Klettern im Steinwald: Der Weg ist das Ziel

Erbendorf. Der Weg ist das Ziel – wohl kaum ein Sport spendet so großzügig Metaphern wie das Klettern. Aufstieg, Absturz, Fallen, gehalten werden. Hört sich an wie im richtigen Leben, oder? Und: Die Angst ist immer dabei. Aber das ist ja genau der Punkt.

Von Stephan Landgraf

Klettern Steinwald Räuberfelsen
Am Ziel der Träume und Anstrengungen – Autor Stephan Landgraf vorm Gipfelkreuz.

Die Finger schmerzen, die Muskeln sind zum Zerreißen angespannt. „Jetzt mal ganz tief durchatmen“, ruft mir von unten Heribert Flieger, Fachübungsleiter Alpin Klettern des Deutschen Alpenvereins (DAV), Sektion Weiden zu. Leichter gesagt als getan. Ich hänge in 20 Metern Höhe am Räuberfelsen im Steinwald. Noch sieben Meter bis zum Ziel, sieben schier unüberwindliche Meter bis zum Gipfel.

Jetzt nur nicht aufgeben,

denke ich mir. Der Haken hält ja und Heribert Flieger sichert mich. Also keine Lebensgefahr. Dennoch: Es ist nicht schön, allein in der Granit-Felswand zu hängen. „Bleib ganz ruhig“, sagt der 67-Jährige, der selbst schon seit über 50 Jahren klettert – in der Oberpfalz und im Gebirge. „Rechts oberhalb ist ein guter Griff. Zieh Dich daran hoch“, lautet sein Tipp. Genau. Ruhig bleiben.

Klettern gegen die Angst

Ich bin schwindelfrei, große Höhen machen mir nichts aus. „Klettern ist gut gegen Angst“, sagt Flieger, als wir uns von Pfaben aus Richtung Vogel-, Räuber- und Ratfelsen – den drei Klettermöglichkeiten im Steinwald – aufmachen.

Klettern Steinwald Räuberfelsen
Der Räuberfelsen im Steinwald – ein anspruchsvolles Klettergebiet mit Routen nahezu aller Schwierigkeitsgrade.

Beim Klettern lernen die Leute, auch in der Angst handlungsfähig zu bleiben. Das lässt sich dann aufs Alltagsleben übertragen. Sich auf das Wesentliche zu fokussieren, das ist der Sinn des Kletterns.

Ich konzentriere mich, sammle meine letzten Kraftreserven. Ich habe ihn gefunden, den Griff, rechts oben. Noch fünf Meter, wobei das letzte Stück auf den Gipfel des Räuberfelsens nicht ohne ist. Dabei hat alles so leicht anfangen. Kein Vergleich zu dem, als Heribert Flieger begonnen hat. „Damals gab es nur normale Hanfseile, wir nahmen Holzkeile als Haken, wickelten das Seil um sie herum. Klettergurte gab es damals nicht, genauso wenig wie Edelstahlhaken oder Umlenker oder die modernen Verbund- und Bohrhaken.“

Leicht waren auch die ersten Meter meines Aufstiegs im Räuberfelsen. Als Kletter-Einsteiger darf ich mir den Fichtenweg vornehmen. Eine Route mit Schwierigkeitsgrad 3+. Für einen Anfänger nicht ohne. Aber zu schaffen, versichert mit Heribert Flieger. Ich vertraue ihm. Denn wer seit über 50 Jahren in den Bergen unterwegs und zudem Fachübungsleiter ist, muss wissen, wovon er spricht. Im Steinwald gibt es Touren bis zu 9+, auf der elfstufigen Skala also schon ganz weit oben angesiedelt.

Klettern Steinwald Räuberfelsen
Der Fichtenweg – für Heribert Flieger kein Problem, ist es doch lediglich eine „3+-Route“.

Klettern ist mehr, viel mehr. Es steckt eine Philosophie dahinter.

Oben bin ich auch fast. Aber nur fast. Aus 22 Metern ein kurzer Blick nach unten. „Hat mich Heribert auch wirklich noch?“ Er hat. „Gleich hast Du es geschafft. Fokussier Dich, fühl den Felsen“, ruft er zu mir nach oben. Also gut – ich atme erneut tief durch. Aufgeben gibt’s nicht. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel. Wobei mir mittlerweile auch meine Zehen schmerzen. Die Kletterschuhe sitzen hauteng, sind unbequem. Müssen sie sein. Nur so entwickelt man das richtige Gefühl für die feinen schmalen Tritte in der Wand.

Eines wurde mir von Meter zu Meter klarer: Klettern als Therapie oder als Breitensport hat wenig gemein mit den Stars der Kletterszene, wie zum Beispiel den Huber-Buam. Den waghalsigen Kerls, die am überhängenden Fels nach oben turnen, womöglich noch ohne Seilsicherung. Die riskanten, aber irgendwie auch immer gleichen Bilder müssen sein, um Sponsoren anzuziehen. Klettern ist mehr, viel mehr. Es steckt eine Philosophie dahinter.

Klettern Steinwald Räuberfelsen
Überhänge bis zu 9+: Der Räuberfelsen verlangt selbst den Könnern einiges ab.

Geschraubte Karabiner, Express-Schlingen, Klemmkeile. Mein Lehrer hat alles dabei. Feinsäuberlich und sorgfältig wird mir der Klettergurt angelegt. Ein gesteckter Achterknoten macht das Seil an ihm fest. Es kann losgehen.

Lass Dir Zeit. So blöd es sich anhört: In der Ruhe liegt die Kraft,

sagte mit Heribert Flieger, als ich unten in den Fichtenweg einstieg. Zuvor „rannte“ er selbst den Felsen hinauf – schnell, trittsicher, mühelos. Oben brachte er die Sicherung für mich an. Eine sogenannte „Top-Rope“, bei der das Sicherungsseil durch eine Umlenkung wieder nach unten zu mir gelenkt wird. Sollte ich beim „Top-Rope“-Klettern stürzen, falle ich nicht tief und werde aufgrund der Seildehnung sanft aufgefangen.

“Wenn du das alles berücksichtigst, ist Klettern ungefährlich”

„Ruhig, ruhig“, schießen mir seine Worte durch den Kopf. Mein Hirn denkt an den nächsten Griff, den nächsten Tritt. Der Ehrgeiz kommt von alleine. Der Körper spannt sich. Knie strecken. Immer besser mit den Füßen hochtreten als sich hochhangeln. Es klappt, ich drücke mich mit meinem linken Bein nach oben, strecke die linke Hand zum alles entscheidenden letzten Griff aus. „Gut“, ruft Heribert. „Gleich bist du oben.“

Klettern Steinwald Räuberfelsen
Die Ausrüstung muss stimmen – sorgfältig stellt Heribert Flieger sie zusammen.

„Die Psyche”, sagte der 67-Jährige zu mir vor meinem Abenteuer, „das ist immer das Entscheidende. Das und die sportliche Fitness, die richtige Technik und Ausrüstung. Nicht zu vergessen: der Respekt vorm Berg. Wenn du das alles berücksichtigst, ist Klettern ungefährlich.“ Stimmt, denn wer im Stadtverkehr radelt, geht laut Unfallstatistik größere Risiken ein als ein Kletterer, aber hat wahrscheinlich weniger Angst.

Klettern ist Hochsteigen, Gehen nach oben, „ein vitalisierendes Erlebnis“, wie Heribert Flieger sagt. Wie belebend die Bewegung in der Vertikalen ist, erfahre ich gerade. Als Anfänger eine 27 Meter hohe Felswand aufzusteigen, der Sonne entgegen, das ist schon ein Traum. Das Leben ist ja Phantasie. Und Klettern verbindet mit den Träumen. Auch mit denen aus der Kindheit. Mit Zeiten, als man noch auf Bäume stieg, ohne ans Fallen zu denken. Man holt sich klammheimlich ein bisschen Romantik zurück, die einem das Erwachsenenleben geklaut hat.

Das Panorama ist atemberaubend

Ein letzter Ruck, das rechte Bein hoch – ich hab’s geschafft: Ich stehe auf dem Gipfel des Räuberfelsens. Was für ein Gefühl, wenngleich ich völlig außer Atem bin. Dennoch: Das Panorama ist atemberaubend, die Sicht frei bis zum Ochsenkopf. „Wer oben ist, der schaut auf die Welt von einem höheren Standpunkt herab. Von oben sieht alles kleiner, beherrschbarer, auch unwichtiger aus, als es uns von unten erscheint“, sinniere ich.

Die Berge zeigen dem Menschen seine Grenzen auf. Für die Nepalis wohnen in den Bergen immer noch die Götter. Wer auf dem Gipfel steht, versteht das. „Klettern lehrt nicht Größenwahn, sondern Demut“, sagt Heribert Flieger, der mir hinterher geklettert ist und sich neben mich setzt.

Im Bergsport ist Multi-Tasking gefährlicher Quatsch. Man muss konzentriert sein.

Auch beim Abstieg, auf dem wir uns nach meiner Unterschrift im Gipfelbuch machen. Langsam und konzentriert, aber endlos glücklich – der Weg ist das Ziel.

Klettern Steinwald Räuberfelsen
Die letzten Meter des Fichtenwegs – nochmals eine Herausforderung.
Klettern Steinwald Räuberfelsen

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