Jahn im DFB-Achtelfinale: Steckt gegen den VfB Stuttgart auch im SSV ein winziger Roter Stern?
Regensburg. Schlusslicht Zweite Liga gegen Champions League: Woher nimmt Regensburg die Chuzpe, sich gegen den VfB Stuttgart was zuzutrauen? Klar, Pokal, eigene Gesetze, Blabla. Oder steckt in den Oberpfälzern vielleicht doch ein winziger Roter Stern? In Belgrad erlitt der Vizemeister eine krachende Bruchlandung.
Geht’s nach den Wettbüros liegt die Siegchance des Bundesliga-Vizemeisters und aktuell „nur“ Tabellenneunten VfB Stuttgart bei 79 Prozent – die des Zweitliga-Schlusslichts SSV Jahn Regensburg mit der schlechtesten Defensive der Liga und 33 Gegentoren bei 11 Prozent. Da kann dann jeder Jahn-Spieler das eine Prozent ausmachen. Was geht also für die Oberpfälzer am heutigen Dienstag, 18 Uhr, im Jahn-Stadion?
Was können die Oberpfälzer der VfB-Offensivmaschine entgegensetzen? Auf der Habenseite stehen zwei magere 1:0-Erfolge im Pokal gegen den seinerseits kriselnden Bundesligaletzten VfL Bochum und gegen eine zuletzt ebenfalls ins Schlingern geratene SpVgg Fürth. Aber hej, immerhin! Wer hätte das den Regensburger schon zugetraut, die bisher erst dreimal in ihrer über 100-jährigen Vereinsgeschichte das Achtelfinale erreichten?
Ob man sich auch noch etwas vom leuchtenden Roten Stern aus Belgrad abgucken kann? Der serbische Serienmeister hat den VfB bekanntlich in dieser seltsamen neuen Champions League mit 5:1 überfallartig nieder gekontert. Gut, wer da einen Vollstrecker wie den serbischen Nationalstürmer Nemanja Radonjic in den eigenen Reihen hat. Da ist das schwache Jahn-Lüftchen mit den „Toptorjägern“ Noah Ganaus (1 Tor), Eric Hottmann (1), Dominik Kother (1), Kai Pröger (1), Christian Viet (1) sowie im Pokal Florian Ballas (1) und Rasim Bulic (1) noch Lichtjahre entfernt.
Beim VfB fehlt die halbe Nationalmannschaft
Gut, außer den Vereinsfarben halten sich die Gemeinsamkeiten mit dem serbischen Dauermeister also in engen Grenzen. Und dennoch war die Abreibung, die der VfB Stuttgart in Belgrad einstecken musste, eine faustdicke Überraschung und für den CL-Tabellen-31, vom Balkan überhaupt der erste Dreier. Andererseits kann VfB-Trainer Sebastian Hoeneß auch auf eine ellenlange Verletztenliste verweisen, die die Schwaben nachhaltig bremst.
Allen voran Topscorer Deniz Undav, Sturmpartner El Bilal Toure, Jamie Lewelling, Mittelfeld-Motor Angelo Stiller, Abwehr-Ass Dan-Axel Zagadou, Youngster Anrie Chase oder der belgische Nationalspieler Ameen Al-Dakhil –sie alle füllen das Stuttgarter Lazarett. Für sie könnten U21-Nationalstürmer Nick Woltemade, Flügelläufer Justin Diehl und Verteidiger Ramon Hendriks eine Chance bekommen.
Video-Studium für Kühlwetter?
Und doch nimmt der zum Cheftrainer beförderte Andi Patz in der PK das Wort „überfallartig“ in den Mund – die Video-Analyse wird doch nicht etwa tatsächlich das Belgrad-Trauma der Schwaben in den Fokus genommen haben? „Für uns heißt’s wieder, eine defensive Stabilität zu haben“, setzt Patz auf bekannte Mauertaktik, „und dann unsere Chancen im Umschaltspiel, wie wir sie jetzt auch in Braunschweig hatten, ja, überfallartig besser zu nutzen.“
Da haben wir’s! Christian Kühlwetter, die torlose Sturmhoffnung aus Heidenheim, muss nur lange genug die Szene studieren, als Radonjic zwei Stuttgarter Abwehrstars synchron ins Leere laufen lässt und mit einer eleganten Körperdrehung die Kugel ins lange Eck schlenzt – ohne Chance für Alexander Nübel, der wohl in Regensburg ohnehin pausieren darf. Setzt aber voraus, dass das Jahn-Mittelfeld seine Ballgewinne genauso präzise über die Mittellinie bis in die Box transportiert, wie die Serben. Und daran hapert’s bislang gewaltig.
Gute Ansätze in Braunschweig
Immerhin, das mutigere 0:0 in Braunschweig verspricht Besserung. „Wir haben ein richtig gutes Gesicht gezeigt“, kann man dem Jahn-Trainer dieses Mal zustimmen. „Wir haben hoch gepresst, hatten viele Ballgewinne, haben auch mal eine Druckphase von Braunschweig überstehen müssen – haben uns da wieder rausgekämpft.“ Alles richtig. „Wir haben uns selber wieder Chancen erarbeitet, belohnen uns leider nicht dafür.“ Auch das nur allzu korrekt beschrieben. „Deshalb sind wir zufrieden mit dem Punkt, es hätte auch anders ausgehen können, wir hätten auch drei mitnehmen können.“
Zufrieden sollte man als Tabellenschlusslicht, das Boden gutzumachen hat, jetzt vielleicht nicht allzu sehr sein mit einem Punkt bei einem direkten Konkurrenten um die Plätze 15 bis 18. Und das war „nur“ Braunschweig. Von daher stimmt’s schon: „Wir brauchen nicht über Stuttgart reden“, hat Patz ja recht. Wenn ein Punkt beim 15. der Zweiten Liga schon zufrieden macht. Was soll man dann gegen die Schwaben-Power erwarten? „Welche Qualität sie mitbringen, das ist eine Champions-League-Mannschaft – eine spielstarke Mannschaft, sie haben ein sehr, sehr gutes Positionsspiel, eine hohe Ballsicherheit.“
Das Wunder vom Dom?
Das sei für jeden einzelnen ein absolutes Highlight-Spiel. Und das „im eigenen Stadion“, pardauz, „ein Pokalspiel“, man glaubt es kaum: „Es dauert 90 Minuten, vielleicht auch länger, wir wissen’s nicht.“ Da wolle man alles reinhauen: „Wir wollen alles dafür tun, das Spiel so lange wie möglich offen zu gestalten, dem VfB alles abzuverlangen – und dann schauen, was am Ende für uns dabei übrigbleibt.“ Ein Punkt sicherlich nicht. Die gibt’s im Pokal nicht zu verteilen. Aber wer weiß, vielleicht das Wunder von der Domstadt?
Schließlich stärken den Regensburgern einmal mehr bewundernswert treue Fans im Achtelfinal-Duell gegen den VfB im ausverkauften Jahn-Stadion den Rücken: „Wir freuen uns drauf, wie uns die Jahn-Fans in den vergangenen Wochen unterstützt haben, das ist einzigartig.“ Das könne schon ein Faktor sein. „Mal schauen, was wir den Fans zurückgeben können.“
Hoeneß über den DFB-Pokal: „Kürzester Weg zu einem Titel“
Sebastian Hoeneß wird sich hüten, irgendeinen Gegner schlecht zu reden. Wer möchte schon nach einer Pokalüberraschung doppelt blamiert dastehen? Die Lage des Zweitliga-Schlusslichts beschreibt der VfB-Trainer deshalb vorsichtig euphemistisch: „Wenn man die Tabelle sieht, haben sie aktuell Probleme.“ Das kann man nicht abstreiten. „Es ist ein Aufsteiger“, stimmt. „Sie hatten auch schon einen Trainerwechsel.“ Wie wahr. „Aber es ist halt Zweite Liga und nicht Pokal.“ Genau!
Und im Pokal, „da geht’s nur darum, dieses einzige Spiel zu performen“. Und das sei auch das Relevante für Stuttgart: „Wir wollen eine Runde weiterkommen, immer natürlich mit dem Ziel einer guten Leistung – aber unterm Strich geht’s darum, im Pokal zu überwintern.“ Das sei einfach eine große Chance, die man da habe: „Viertelfinale ist das dann, oder?“ Korrekt! „Und für das Ziel wollen wir morgen alles geben.“
Jetzt mal Käse bei die Spätzle: „Klar wissen wir, dass wir in der Lage sein müssen, Regensburg zu schlagen.“ Jetzt nur nicht zu viel Risiko, nicht zu viel Onkel-Abteilung Attacke. „Aber wir wissen auch, was Pokal bedeutet.“ Deshalb wäre man schlecht beraten, zu lange auf die Zweitliga-Tabelle zu schauen.“ Besser wär’s, „am ehesten draufzuschauen, was wir haben für das morgige Spiel – so werden wir’s auch angehen.“ Und dann fliege man heute Abend – aus Lesersicht gestern – im Schwaben-Kranich nach Regensburg.
Kleiner Traum vom Olympia-Stadion
Klar sei das ein Kontrastprogramm: „Weil Championsleague ist das Non plus Ultra, aber Pokal ist immer spannend.“ Man habe dort Gelegenheit, relativ schnell in einem Finale zu stehen, in dem man einen Titel gewinnen könne. „Das ist das, warum wir antreten, in allen Wettbewerben.“ In manchen sei es realistischer, in manchen liege es in einer etwas weiteren Ferne. Guter Film von Wim Wenders mit dem unvergessenen Peter Falk. Aber das ist ein anderer Schauplatz in Berlin.
„Natürlich musst du ein bisschen Glück haben mit der Auslosung – aber dann, wenn wir jetzt im Viertelfinale stehen, ist es nicht mehr so weit weg.“ Kann er’s schon sehen? „Berliner Olympiastadion. Pokalfinale, das ist schon ein kleiner Traum, da dann zu stehen – plus dem Bonus, einen Titel gewinnen zu können und international spielen zu dürfen im Jahr darauf.“
Schlag auf Schlag
Natürlich sei es jetzt de facto so, dass bei der ausgelosten Konstellation zwei Hochkaräter rausflögen – sprich: Leipzig oder Frankfurt, Bayern oder Bayer. Das bedeute im Umkehrschluss aber auch: „Dass zwei Hochkaräter weiterkommen.“ Vertrackte Logik. Vergangenes Jahr seien sehr früh sehr viele „rausgegangen“. Sobald man im Viertelfinale sei, könne man auf einen Hochkaräter stoßen: „Dann kannst du natürlich auch sagen, das ist ein vorgezogenes Finale.“ Für den SSV Jahn also schon heute!
Jetzt aber Schluss mit der Träumerei: „Aber diese Gedanken mache ich mir wirklich noch nicht.“ Jetzt gehe es um das Spiel morgen. „Allzu viele Gedanken mache ich mir sowieso nicht, was in der Zukunft liegt, weil dafür einfach zu wenig Zeit ist – es geht Schlag auf Schlag.“ In sechs Tagen stünden drei Auswärtsspiele mit jeweils Übernachtung an. „Da denke ich nur noch an die nächste Stunde, was ich da mache.“
Rotationsmaschine mit Bedacht
Ob man angesichts der schwierigen Personallage wieder die Rotationsmaschine anwerfen werde? „Wir werden uns sehr genau überlegen, für wen das Spiel Sinn macht aus Belastungsgründen“. Sagt Hoeneß. „Das oberste Ziel ist, eine Mannschaft an den Start zu bringen, bei der die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass sie gewinnt – die mental in der Lage ist, das Spiel gut zu absolvieren, und dass sich keiner verletzt.“ Da könnte es schon einige Wechsel geben. „Da müssen wir einfach gut mit den Jungs sprechen und dann entscheiden.“
Absolut richtig sei aber auch, dass der VfB anders als in der vergangenen Saison ein paar Themen zu bearbeiten habe, weil nicht alles so glatt flutsche wie bei der Rutschpartie zur Vizemeisterschaft in der vergangenen Saison. „Es ist auch eine Frage der Erwartungshaltung“, sagt Hoeneß, „natürlich haben wir ein paar Trainingsphasen, und die nutzen wir dann auch, um gewisse Akzentuierungen vorzunehmen und den Fokus auf bestimmte Bereiche zu setzen“. Aber die Probleme seien erklärbar. „Und deswegen möchte ich mich auch ein bisschen wehren gegen diese negative Betrachtungsweise.“
Laut xG-Wert bessere Platzierung möglich
Was habe man für Möglichkeiten gegenzusteuern? „Natürlich Videoanalyse, die Dinge ansprechen, die Dinge aufzuzeigen.“ Aber da gehe es auch um Psychologie. „Es ist nicht sinnvoll, da nur draufzuhauen, aber es ist auch nicht sinnvoll, darüber hinwegzugehen.“ Man müsse von Spiel zu Spiel ein Gefühl entwickeln, wie die mentale Verfassung der Mannschaft sei, wie bereit sie sei, Dinge zu verarbeiten, bei den ganzen Einflüssen, die gerade auf sie einstürzten. „Das ist komplex, aber auch das Spannende an der Phase, dass du dir die Frage immer wieder stellen musst, mit dem Trainerteam zu diskutieren, mit dem Spielerrat.“
Mit dem derzeitigen Punktestand sei man aber auch deswegen nicht zufrieden, weil einfach mehr möglich gewesen wäre. Wenn er sich nur mal den xG-Wert – den sagenumwobenen expected-goals-Wert – anschaue: „Wir hatten Spiele, die deutlich auf unserer Seite waren, die wir dann nicht für uns entschieden haben.“ Abgesehen von Leverkusen oder Gladbach, die vom xG-Wert auch ein Unentschieden hätten sein können: „Und dann war’s das auch schon.“ Es habe mehr Spiele gegeben, wo man selbst Punkte habe liegen lassen. „Wenn wir da noch den einen oder anderen Punkt mehr geholt hätten, wären wir näher dran an den interessanteren Plätzen.“ Und das sei schließlich das Ziel.
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