Film-Uraufführung in Tirschenreuth: „Suche nach den Verlorenen“
Tirschenreuth. Welturaufführung in Tirschenreuth: In „Suche nach den Verlorenen“ porträtiert der Dokumentarfilmer Michael Teutsch, Sohn eines KZ-Aufsehers, sechs Juden, die den Holocaust überlebten. Darunter die Wahl-Tirschenreuther Alexander Fried (†) und Dorothea Woiczechowski-Fried.
Michael Teutschs Geschichte beginnt vor rund 40 Jahren. „Ich war unterwegs, um für ein Dokumentarfilm-Projekt zu recherchieren“, erklärt der Sohn eines SS-Offiziers und KZ-Aufsehers in einem Text zu seinem Dokumentarfilm „Suche nach den Verlorenen“, in dem er sechs jüdische Holocaust-Überlebende zu Wort kommen lässt: Elisabeth Erez, Norman Zysblat, Mordechai Segal, Alphonse Cerf sowie die beiden Wahl-Tirschenreuther Alexander Fried (†) und Dorothea Woiczechowski-Fried.
Die „Suche nach den Verlorenen“ erlebt am kommenden Donnerstag, 7. November, um 19.30 Uhr eine Welturaufführung im Cineplanet Tirschenreuth. Zeitzeugin Dorothea Woiczechowski-Fried lädt im Anschluss an die Vorführung der mehrfach ausgezeichneten Doku zu einem Filmgespräch mit Regisseur Michael Teutsch. Der Eintritt ist frei.
Suche nach den Wurzeln
Der Regisseur besuchte vor Jahrzehnten seinen Vater Rudolf Teutsch und dessen zweite Frau Irma in Dortmund. „Meinen Vater hatte ich in meinem Leben nur wenige Male gesehen“, berichtet der Filmemacher, „und über seine Vergangenheit nur spärliche Informationen von meiner Mutter erhalten.“ Von frühester Jugend an habe die Mutter nur Negatives über ihren Ex-Mann berichtet.
Er sei während des II. Weltkriegs dekorierter Waffen-SS-Mann gewesen: „Und das missfiel mir, denn diese Info vertrug sich nicht mit meiner politischen Einstellung.“ Dennoch habe er den Vater kennenlernen wollen, um sich selber einen Eindruck zu verschaffen. „Vielleicht wäre es ja möglich, Rudolf Teutsch in einen Dokumentarfilm einzubinden, den ich über den Überlebenden und authentischen Protagonisten Georg Heisler aus Anna Seghers‚ ,Das siebte Kreuz‘, drehen wollte.“
Der Vater verweigert die Mitwirkung
Rudolf Teutsch habe den Vorschlag brüsk, beinahe panisch zurückgewiesen: „Es würde heute alles falsch dargestellt und er wolle sich seine Erinnerung nicht zerstören lassen.“ Sohn Michael selbst betont: „Ich habe keine Schuldgefühle wegen der SS-Zugehörigkeit meines Vaters, sondern meine Verantwortung liegt darin, beizutragen, dass dieses Deutschland ein demokratisches, weltoffenes Land bleibt, um Faschismus und Antisemitismus in jedweder Form zu verhindern.“
Rudolfs zweite Frau Irma habe ihm in dann in intensiven Gesprächen vieles von dem, was er seinen Vater fragen hätte wollen, beantwortet. Das Gespräch mit der inzwischen verstorbenen Stiefmutter habe er mit der Schauspielerin Ilona Grandke als Lesung im Restaurant auf dem Münchner Olympiaturm nachgestellt.
Alexanders Frieds Vermächtnis
Die Interviews mit den sechs Jüdinnen und Juden aus Frankreich, Deutschland und Israel zu ihren Lebensgeschichten sind eingebunden in den historischen Kontext vom Auswandern nach Palästina, Kindertransporten nach England, den Nürnberger Rassengesetzen, Verfolgung und Deportation, bis hin zur Gründung Israels 1948.
Der Film zeigt auch, wie unterschiedlich ihre Begegnungen mit der Nachkriegswelt in Deutschland waren, und wie sich das Leben in Israel für sie heute darstellt. Besonders berührend: Das Schlusswort des damals 94-jährigen Alexander Fried zur seit Jahrhunderten währenden Verbundenheit der Juden mit europäischer Kultur, seinem Gefühl, sich als Weltbürger zu sehen und seiner nie gestillten Sehnsucht, an einer besseren Welt mitzuwirken.
Keine Reue: „Bombe drauf und fertig“
Einen Eindruck von Michael Teutschs filmischer „Suche nach den Verlorenen“ vermittelt der Trailer, in dem auch das nachgestellte Gespräch mit Stiefmutter Irma angeteasert wird: „Als ich zu euch kam, hat sich Rudi in komischem Entsetzen zu dir gewandt und gesagt, ,Irma, mein Sohn ist ein Roter‘“, erinnert er sich an die Begegnung. „Das riecht er“, antwortete Ilona Grandke alias Irma.
„Zu Israel“, erklärt Rudolfs zweite Frau, habe er nur gesagt: „Eine Bombe drauf und fertig.“ Von Reue keine Spur. „Wie gern hätte ich Vater Teutsch mit diesen Biografien konfrontiert“, sagt Michael Teutsch. „Aber er ist schon lange tot.“
„Die wissen überhaupt nichts über mich“
Zeitzeugin Elisabeth Erez beklagt in dem Gespräch: „Die Generation meiner Kinder interessiert sich überhaupt nicht – die wissen über mich überhaupt nichts.“ Für die Israelin eine Möglichkeit, ihren Nachfahren ihre Lebensgeschichte zu hinterlassen. Der Franzose Alphonse Cerf erklärt sein Mitwirken in der Résistance: „Ich habe mich gemeldet als französischer Bürger, meine Pflicht zu tun – erstens als Franzose und besonders als Jude habe ich gedacht, du bist auch dem Land etwas schuldig.“
Der inzwischen in England heimisch gewordene Norman Zysblat betont: „Meine Wurzeln sind deutsch, ich bin die erste Generation in Großbritannien.“ Und Mordechai Segal erinnert an seine Familiengeschichte: „Meine Eltern hatten eine Kaffeerösterei in der Berliner Kochstraße.“
Doro und Alexanders Hochzeit
Dokumentiert für die Nachwelt ist auch die rührende Liebesgeschichte von Doro und Alexander, deren Hochzeit in Prag und ihr gemeinsames Leben als Philemon und Baucis in Tirschenreuth. Dorothea Woiczechowski-Fried schildert auch das gespaltene Verhältnis vieler Juden zu einem Jahwe, der den Holocaust zugelassen habe: „Gott steht vor Gericht und die Rabbiner debattieren und debattieren, wie das so ist bei Juden – und am Schluss kommen sie zu dem Schluss und sagen, ,Gott ist schuldig‘.“
Der stets versöhnliche Alexander Fried, der immer das Gute im Menschen suchte, kann der Tätergeneration die bittere Wahrheit nicht ersparen: „Sie haben nichts gesehen und nichts gehört, sagen die Vorbeigehenden. ,Wann ist das geschehen?‘, fragen sie.“ Am 23. April 1945 habe man ihn und seinen Bruder zum Todesmarsch gejagt. „Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die Verlorengegangenen zu finden.“
Einladung zum Filmgespräch
„Suche nach den Verlorenen“ – Filmvorführung und Gespräch mit Regisseur Michael Teutsch und Zeitzeugin Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried im Cineplanet Tirschenreuth am Donnerstag, 7. November, 19.30 Uhr, in Kooperation mit der Partnerschaft für Demokratie Landkreis Tirschenreuth im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ Im Anschluss laden die Veranstalter zu einem Filmgespräch mit Zeitzeugin und Regisseur.
Der Film „Suche nach den Verlorenen“ entstand aus der Auseinandersetzung des Regisseurs Michael Teutsch mit der Rolle seines Vaters, eines SS-Offiziers, während des Nationalsozialismus. Neben der Geschichte des Vaters, die in Form eines mit einer Schauspielerin nachgestellten Interviews mit der zu Drehbeginn bereits verstorbenen zweiten Frau des Vaters quasi den Rahmen des Films bildet, kommen sechs Zeitzeugen und Zeitzeuginnen zu Wort.
Darunter auch der inzwischen verstorbene Professor Alexander Fried und seine Frau Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried aus Tirschenreuth. Historische Filme und Zeitdokumente ergänzen die Interviews. Michael Teutsch ist als Regisseur von mehreren Fernsehdokus bekannt. Der Film „Suche nach den Verlorenen“ wurde bisher nur einmal einem Fachpublikum präsentiert und war noch nie öffentlich im Kino oder Fernsehen zu sehen. Die Vorstellungen in Tirschenreuth kann als Premiere bezeichnet werden.
Der Regisseur Michael Teutsch und die Zeitzeugin Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried werden vor Ort sein und laden im Anschluss an die Filmvorstellung zu einem Filmgespräch ein. Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Veranstaltung wird gefördert aus Mitteln der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Tirschenreuth im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
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