Ideen für die „Demografiefeste Kommune“: Von Mobilität bis Vereinsführerschein
Tirschenreuth. Ein wenig konkreter hätte es Landrat Roland Grillmeier dann doch gerne: „Wie soll das Ergebnis aussehen?“ Das Pilotprogramm „Demografiefeste Kommune“ darf Empfehlungen für die Gemeinden erarbeiten, aber selbst wenig umsetzen. Die gute Nachricht: Vieles hätten die Kommunen bereits auf den Weg gebracht.
Das Pilotprogramm „Demografiefeste Kommune“ der Bayerischen Staatsregierung und des Heimatministeriums, für das der Landkreis Tirschenreuth als Modellregion ausgewählt wurde, ist gut gemeint: Teilnehmende Kommunen sollen in die Lage versetzt werden, auf den demografischen Wandel passgenau zu reagieren. Das Programm läuft bereits seit 3 Jahren – Beginn Oktober 2021 – und noch bis Ende September 2025. Es besteht aus fünf Phasen.
- In Phase 1 wurde für den Landkreis durch die Firma gewos eine Demografie-Analyse erstellt.
- Phase 2 stand im Zeichen der Bürgerbeteiligung, geleitet von den externen Beratern Gero Wieschollek und Ines Riermeier, mit Demografie-Werkstätten in Bad Neualbenreuth und Waldershof sowie einer digitalen Befragung – unter Miteinbeziehung politischer Gremien.
- In Phase 3 soll jetzt eine Heimat- und Demografiestrategie entwickelt werden, in welche die zuvor erarbeiteten Vorschläge für die Handlungsfelder Wohnen und Nahversorgung, Mobilität und Verkehrsanbindung, Gesundheit und Pflege, Gesellschaft, Bildung und Kultur sowie Wirtschaft einfließen.
Vieles schon umgesetzt
Nach Abschluss der zwei ersten Phasen bringt Violetta Meyer (Gründerin der Beratungsfirma „innohuman“), die den Strategieprozess bis zum Ende der Förderphase begleitet, den Ausschuss für Demografie, ländlichen Raum, Landkreisentwicklung und Digitalisierung auf den neuesten Stand. Von den Ideen und Anliegen aus den Bürgerbeteiligungen in Waldershof und Bad Neualbenreuth sowie der politischen Gremien wurden und werden „bereits viele Teilprojekte konkret umgesetzt“.
Dazu gehören zum Beispiel die Etablierung einer Freiwilligen Agentur für den Landkreis Tirschenreuth, die Workshops für Vereine durchführt. Oder auch die Kommunenbefragung des „Netzwerks Inklusion“ zu Teilhabebarrieren für Menschen mit Behinderung.
Geplante und laufende Projekte
Weitere geplante oder bereits durchgeführte Projekte innerhalb des Pilotprogramms:
- Analyse zur Daseinsversorgung im Landkreis Tirschenreuth,
- Wohnraumbedarfsanalyse,
- ein Ehrenamtsempfang
- ein Ehrenamtsfilm (Fertigstellung geplant bis Ende 2024),
- ein Aktionstag „Mobil bleiben im Alter“ am 15. November,
- sowie Fortbildungstage für Kitas.
Weitere Projekte, an denen der Landkreis arbeitet, die aber nicht über das Pilotprogramm finanziert werden, sind eine beschleunigte Sprachausbildung für Migranten oder auch die Überarbeitung des Nahverkehrsplans.
Viele Akteure miteinbinden
„Wir wollen möglichst viele Akteure innerhalb des Landratsamts miteinbinden, um die Akzeptanz zu erhöhen“, kündigt Meyer einen Workshop für 3. Dezember an sowie einen weiteren im April oder Mai nächsten Jahres. „Wir wollen schon viel unterwegs umsetzen“, erklärt sie, „das Ergebnis soll eine Ideenquelle für die Gemeinden sein.“ Was auch ein wenig die Krux des Projekts beschreibt: Man kann auf Landkreisebene Ideen entwickeln, aber keine Maßnahmen umsetzen.
„Die Umsetzung muss dann durch die Kommunen oder den Landkreis selbst mit anderen Fördermitteln wie der Städtebauförderung oder Dorferneuerung selbst erfolgen“, erklärt Landrat Roland Grillmeier. Eine schriftliche Version der Heimat- und Demografiestrategie soll im Sommer 2025 präsentiert werden. Bis dahin will man für das Pilotprojekt weitere Handlungsempfehlungen aufnehmen, die praxisnah und umsetzbar sind und für andere Kommunen als Ideenquelle dienen können. Nur so könne der Landkreis „demografiefest“ gemacht werden.
Öffentlichkeitsarbeit, Digitalisierung, Wohnbedarfsplanung
Einen Überblick über laufende und geplante Projekte in seinem Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gibt Fabian Polster. „Unsere neue Landkreis-Homepage ist jetzt eineinhalb Jahre am Start.“ Mit der alten Seite hatte man häufig Ausfälle zu beklagen. „Das ist vollkommen abgestellt.“ Die Homepage funktioniere reibungslos, die Benutzer fänden sich zurecht. „Ned g‘schimpft is‘ g‘lobt gnua.“ Das sei der Grund, warum es wenig Rückmeldungen gebe. „Wir entwickeln uns kontinuierlich weiter“, sagt Polster, „wir haben ein neues Bewerber-Portal angebunden, auch die Familien App angeschlossen.“ Weitere Online-Services würden folgen, die Google-Suche werde weiter optimiert.
„Hallo, ich bin Tiri, der Chatbot des Landratsamtes Tirschenreuth, und freue mich über Ihr Interesse“, begrüßt der neueste Mitarbeiter der Behörde die Besucher der Landkreis-Website.“ Das habe sich inzwischen als zusätzlicher Service eingependelt. „Er nutzt die angelegte Wissensbasis und teilweise auch KI.“ Der Chatbot beantworte etwa Anfragen zu Kfz-Kennzeichen und spuke Telefonnummern aus. „Rund 100 Leute nutzen ihn wöchentlich.“
Auch auf Social Media sei der Landkreis aktiv. „Wir haben 3000 Follower auf Facebook“, erklärt Polster. Instagram erfordere mehr Aufwand, weil dort zunehmend Bewegtbild gefragt sei. „Da haben wir 1200 Follower, die wir meistens mit in Kacheln eingebundenen Text versorgen.“ Für die geplante Landkreis-App hätte Polster gerne Pushnachrichten: „Man könnte auch den Chatbot und die Social-Media-Kanäle integrieren.“
Geplant seien außerdem die Fortführung des Landkreismagazins, die Einführung eines WhatsApp-Kanals, die Nutzung von LinkedIn vor allem für Bewerber, eine Ausweitung des KI-Angebots, wo es sinnvoll sei, wie bei Wohngeldanträgen. Schließlich wolle man die Modernisierung der Print-Produkte wie den Abfall- oder Seniorenwegweiser und das vhs-Heft angehen: „Wobei sich die Frage stellt, ob das noch jeder als gedrucktes Heft braucht.“
Apropos: Der Digitalisierungsbeauftragte Simon Haberkorn gibt einen Überblick über bereits abgeschlossene, laufende und geplante Projekte. Auch zum Digitalen Bauantrag hat er eine Wasserstandsmeldung: „49 Bauanträge sind seit dem 1. April eingegangen, alle anderen müssen gescannt werden“, sagt Haberkorn, „das dauert etwas länger, bis sie den Fachstellen zur Verfügung gestellt werden können.“
Landrat Roland Grillmeier bedauert, dass digitale Angebote noch sehr zurückhaltend genutzt würden: „Den digitalen Bauantrag nutzen noch nicht einmal 3 Prozent – Architekten und Bauherren machen es nicht, weil sie nicht müssen.“ Es gebe Landkreise, die bereits eine Online-Rate von 10 Prozent bei KfZ-Anmeldungen ausweisen.
„Bei uns sind es gerade mal ein Prozent, und dann beschweren sich Leute über die Wartezeit auf einen Termin“, sagt Grillmeier. Immerhin sei die Quote beim Wohngeld etwas höher. Derzeit digitalisiere man auch das Gesundheitsamt. „Der Austausch der Gesundheitsämter hat bei Corona ja nicht funktioniert“, erklärt Haberkorn. Die Bayern-ID soll durch die Bund-ID ersetzt werden, die halb fertig sei.
Fortgeschritten sei die Digitalisierung bereits im Jugendamt, wo die aufwendige Struktur das Arbeiten an digitalen Formularen besonders erfordere, im Sozialamt, im Ausländeramt, beim Bafög, der Personal-, der Zulassungs- und Führerscheinstelle. Die Anbindung weiterer E-Akten sei im Gewerbeamt, der Hauptverwaltung, der Kämmerei, dem Gesundheitsamt und dem Katastrophenschutz geplant. Eine weitere E-Akten-Anbindung soll bei der Heimaufsicht, dem Veterinäramt sowie dem Naturschutz und Wasserrecht erfolgen.
Derzeit sei Tirschenreuth zusammen mit 24 anderen Landkreisen am Projekt „Werkzeugkasten 3.0“ beteiligt. „Jeder hat zwei Formulare entwickelt, die man sich gegenseitig zur Verfügung stellt.“ Erbendorfs Bürgermeister Johannes Reger möchte wissen, ob man das als Kommune übernehmen kann. „Die Hauptverwaltung arbeitet mit einem Einheitsaktenplan, der bis zu einem gewissen Grad übertragbar ist.“ Zwar würden sich die Bereiche in einigen Punkten unterscheiden, aber grundsätzlich könne man die Strukturen übernehmen.
In aller Kürze fasst Anton Kunz, Sachgebietsleiter Kreisentwicklung beim Landkreis Tirschenreuth, die bereits veröffentlichte Wohnraumanalyse für den Landkreis Tirschenreuth zusammen (welche ebenso durch das Pilotprogramm Demografiefeste Kommune gefördert wurde). Das Resümee des Forschungsinstituts Empirica aus Berlin: Im Landkreis würden bis 2040 etwa 270 2.700 Wohneinheiten benötigt. „Dreiviertel davon in Einfamilienhäusern, ein Viertel in Mehrfamilienhäusern“, erläutert Kunz. Davon ungefähr 60 bis 65 Prozent im städtischen Umfeld von Mittelzentren. Aktuell gebe es 37.000 Wohneinheiten im Landkreis.
Eine zweite Kernaussage der Analyse sei: „Bis 2040 werden 400 Wohnungen im preisgünstigen Segment benötigt.“ Sehr viele Sozialwohnungen würden in den nächsten Jahren aus der Bindung fallen. „Es ist unklar, was mit denen dann passiert.“ Außerdem benötige der Landkreis wegen des guten Wachstums der vergangenen Jahre Wohnraum für zugezogene Mitarbeiter. „Die Einkommensgrenzen sind so gestaffelt“, erklärt Kunz, „dass unter gewissen Voraussetzungen auch ein Normalverdiener in geförderten Wohnraum einziehen kann.“
Grillmeier ergänzt; „Wir haben das Ziel 300 neue Sozialwohnungen definiert.“ Jahrzehntelang seien keine neuen entstanden. Es gebe viele Altbestände: „Die Kewog hat ihre Häuser aus den 50-er Jahren saniert, aber nicht barrierefrei.“ Bei der jüngeren Generation habe sich zudem die Einstellung zum Wohnen verändert. „Nicht jeder kann sich mehr ein Einfamilienhaus leisten“, fährt Grillmeier fort. „Viele junge Leute sind in Nachbarregionen in Geschosswohnungen gezogen.“
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Sehr gute Information, ausführlich und exzellent aufbereitet von Jürgen Herda