Jahn in der Dritten Liga: Viktoria Köln killt den Rekord des Herbstmeisters in der 98. Minute

Regensburg. Es musste irgendwann passieren: Bis zur 97. Minute steht der Jahn vor dem 11. Sieg und Drittliga-Rekord. Dann belohnt sich Viktoria Köln für das Dauergestocher im Regensburger Strafraum. Nach einer 8-minütigen Verletzungspause war beim SSV Jahn der Akku spürbar leer.

Schockstarre in der 50. Minute: Die Spieler, einschließlich Jahn-Stürmer Noah Ganaus, der den Jahn in der 27. Minute in Führung geschossen hatte, bilden einen Kreis um Simon Handle. Foto: jrh

Es ist die Schlüsselszene des Spiels: In der 50. Minute bleibt Simon Handle nach einem Regensburger Eckball im Fünfmeterraum offenbar bewusstlos liegen. Lange ist nicht klar, was genau passiert ist. Schilderungen der Mitspieler zufolge ist der Kölner Mittelfeldspieler nach einem Zweikampf auf den Kopf gefallen, hat sich auf die Zunge gebissen, blutet stark.

Die Spieler, einschließlich Jahn-Stürmer Noah Ganaus, der den Jahn in der 27. Minute in Führung geschossen hatte, bilden einen Kreis um die verletzte 7 – die Behandlung wird diskret abgeschirmt. Beklemmende Stille im Jahn-Stadion: Jetzt nur nicht noch ein Vorfall mit tragischem Ende! Nach quälend langen 8 Minuten wird der Verletzte vorsichtig abtransportiert. Nach dem Spiel hört man, sein Zustand sei stabil.

Nach dieser Verletzungspause verliert der Jahn endgültig den Faden. Ist das Spiel auch zuvor schon eher zerfahren, geht bei Regensburg jetzt gar nichts mehr nach vorne. Als hätte man den Oberpfälzern den Stecker gezogen, kommen die Kölner vor allem in der Schlussphase zu zahlreichen, wenn auch nicht glasklaren Chancen. In der 98. Minute belohnt Jonah Sticker in seinem dritten Drittliga-Einsatz die massiv ersatzgeschwächten Rheinländer mit dem verdienten Ausgleich nach wiederholtem Gestocher im Jahn-Strafraum.

Enochs: Herbstmeister? „Da gibt’s nichts zu feiern“

Für die Jahn-Akteure natürlich trotzdem bitter: Drei Minuten vor dem Ende killt Köln den alleinigen Drittliga-Rekord – so schnell wird man kaum mehr eine derartige Siegesserie hinlegen. Dennoch reichen die zehn Dreier in Folge zum Gleichstand mit dem bisherigen Rekordträger KSC vor zehn Jahren, zu 41 Punkten und der inoffiziellen Herbstmeisterschaft, für die sich aber leider keiner was kaufen kann.

Weshalb sich Jahn-Trainer Joe Enochs dazu auch nicht gratulieren lassen will: „Wenn wir so spielen gegen Saarbrücken, werden wir Riesenprobleme bekommen“, sagt er eher schmallippig. „Da gibt’s nichts zu feiern.“ Viktoria Köln habe die Basics eben sehr gut gemacht: „Angeschlagene Boxer sind die schwierigsten Gegner. Das war heute so.“ In der Pause habe man die drei Punkte bereits in der Tasche gehabt: „Die wollten wir nicht wieder hergeben, wollten besser anlaufen, das haben wir phasenweise auch gemacht, aber das Gegentor war gerechtfertigt.“

Noah Ganaus schießt den SSV Jahn gegen Viktoria Köln in Führung. Foto: jrh

Ganaus: „Nicht konsequent genug“

Auch Torschütze Noah Ganaus ist trotz seines Treffers nicht wirklich zum Feiern zumute: „Es ist extrem bitter, dass wir in der Nachspielzeit noch das Tor bekommen.“ Vielleicht steckt dem engen Kumpel des verstorbenen Agy Diawusie aber auch der Schreckmoment nach Handles Verletzung besonders in den Gliedern. „Wir waren in manchen Situationen nicht konsequent genug.“

Der SSV Jahn startet gegenüber dem Freiburg-Spiel mit Rasim Bulic, Oskar Schönfelder und Noah Ganaus anstelle des angeschlagenen Andi Geipl sowie Bryan Hein und Elias Huth. Schlimmer trifft es Köln, die verletzungs- und sperrungsbedingt fünf Änderungen vornehmen müssen: David Kubatta, Lars Dietz, Florian Engelhardt, Niklas May und David Philipp laufen für Fritz, Russo, Schultz, Marseiler und Bogicevic auf – ergänzt um neun Akteure im Kader aus der eigenen Akademie.

Faire Kölner Gäste wünschen dem SSV Jahn nach Agy Diawusies Tod viel Kraft. Foto: jrh

Agy-Gedenk-Minute 24

Der Jahn versucht Enochs Rezept vom hohen Anlaufen zu Beginn zu beherzigen, Köln braucht etwas, um sich zu befreien. Die erste Großchance fällt dem Kölner Jeremias Lorch vor die Füße, der aus abseitsverdächtiger Position am Fünfer wohl selbst überrascht von der unerwarteten Gelegenheit drüber ballert (7.). Ansonsten egalisieren sich beide Mannschaften weitgehend oder machen sich mit Fehlern im Spielaufbau das Leben selber schwer. Mitten in eine Kölner Ecke hinein erheben sich die Zuschauer wie schon gegen Freiburg in der 24. Minute zum Gedenken an Agy Diawusie, dessen Rückennummer weiter auf einem überdimensionalen Trikot prangt.

Nach Tobias Eisenhuths scharfen Freistoß von rechts säbelt erst Louis Breunig am Fünfer über den Ball, bis ihn Ganaus final versenkt, 1:0 (27.) – die zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt zwingende Führung für den SSV Jahn. Dominik Kother startet wenig später auf der linken Seite zur Grundlinie durch, verpasst aber das rechtzeitige Abspiel auf Oscar Schönfelder, der in der Mitte ziemlich freisteht (37.).

Der Schreck nach Simon Handles Blackout steht auch Jahn-Trainer Joe Enochs ins Gesicht geschrieben. Foto: jrh

Ganaus hat den Doppelpack auf dem Fuß

Nach der Pause hätte Ganaus mit einem Doppelpack den Sack fast zugemacht, aber Viktoria-Keeper Ben Voll pariert dessen Schuss von der Strafraumkante zur Ecke (49.). Nach dem folgenden Eckball bleibt Simon Handle wie beschrieben benommen liegen – nach der rund zehnminütigen Unterbrechung wird der Mittelfeldakteur mit einer Trage vom Platz gefahren. Die Unterbrechung zieht dem Spiel auch für lange Minuten danach den Stecker. Erst rund 20 Minuten später kommt Kother zum nächsten vielversprechenden Abschluss, den erneut Voll pariert.

Anschließend geht Kölns Trainer Olaf Janßen mit Offensiv-Wechseln all in. Nach einem der vielen Standards, mit dem der SSV um den Ausgleich bettelt, klärt Ganaus per Kopf gerade noch zur Ecke (71.). Florian Ballas kann danach gerade noch seinen Luxuskörper in den Ball stellen, Keeper Felix Gebhardt faustet den Freistoß des eingewechselten Valdrin Mustafa über die Latte (92.) und Lars Dietz verfehlt knapp (95.) – auch Gebhardt kann den Rekord noch zweimal festhalten (97., 98.).  Dann geschieht, was geschehen musste: Noch ein hoher Ball in den Strafraum, Jonah Sticker reagiert im Getümmel am schnellsten und schiebt die Kugel aus nächster Nähe über die Linie (98).

Stecker gezogen: Etwas ratlos warten die Jahn-Spieler Louis Breunig, Bene Saller und Dominik Kother, dass das Spiel nach der Verletzungspause weitergeht. Foto: jrh

Kölner Stimmen nach dem Spiel

Jonah Sticker nach seinem Tor im erst dritten Drittliga-Einsatz: „Die Mannschaft hat gekämpft, am Schluss waren wir am Drücker und haben uns den Ausgleich auch verdient. Nach dem 1:1 war vielleicht sogar noch mehr drin.“ Die Verletzungssituation seines Kollegen Simon Handle habe er von außen auch nicht gesehen. „Uns wurde es so geschildert, dass er im Zweikampf getroffen wurde, auf den Kopf gefallen ist und sich auf die Zunge gebissen hat. Es hat sehr geblutet.“

Natürlich sei sein Tor auch ihm gewidmet. „Wir haben gegen den Tabellenführer gespielt, hatten das Spiel sogar weitgehend kontrolliert, auch wenn wir 1:0 hinten lagen. Die Ergebnisse haben vielleicht in letzter Zeit nicht so gestimmt, wir sind aber alle sehr eng zusammengerückt.“

Lars Dietz schildert nach seinem Stammelf-Comeback die neuesten Erkenntnisse zum Zustand Simon Handles: „Es ist alles soweit alles in Ordnung, alles stabil.“ So etwas passiere leider im Fußball. „Er ist ein Kämpfer und er wird das alles schnell verkraften.“ Die Schlussphase des Spiels beschreibt er so: „Wir haben natürlich sehr viel Druck gemacht, am Ende war das eine irre Drangphase, wir wollten noch den Sieg mitnehmen, das ist uns leider nicht gelungen.“ Mit dem Punkt beim Tabellenführer könne man aber auch zufrieden sein.

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