Häusliche Gewalt kann beendet werden – Interview mit einem Täter
Weiden. Jürgen Huhn leitet seit April 2023 die Fachstelle "Täterarbeit - Häusliche Gewalt" bei der Diakonie Weiden. Er hat ein Interview mit einem Mann geführt, der gegenüber seiner Frau gewalttätig war. Es soll zeigen, dass ein glücklicheres Leben für alle möglich ist.

„Täterarbeit ist immer Opferschutz und hilft den betroffenen Frauen und Kindern“, sagt Huhn. Täterarbeit könne eine große Chance sein für Männer, Gewaltfreiheit zu lernen
und dadurch ein besseres Leben zu gestalten. Der Mann, mit dem er das Interview geführt hat, war einige Monate bei ihm in der Einzelarbeit. Er lebt seitdem gewaltfrei mit seiner Familie.
Helmut (Name geändert), du hast jetzt mehrere Monate die Beratung für gewalttätige Männer in Anspruch genommen. Wie geht es dir jetzt?
Helmut: Ich fühle mich jetzt selbst viel freier! Gelöster. Ich bin ruhiger geworden und fühle mich in schwierigen Situationen nicht mehr so „ausgeliefert“. Dadurch sind mir bewusstere und gelassenere Reaktionen möglich. Auch außerhalb der Partnerschaft. Die Beziehung zu meiner Frau ist jetzt wirklich sehr gut. Ich habe gelernt, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Gewalt ist ja keine Lösung. Wenn wir heute streiten, dann kann es schon mal noch erregter werden. Aber wir finden gemeinsam eine Lösung. Dann gehen wir zu unseren Kindern und erklären ihnen das: „Mama und Papa haben gestritten, aber jetzt haben wir eine Lösung gefunden und jetzt ist alles wieder gut.“ Alle sind glücklicher und unser Leben ist friedlicher geworden.
Warum hast du letztlich mit der Beratungsstelle Kontakt aufgenommen?
Helmut: Ich bin seit mehreren Jahren immer wieder meiner Frau gegenüber gewalttätig geworden. Mir ist immer mehr bewusst geworden, was ich damit kaputt mache. Ich habe ihr Vertrauen immer wieder zerstört. Ich habe ihr wie oft versprochen: „Das passiert nicht mehr.“ Und ich habe mich nicht um externe Hilfe bemüht, obwohl ich das immer wieder zugesagt habe. Erst als sie mit Trennung gedroht hat – völlig zurecht – habe ich reagiert. Ich hab ja vorher nichts verändert. Und ehrlich gesagt, wusste ich damals auch gar nicht, wie Veränderung „funktioniert“.
War das der wichtigste Beweggrund?
Helmut: Der wichtigste Beweggrund war, dass ich meine Beziehung retten wollte. Ich wollte keinen geliebten Menschen mehr verletzen. Ich liebe ja meine Frau – und auch meine Kinder. Ich habe ja immer mehr gemerkt, welche Auswirkungen das auf alle hat. Meine Frau hatte Angst vor mir, das war mir klar. Und ich wollte ja nicht, dass ein Mensch, den ich liebe, Angst vor mir hat. Und ich wollte meine Kinder schützen. Die Kinder, vor allem das ältere, wurden immer unruhiger. Und ich habe mich selbst immer mieser dabei gefühlt. Das wurde ja alles immer schlimmer.
Warum warst du gewalttätig?
Helmut: In Konfliktsituationen, wenn wir zum Beispiel unterschiedlicher Meinung waren, war ich oft hilflos und fühlte mich ohnmächtig. Ich habe mich in solchen Situationen oft provoziert gefühlt. Was mich im Einzelnen verletzt hat und dass ich das auch sehr oft falsch aufgefasst habe, habe ich erst viel später gemerkt. Das war mir aber alles nicht wirklich bewusst … hat aber dazu geführt, dass ich immer mehr Schwierigkeiten hatte, mich unter Kontrolle zu haben.
Wie warst du gewalttätig?
Helmut: Ich hab geschrien, bin sehr laut geworden. Und ich habe meine Frau an den Haaren gezogen.
Was hat dir am meisten geholfen?
Helmut: Es waren viele einzelne Aspekte, dir mir mit der Zeit geholfen haben, mein gewalttätiges Verhalten zu verändern und schließlich abzulegen. Zum Beispiel: Warum rege ich mich nur bei meiner Frau auf und werde aggressiv, und nicht bei anderen Menschen, beispielsweise in der Arbeit? Über die kann ich mich auch aufregen. Obwohl ich sehr diskussionsfreudig bin, wurde ich nur bei meiner Partnerin gewalttätig und nicht in der Arbeit.
Warum ist das so? Dass du ausgerechnet bei deiner Frau aus der Haut fährst?
Helmut: Bei einem Menschen, den ich liebe, kann ich mich viel schneller und tiefer verletzt fühlen. Was dazu führt, dass ich denke, ich bin nicht gut genug. Wichtig war zu lernen, dass ich mich selbst spüren und regulieren kann. Was regt mich auf, wo fühle ich mich verletzt, bedroht oder ohnmächtig? Vielleicht ist die Aussage meiner Partnerin gar kein Angriff, sondern ich fasse es nur so auf?
Wie reagierst du jetzt, wenn du merkst, es brodelt in dir?
Helmut: Dann kann ich rausgehen, die Situation verlassen. Zeit gewinnen und mich beruhigen. Durchatmen. Zwischen Reiz und Reaktion einen immer größeren Raum zu schaffen, der es mir ermöglicht hat, anders zu reagieren. Wegzugehen von der Gewalt, und später hin zur Diskussion. Sehr gut geholfen hat dabei auch das Bild, dass ich jetzt einen neuen Weg gehe. Der alte Weg war „Gewalt“. Der alte Weg war über die Jahre sehr ausgetreten und tief. Da kommt man nicht so schnell raus. Alte Muster, alte Gewohnheiten. Den neuen Weg gab es noch nicht. Eine Abzweigung vom alten Weg in eine andere Reaktionsmöglichkeit und damit in ein neues Leben. Den neuen Weg musste ich erst selbst anlegen. Der war ungewohnt. Das braucht Zeit und Geduld und klappt nicht gleich beim ersten Mal.
Wie war die erste Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle?
Helmut: Der erste Eindruck war sehr wichtig. Es war ganz anders, wie ich es erwartet hatte. Das Einfühlungsvermögen mir gegenüber – nicht nur als Täter – sondern vor allem als Mensch, war sehr wichtig. Man braucht als betroffener Mann keine Angst zu haben, den Kontakt aufzunehmen. Es wurde nichts beschönigt, aber ich wurde auch nicht verurteilt.
Was würdest du anderen Tätern empfehlen?
Helmut: Es ist ganz wichtig, nichts zu verharmlosen oder schönzureden. Das hilft nicht! Man muss sich dem wirklich stellen, dass ich selbst ein Problem habe und nicht damit klarkomme. Männer, die Kinder haben, sollten sich bewusst machen, dass sich ihr Verhalten auf die Kinder überträgt. Später ist die Gefahr extrem hoch, dass sie Täter- und Opferrollen übernehmen. Ich bin dafür verantwortlich, wie die Zukunft meiner Kinder aussieht. Da gibt es keine Ausreden. Ich rate Männern und Frauen, die ein Gewaltproblem haben, ganz dringend, dass sie sich jemanden anvertrauen und nach Hilfe suchen.
Wie gehst du jetzt mit Konflikten in deiner Partnerschaft um?
Helmut: Ich beherzige jetzt die Sachen, die ich in der Beratung für mich erarbeitet habe. Meine Frau und ich sind uns im Klaren darüber, dass wir nicht in einer Eskalation enden wollen und gehen jetzt anders miteinander um. Wenn es einen Konflikt gibt, sprechen wir mehr miteinander. Ich höre besser zu, fühle mich nicht gleich angegriffen und versuche meine Frau zu verstehen. Und dann können wir auch gemeinsam eine Lösung finden.
Kontakt zur Beratungsstelle
Fachstelle Täterarbeit – Häusliche Gewalt/Diakonie Weiden, Telefon 01520/3282838, E-Mail: gewalt-frei-werden@diakonie-weiden.de
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