Juden verstecken 1942 Dokumente in Weiden – Nachfahren gefunden
Weiden. Seit 82 Jahren wartet eine Schachtel in Weiden auf ihren rechtmäßigen Besitzer. 1942 hatte eine jüdische Familie vor der Deportation Fotos und Dokumente bei Freunden versteckt.

Jetzt, 2024, konnte ein Nachfahre gefunden werden: Daniel Heimann (98), wohnhaft nahe Tel Aviv. Er ist der Enkel des Weidener Glasfabrikdirektors Isidor Adler. Es deutet alles daraufhin, dass dessen im Holocaust ermordete Tochter Elise Heimann, geborene Adler, das Paket für ihre Kinder Daniel und Käthe geschnürt hat. Ein enthaltenes Kuvert ist an diese beiden adressiert.
Das Paket war 1942 der früheren Haushälterin Anna Karban zur Verwahrung gegeben worden. Es wurde nie abgeholt. Die Weidenerin vererbte es an ihre Nichte weiter, die es 1996 der Jüdischen Gemeinde Weiden gab.
Es wurden etliche Versuche unternommen, rechtmäßige Besitzer zu finden. Zeitungsartikel erschienen, Postings in Online-Foren wurden veröffentlicht. Alle Versuche schlugen fehl. Seit Jahrzehnten steht die Pappschachtel im Schrank. Darin ist ein Familienschatz enthalten: Zeugnisse, Fotos, Verträge, Zeitungsartikel.
Nachfahren von Weidener Juden halfen bei Recherche
Die Stolperstein-Verlegungen in Weiden brachten jetzt unerwartet Schwung in die Sache. Auch für Elise Heimann soll 2025 in der Dr.-Seeling-Straße 31 (gegenüber „Injoy“) ein Stolperstein verlegt werden. Die Israelin Hila Kohner, Nachfahrin von Weidener Juden, machte sich für OberpfalzECHO auf die Suche nach Nachfahren.
Und wurde prompt fündig. Daniel Heimann, Enkel von Isidor, erweist sich im Video-Telefonat als verblüffend fit: „Ich bin der letzte Nachkomme der Adler-Seite.“
Eltern mit 13 Jahren das letzte Mal gesehen
Die Adlers waren eine angesehene Familie in Weiden. Isidor Adler war bis 1923 kaufmännischer Direktor der Glasfabrik Weiden-Moosbürg von Familie Kupfer, dann wechselte er an den Stammsitz Fürth. Seine drei Kinder Max, Elise („Liesl“) und Paul sind in Weiden geboren.
Der 98-jährige Daniel Heimann aus Tel Aviv ist der Sohn von Elise Heimann, geborene Adler. Geboren ist er als Theodor Heimann, in Israel hat er sich in Daniel umbenannt. Daniel war 13 Jahre alt, als er seine Eltern das letzte Mal gesehen hat.
Drei Tage vor seinem 13. Geburtstag hatte er mit seiner Familie in Nürnberg die Reichspogromnacht erlebt. Heimanns saßen zitternd auf dem Elternbett im Schlafzimmer, als die SA das mehrstöckige Wohnhaus stürmte. In der Wohnung darüber zerschlugen SA-Männer das Mobiliar. Ein jüdischer Nachbar wurde aus dem Fenster geworfen und starb. Bei Familie Heimann blieb die Tür zu: Sie war erst kurz zuvor eingezogen und noch nicht umgemeldet.
Kinder ins Ausland geschickt
Es fiel der Entschluss zur Flucht. Vergeblich bemühte sich Max Heimann um Visa für Übersee. Am Ende gelang es nur noch, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Die ältere Käthe wurde mit einem Kindertransport nach England geschickt. Daniel, 13, konnte mit Alja, einer jüdischen Organisation in Palästina in Sicherheit gebracht werden. „Ich war der letzte meiner Klasse, der noch rausgekommen ist.“
1939 kam sein Schiff in Haifa an. In der Tasche hat er nur die Adresse von Onkel Max Adler, ebenfalls gebürtiger Weidener, der schon 1935 emigriert war.
Eltern starben in Vernichtungslager
Seine Eltern wurden 1942 von Nürnberg in das Transit-Ghetto Izbica deportiert. Daniel besuchte damals die Landwirtschaftsschule. Er erinnert sich noch, wie sein Onkel Max mit der Nachricht aus Tel Aviv kam. Seine Eltern seien „in den Osten transportiert“ worden. „Ich habe damals nicht verstanden, was das bedeutet.“
Daniel Heimann hat den Ort Izbica selbst besucht. Man zeigte ihm zwei Massengräber mit jeweils rund 2000 ermordeten Juden. Inzwischen geht Daniel Heimann aber davon aus, dass seine Eltern vermutlich nicht in Izbica ermordet wurden, sondern in ein Vernichtungslager weitertransportiert wurden. Ihre Spur verliert sich im Osten.
Mit 94 der älteste Student Israels
Daniel Heimann baute sich ein Leben in Israel auf. Er ist Mitbegründer eines Kibbuz im Süden. Er heiratete, hatte zwei Söhne, von denen einer im Libanon-Krieg starb. Der 98-Jährige lebt in der Nähe von Tel Aviv und hat inzwischen acht Urenkel.
Vor wenigen Jahren machte er in Israel Schlagzeilen als der älteste Student des Landes, womöglich der ganzen Welt. Mit 94 studierte Daniel Heimann an der Universität von Tel Aviv. Daniel Heimann hat vier Master-Abschlüsse, inzwischen besucht er „nur“ noch Online-Vorlesungen.
Kibbuz blieb von Hamas verschont
Der von Daniel Heimann mitbegründete Kibbuz Urim teilt ein ähnliches Schicksal wie die Wohnung der Heimanns zur Reichspogromnacht 1938. Er wurde vergessen. Der Kibbuz befindet sich unmittelbar am Gaza-Streifen. Beim Überfall der Hamas saßen Bewohner zitternd in ihren Kellern, auf den Handys die Berichte und Fotos aus benachbarten Dörfern. Sie tippten schon Abschiedsworte an Verwandte.
Und dann passierte – nichts, wie beispielsweise in der Fox-News-Schlagzeile berichtet: „Israeli village miraculously unscathed by Hamas terrorist carnage: Hand of God.“ Wie durch ein Wunder blieb ein israelisches Dorf vom Blutbad der Hamas-Terroristen verschont.
Persönlicher Transport nach Israel geplant
Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit setzt aktuell alles daran, das Paket so schnell wie möglich auf den Weg nach Tel Aviv zu bringen. Voraussichtlich innerhalb eines Monats sollen die Familienfotos und anderen Dokumente Daniel Heimann persönlich übergeben werden.
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3 Kommentare
Ein Kompliment an die Autorin. Nach so langer Zeit bei der Suche von Nachfahren erfolgreich zu sein verdient höchste Anerkennung.
Was für ein ergreifender Artikel !
Was für eine Freude, diese hervorragend recherchierte Geschichte zu lesen. Herzlichen Dank dafür!