Die „WhatsApps“ des 20. Jahrhunderts: Stadtarchiv erhält 1000 alte Ansichtskarten
Weiden. Die frühere Kulturamtsleiterin Petra Vorsatz hat der Stadt Weiden einen Schatz geschenkt: Sie überreichte am Dienstag eine Sammlung von etwa 1000 historischen Postkarten an das Stadtarchiv. Darunter sind echte Raritäten.
Die Sammlung stammt von Günther Heiß, der die Ansichtskarten in zwei Jahrzehnten zusammengetragen hat. Genau wie Petra Vorsatz ist der Neunkirchener leidenschaftlicher Sammler. Es kam vor, dass man bei Internet-Versteigerungen gegeneinander bot. Manchmal steigerte noch ein Weidener mit, der es vor allem auf die Stempel abgesehen hatte: Lothar Höher. Petra Vorsatz erinnert sich, wie der CSU-Bürgermeister eines Tages in ihr Büro geschossen kam: „Bist du ‚Petra Maria Barbara‘?!“ Das war ihr Käufer-Name im Versteigerungsportal.
Fortan schlossen die Fans der guten alten Postkarte zeitweilig Nichtangriffspakte. Als beispielsweise Petra Vorsatz unbedingt an die Ansicht ihres Urgroßelternhauses – die ehemalige Konditorei Steuber/das Sebald-Haus – kommen wollte, ließ Heiß ihr den Vortritt. Etwa tausend Karten zählt seine Sammlung, etwa 1.500 hat Petra Vorsatz zusammengetragen. Sein ältestes Exemplar ist von 1896, ihres von 1892. Beide sind sich einig: „Postkarten sind spannend: vorne und hinten.“
Vermächtnis von Papa Otto Vorsatz
Und so ist die Stimmung bei der Übergabe am Dienstag bestens. Heiß, 78 Jahre, wollte sich von der Sammlung trennen und suchte einen Käufer. Petra Vorsatz kaufte die Sammlung mit Freuden auf. Sie löste damit ein Versprechen ein, dass sie ihrem verstorbenen Vater Otto Vorsatz gegeben hat: „Wenn du amal a Geld brauchst, weil du etwas Schönes für das Archiv kaufen möchtest, dann frag mich.“ Ihr Vater habe früher schon ein Max-Reger-Autograph mitfinanziert. Am Weigel-Krug sei man kläglich gescheitert.
Mit dem Erwerb der Heiß-Sammlung für das Archiv habe sie das Vermächtnis ihres Vaters erfüllt. Und: Otto Vorsatz hätte seine Freude daran gehabt. „Er hätte zu den vielen Karten bestimmt gesagt: Da war ich schon und und da war ich schon und da habe ich dies und das angestellt“, schmunzelt Susanne, Schwester von Petra und weitere Tochter von Otto Vorsatz. Denn: Ein ganz großer Teil der Ansichtskarten zeigt Wirtshäuser der Stadt Weiden.
Postkarten sind spannend – vorne und hinten. Petra Vorsatz, Sammlerin und frühere Kulturamtsleiterin
„Das muss man sich vorstellen, wie wenn man heute eine SMS oder WhatsApp schreibt“, sagt Sammler Günther Heiß, der mit seiner Frau Christine zum Termin gekommen war. Man saß gemütlich im Gasthaus oder beim Volks- und Schützenfest beisammen – und schrieb eine Nachricht. Auch Soldaten schrieben viel, die beispielsweise bei der Infanterie oder zum Reichsarbeitsdienst in Weiden waren. Postkarten waren günstig zu versenden: Das Porto kostete einen Pfennig im Stadtgebiet, drei Pfennig nach außerhalb.
Heiß hat natürlich auch die Rückseiten der Karten gelesen. Eine davon ist aus dem Jahr 1907. Abgebildet ist das Königliche Gymnasium, heute Augustinus-Gymnasium. Ein „Chr. R.“ sendet „Tausend Grüße“ an Fräulein Anny aus Parkstein. Wehmütig schreibt er: „Wie geht’s? Schade, dass wir letzthin so früh heimmussten. Freue mich auf baldiges Wiedersehen.“ Instagram lässt grüßen – heute wüsste er in Sekundenschnelle, ob das mit dem weiteren Date klappt.
Austauschschüler schreibt: Es ist schrecklich, ich will heim
Oft gingen alltägliche Botschaften hin und her. Heiß hat Postkarten an seine Vorfahren, auf denen die Verwandtschaft aus der Mooslohe im Oktober schreibt: „Es ist trocken. Ihr könnt den Torf abholen.“ Von Neunkirchen ging folgende Botschaft nach Maierhof, wo sein Elternhaus stand: „Nächsten Sonntag ist Beichte und Abendmahl.“
Nicht immer steht Nettes auf den Karten. Auf einer Ansichtskarte aus den 1970ern tut ein Austauschschüler der Verwandtschaft kund, dass Weiden ganz schrecklich sei. Er wolle dringend heim. Aus dunklen Zeiten des Nationalsozialismus stammt die Karte, auf der dem NS-Oberbürgermeister Hans Harbauer „Ein glückliches Neujahr! Heil Hitler!“ gewünscht wird – auf der Vorderseite ist die Villa von Ernst Stark abgebildet, Chefarzt des Krankenhauses Weiden und Angehöriger der SS.
Heute schöner: die Altstadt, früher schön: die Bahnhofstraße
Heiß war es wichtig, dass die Sammlung erhalten bleibt. Interessierte können sie künftig im Stadtarchiv durchblättern. Stadtarchivar Sebastian Schott verspricht, die Kollektion beisammen zu lassen: Die Sammlung Heiß bleibt die Sammlung Heiß. „Und sie ist wirklich hervorragend.“
Mithilfe der Karten lasse sich die bauliche Geschichte der Stadt gut nachvollziehen. Manches ist heute schöner – wie die „gute Stube“ der Altstadt. Manches würde sich Schott zurückwünschen: etwa den Gründerzeit-Charakter der Allee oder die ehemals attraktive Bahnhofstraße. Wo heute das Casino „Löwen Play“ ist, war einst der Saal des Gasthofs Einhenkel, wo Reger sein erstes Konzert hielt.
Max Reger schrieb die teuerste Karte
Die exklusivste Karte – für rund 250 Euro – hat Familie Heiß im Privatbesitz behalten: Es handelt sich um eine Ansichtskarte von Komponist Max Reger an einen Professor in Meiningen. Damit hat er einen guten Kauf gemacht, weiß Petra Vorsatz: Reger-Karten kosten meist um die 500 Euro, mit ein paar Notenzeilen drauf noch viel mehr. Der Komponist war leidenschaftlicher Postkarten-Schreiber. Auch, so schrieb er einmal, weil die Post beim Brief-Porto so „unverschämt“ zulange.
Oberbürgermeister Jens Meyer konnte sich am Dienstag von den Alben kaum losreißen. Die Ansichtskarten erzählen die Geschichte Weidens: „Geschichte schreibt sich fort. Und aus Geschichte kann man lernen.“ Die Sammlung sei im Stadtarchiv in besten Händen und werde bestens erhalten. Denn wer wisse schon: Vielleicht fände sich im Jahr 2525 wieder eine Runde zusammen und staune über die Funde aus der Vergangenheit.
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