Im Atomkraftwerk Temelin sollen zwei neue Reaktoren gebaut werden

Temelin/Neustadt/WN/Tirschenreuth/Weiden. Vier neue Atomreaktoren will Tschechien bauen. Zwei davon nahe der tschechisch-deutschen Grenze. Darüber sind viele Grenzanwohner und einige Regionalpolitiker tief besorgt.

Das Atomkraftwerk bei Temelin nahe der tschechisch-deutschen Grenze. Foto: Südböhmische Tourismuszentrale

„Interessiert Sie, wie die Kernenergie entsteht? Dann sollten Sie das Informationszentrum des Kraftwerks Temelín besuchen, das sich im Renaissanceschlösschen Vysoký Hrádek in unmittelbarer Nähe des Kraftwerks befindet.“ Der Werbeslogan der Südböhmischen Tourismuszentrale verdeutlicht einigermaßen das eher entspannte Verhältnis des östlichen Nachbarn zum Thema Atomkraft. Während in Deutschland mittlerweile alle Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, beschreitet Tschechien den entgegengesetzten Weg.

Besorgnis in Niederbayern und der Oberpfalz

Die Besorgnis über die Pläne der tschechischen Regierung ist vor allem in der südöstlichen Oberpfalz und im Norden Niederbayerns groß. Grünen-MdL Toni Schuberl aus Passau zum Beispiel befürchtet: „Der Bayerische Wald wäre in der Todeszone.“ Selbst seine CSU-Kollegen in Niederbayern und der südöstlichen Oberpfalz machen sich Sorgen. Im Hinblick auf die tschechische Wertarbeit in Sachen Atomkraft herrscht allenthalben seit jeher Skepsis. Das Atomkraftwerk Temelin steht nicht nur bei Umweltschützern wegen seiner vielen Störfälle in der Kritik. Erst vor einigen Tagen hatte es wieder eine Panne gegeben: ein Leck im nuklearen Bereich.

„Was entsteht denn da?“, fragt der Deggendorfer Landrat Bernd Sibler (CSU). Seinen CSU-Kollegen in Regen, Ronny Raith, würde interessieren, wo der ganze Atommüll hin soll: „Etwa auch zu ihnen an die Grenze?“ Der Landrat fordert von der Staatsregierung, zu diesem Thema bei den Nachbarn konkret nachzufragen.

CSU-Landräte pro Atomkraft

Eine etwas entspanntere Sicht haben die CSU-Landräte aus dem Norden der Oberpfalz. So meint Neustadts Landrat Andreas Meier (CSU): „Es ist ein Treppenwitz, dass wir unsere technologisch einwandfreien und im höchsten Maß sicheren AKW’s ohne Not abschalten und dann im Zuge eines transeuropäischen Strommarktes Atomstrom bei den Nachbarn direkt vor unserer Haustüre einkaufen.“ Auf Sicherheitsbedenken geht der CSU-Politiker in seinem Antwortschreiben an das OberpfalzEcho nicht ein.

„Mehr Zeit für Energiewende“

Als Befürworter der Atomkraft gibt sich auch Meiers Parteifreund, der Tirschenreuther Landrat Roland Grillmeier, zu erkennen. „Ich war immer dafür, die Laufzeit unserer Atomkraftwerke zu verlängern, wenn die Energiewende nicht vorankommt.“ Die meisten Menschen hätten das in dieser Krisensituation befürwortet. „Wir brauchen Zeit für die Umsetzung und Akzeptanz der Energiewende. Jetzt müssen wir ‚unsicheren‘ Atomstrom aus den Nachbarländern zukaufen.“

In Tschechien werde die Energiewende unaufgeregter und weniger ideologisch diskutiert. Man setze dort, wie in mehr als 20 anderen Ländern in Europa auch, auf die Atomkraft. Grillmeier: „Die EU muss bei neuen Reaktoren in Grenznähe vor allem bei Fragen zu den Themen Technik und Sicherheit beteiligt werden. Wir sind nur 200 Kilometer von Temelin entfernt und ich kann mir gut vorstellen, dass es in unmittelbarer Nähe noch größere Sorgen und Ängste gibt.“

Bevölkerung verunsichert

Weidens Oberbürgermeister Jens Meyer bedauert, dass in Tschechien an veralteten Technologien festgehalten werde, zumal die Frage der Endlagerung nach wie vor ungeklärt sei. „Ich bin überzeugt, dass die Atom-Pläne viele Bürgerinnen und Bürger in der Region verunsichern, mich eingeschlossen.“

Der Chamer Landrat und Oberpfälzer Bezirkstagspräsident Franz Löffler (CSU) sagt: „Nicht nur Tschechien, auch Frankreich und andere europäische Länder setzen voll auf Atomkraft“. Löffler glaubt, dass der geplante Ausbau von Temelin „berechtigte Sorgen in der Bevölkerung“ auslöst und verlässliche Informationen Tschechiens zum Thema Sicherheit noch fehlten.

„Bayern setzt auf neue Wege“

Für „bedenklich“ hält der Weidener CSU-Landtagsabgeordnete Stephan Oetzinger die Entwicklung im tschechischen Grenzgebiet. „Das gilt aber auch für viele andere Grenzgebiete. Überall entstehen Kernkraftwerke, werden bestehende ausgebaut oder weiter genutzt. Ich halte es für eine Fehlentscheidung der Bundesregierung, die Laufzeiten der AKW’s nicht verlängert zu haben.“ Bayern setze beim Thema Energie vor allem auf den Faktor Forschung und die Erkundung neuer Wege, wie zum Beispiel bei der Kernfusion.

„CSU-Forderung völlig absurd“

Eindeutig gegen Atomkraftwerke positioniert sich die Weidener SPD-Landtagsabgeordnete Nicole Bäumler. „Als SPD sind wir hier völlig klar: Wir halten die Atomkraft für eine teure und völlig unwirtschaftliche Hochrisikotechnologie – egal ob westlich oder östlich der Grenze. Das sollte im Übrigen auch für die CSU gelten. Neue Atomkraftwerke in Tschechien wegen der Gefahren abzulehnen, aber für Deutschland genau das zu fordern, ist völlig absurd.“

„Noch vieles im Dunkeln“

Für Laura Weber, Weidener Landtagsabgeordnete der Grünen, kam die Ankündigung, dass Tschechien Angebote für vier neue Atomkraftwerke einholen will, sehr überraschend. Insbesondere, dass zwei Reaktoren in Temelin vorgesehen sind, habe die Besorgnis in den westlichen Nachbarländern steigen lassen. „Bei unseren Nachbarn scheint aber noch vieles im Dunkeln zu liegen. Noch gibt es nur eine Absichtserklärung über mögliche Standorte. Trotzdem sind die Sorgen besonders in Ostbayern natürlich mehr als berechtigt.“ Ein Atomkraftwerk in Temelin sei bei einem größeren Unfall eine massive Gefährdung für Leib, Leben und Eigentum – weit über den ostbayerischen Raum hinaus. „Wir müssen auf der Hut sein. Atomkraft ist und bleibt gefährlich und auch finanziell sind die Pläne hochriskant.“

Frühzeitiger Protest wichtig

Rein ökonomisch sei die Situation für neue Atomkraftwerke in Tschechien alles andere als
günstig. Aber angesichts der verschlafenen Energiewende und dem unzweifelhaften Ende der Braunkohle sei ein Drang zu finanziell aberwitzigen und illusorischen Projekten nicht auszuschließen. Darum sei ein frühzeitiger Protest und eine Kooperation bei Energiewendeprojekten enorm wichtig. Weber: „Für mich als Energietechnikerin und Grüne, die mit der Anti-Atom-Bewegung aufgewachsen ist und dem jetzigen Ausstieg aus der
Atomkraft hin zur sicheren, sauberen und unabhängigeren Energieversorgung sieht, ist das ein sehr wichtiges Anliegen.“

Projekte scheiterten am Geld

„Gelassen“ sieht Webers Parteifreundin Brigitte Artmann aus Marktredwitz die tschechische Ankündigung. Die Wunsiedler Grünen-Kreisvorsitzende gilt als eine der hartnäckigsten Kritikerinnen des Atomkraftwerks Temelin und weist seit vielen Jahren auf die Gefahren hin, die von den dortigen Reaktoren ausgingen. „Unsere Nachbarn wollen schon seit 2012 neue Reaktoren bauen, doch dieses Vorhaben scheitert immer am Geld.“ Artmann zieht einen Vergleich: Die Doppelblockanlage Hinkley-Point C in Großbritannien war mit 21 Milliarden Euro veranschlagt und koste jetzt 38 Milliarden Euro.

Das „Märchen von den kleinen Reaktoren“

Artmann weist die Behauptung zurück, dass Atomstrom günstiger sei als Strom aus regenerativen Energien. Auch die unter anderem vom Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder ins Spiel gebrachten „Mini-Kernkraftwerke“ seien illusorisch. „Die gibts noch gar nicht.“ Viele der neuen Reaktorkonzepte seien unausgereift, der Strom aus Mini-AKW’s sei wesentlich teurer als Strom aus Sonne und Wind und nicht zuletzt seien sie auch genauso gefährlich wie große Reaktoren. „Es ist ein Märchen, das uns da von der Atomlobby und ihren Profiteuren da aufgetischt wird“.

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1 Kommentare

Gisela scharf - 13.02.2024

Hab ihr keine anderen Probleme