild: Jürgen Herda

Havels Appell: „Europa als Aufgabe“

Das Beste zum Schluss: „Wir erleben gerade eine Sternstunde tschechischer Europapolitik“, freut sich Lizcová. Die Ursache dafür sei der russische Angriffskrieg und das Gefühl, dass man zusammenhalten müsse. Dies habe die verbreitete, aber unrealistische Vorstellung, man könne die Rolle einer neutralen mitteleuropäischen Schweiz spielen, etwas verdrängt. Als Motto ihrer Ratspräsidentschaft wählte die tschechische Regierung den Slogan „Europa als Aufgabe“ – eine Anlehnung an die Rede Václav Havels, die er 1996 zur Verleihung des Internationalen Karlspreises in Aachen hielt.

Damit möchte Prag nicht nur zum „Nachdenken über Europa und zum Überdenken bisheriger Ansätze und Annahmen“ anregen. Die Regierung versteht Havels Impuls als Aufforderung, mehr Verantwortung für globale ökologische, soziale und wirtschaftliche Herausforderungen zu übernehmen. Das Unbehagen mancher Osteuropäer mit den komplizierten europäischen Prozessen, kleidet Volker Weichsel in ein familiäres Bild: „Eine Mutter in Brüssel hat zehn Töchter, die sind unterschiedlich alt, haben unterschiedliche Interessen – und wenn die Mutter dann für alle entscheidet, gibt es eine große Unzufriedenheit.“

Deutsch-tschechische Zukunftsfragen mit (von links) Volker Weichsel (Zeitschrift OSTEUROPA), Zuzanna Lizcová (Karls-Universität Prag) und Jürgen Mistol (B90/Die Grünen, MdL). Bilder/Collage: Ole Witt/jrh

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