Kommentar: Was für ein Mensch ist Querdenker Helmut Bauer?

Weiden. Man kennt die Plattitüden der Gerichtsberichterstattung: „Der Angeklagte nimmt das Urteil ohne Regung zur Kenntnis.“ Als diene die Art des Umgangs mit einer belastenden Situation als Schablone für eine Charakterstudie. Ein Versuch, dem Menschen Helmut Bauer gerecht zu werden.

Mit Querdenker Helmut Bauer in einem Weidener Café. Bild: Jürgen Herda

In den meisten Fällen hat es ein Gerichtsreporter in nur einem Wimpernschlag eines Menschenlebens mit dem gänzlich unbekannten Angeklagten zu tun. Deshalb sollte er tunlichst darauf verzichten, sich ein Urteil über dessen innere Verfassung zu machen. Gerade wenn man, wie ich, privat völlig konträre Auffassungen wie Helmut Bauer vertritt, tut man gut daran, Vorurteile zu Hause zu lassen.

Zwei Stunden im Café

Das Mindeste, was ich als Journalist tun kann: das Gespräch suchen. Ich setze mich für zwei Stunden mit dem halbprominenten Querdenker in ein Café, ohne mir danach einzubilden, ihn anschließend einschätzen zu können. Schon bei der Platzwahl die erste Hürde: Im gleichen Café hat sich die „Gegenpartei“ niedergelassen. Ein junger Mann fordert von der Bedienung, dass der „gerade Verurteilte“ aus dem Lokal entfernt wird. Er fühle sich nicht wohl. Mein Vermittlungsversuch scheitert, die Gruppe geht in den Innenraum, wir bleiben draußen.

Man kann dem „Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte“ nicht übel nehmen, nicht neben einem Mann sitzen zu wollen, der massenweise Aufrufe zur Gewalt zumindest fahrlässig in seinem Forum geduldet hat – und bei allen gesellschaftlichen Debatten von Flucht über Corona bis Klima polarisiert. Ich bin dennoch der Auffassung, dass ein Interview mit Helmut Bauer im öffentlichen Raum möglich sein muss. Vielleicht auch ein Stück weit Toleranz mit einem Andersdenker?

Sie hätten härter bestraft werden müssen“

Was für ein Mensch ist dieser gelernte Steinmetz-Meister, der stolz auf sein Querdenken ist? Zunächst einmal eine auffällige Marke mit Cowboy-Hut und Horst-Lichter-Schnauzer, der Aufmerksamkeit offensichtlich nicht unangenehm ist. In zweiter Linie ein Typ, der den Kontakt sucht, der offen ist für ein Gespräch und keine Aggression ausstrahlt. Vielleicht auch ein wenig Missionar auf der Suche nach Bedeutung?

Seine Abneigung gegen Gewalt wiederholt er. Wer ihn kenne, wisse, dass er mit Nazis überhaupt nichts am Hut habe. Ob das stimmt oder Taktik ist? Ich bin kein Lügendetektor. Was ich mir denke: Der Kerl nimmt ansonsten kein Blatt vor den Mund. Und ich gebe ihm immer wieder die Chance, die Gewaltphantasien seiner Forumsmitglieder zu relativieren. Er bleibt dabei: „Einige meinen es vielleicht nicht so, aber andere halte ich für gefährlich, sie hätten härter bestraft werden müssen.“

Ich bin nicht dümmer als ihr“

Natürlich bin ich wenig überrascht, dass Diskussionen über die Ursachen des Ukraine-Kriegs, die Corona-Maßnahmen, den Mensch gemachten Klimawandel zu keinem Ergebnis führen. Helmut Bauer hat ein in sich geschlossenes Weltbild. Er ist stolz darauf, sich dieses eigenwillige Konstrukt selbst aus dem Internet zusammengeklaubt zu haben. Was das Gespräch anstrengend macht: Er kommt vom Hundertste ins Tausendste. Zu jedem Thema kramt er unzählige Netz-Fundstücke hervor, die vom Kern des Themas ablenken. Das ist, meine ich, kein Ablenkungsmanöver, das ist seine Denkweise.

Eine Denkweise, die dem Sohn eines Landwirts in die Wiege gelegt ist. Detailversessen, technikbegeistert, handwerklich geschickt. Er sieht die Welt nicht aus der Vogelperspektive, ist deswegen aber nicht dümmer als ein Akademiker. „Ich bin nicht dümmer als ihr“, sagt er mehrfach. Es ist offensichtlich ein Thema für einen, der sich von den Medien als dumm hingestellt fühlt. „Ihr braucht nicht glauben, dass euch die normalen Leute nicht durchschauen“, bekommt er Schulterklopfen in seinem Umfeld.

Das große Komplott

Da ist der immer wieder kehrende latente Vorwurf, dass Eliten aller Art in irgendeiner Weise in eine Art Komplott verwickelt sind. Der Staatsanwalt ist weisungsgebunden. Von der Politik, die ihn ausschalten möchte. Die Medien schreiben ihn schlecht, weil wir damit Auflage erzeugen wollen. Dass er weniger Klicks bringt, als ein banaler Verkehrsunfall, bei dem man sich nicht einen ganzen Vormittag um die Ohren schlägt, nimmt er ungläubig zur Kenntnis.

Aus dem Nichts die Warnung, man solle ihm nur keinen Antisemitismus unterstellen. Er treffe immer wieder Juden. Mit Charlotte Knobloch habe er diskutiert und ihr versichert, dass der Holocaust das schlimmste Verbrechen aller Zeiten gewesen sei. Dann kommt das Aber: „Ich habe ihr gesagt, dass es nicht richtig sei, daraus heute noch Kapital zu schlagen.“ Ich halte ihm entgegen, dass wir uns das Trauma eines 97-jährigen KZ-Überlebenden wie das meines Freundes Alexander Fried nicht annähernd vorstellen können. Und dass der alles Recht der Welt hat, jeden Tag darüber zu sprechen – zu Jugendlichen in der Hoffnung, dieses Menschheitsverbrechen möge sich nie wieder wiederholen. Helmut Bauer schaut betroffen und schweigt.

Trauma einer unverschuldeten Pleite?

Ich stelle mir die Frage, ob der Querdenker aus der nördlichen Oberpfalz sein eigenes Trauma jemals überwunden hat. Die unverschuldete Pleite seiner Steinmetz-Werkstatt. Der Auftrag eines großen Unternehmens, das kurz darauf Insolvenz anmeldete, habe ihn in den Ruin getrieben. Noch heute zahlt er rund 100.000 Euro Schulden in kleinen Raten ab. Eine Privatinsolvenz geht gegen seine Handwerker-Ehre. Er will sich nicht aus der Affäre ziehen, Verantwortung übernehmen. Die habe er auch beim Fischereiverein übernommen, als dieser nach dem Tod des langjährigen Vorsitzenden in die Krise geschlittert sei.

Hat ihn dieses Erlebnis zu einem Michael Kohlhaas der Gegenwart gemacht – jener tragischen Figur Kleists, die sich betrogen fühlt und immer tiefer in einen aussichtslosen Widerstand gerät? Bauer verneint. Schon als 18-Jähriger habe er sich gegen den Beschluss seines Moosbacher Heimatbürgermeisters gewehrt, die Gemeinde an das Steinwald-Wassernetz anzuschließen. Seine politischen Helden sind Franz Josef Strauß, „wenn er auch manchmal ein Gauner war“, und Hans Schröpf, Weidens ehemaliger Oberbürgermeister. Seine politische Heimat war die CSU. Ausnahme: Markus Söder. Seinetwegen sei er aus der Partei ausgetreten.

Steinmetz-Meister mit schweren Jungs

Bei der Werteunion habe er Anschluss gesucht. Hans-Georg Maaßen sei ein Mann, den man heute dringend bräuchte. Aber der habe sich abgewandt. Und die CSU habe diese Gruppierung von innen zerstört. Passend zum Thema fahren in kurzen Abständen zwei Polizeiwagen durchs Untere Tor, wenig später gefolgt von Notarzt und Krankenwagen. Helmut Bauer ist kurz davor, selbst nachzuschauen, was da los ist – schließlich war er lange Feuerwehrmann.

Als wir in Rücksprache mit der Redaktion recherchieren, dass es sich um einen Schwertangriff einer offensichtlich geistig verwirrten Frau handelt, steht zumindest fest: Es waren keine Migranten beim Drogenhandel. Bauer kann auch tolerant sein. Nachdem er seine Werkstatt auch aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, arbeitet er als Steinmetz-Meister mit den schweren Jungs in der psychiatrischen Abteilung der Straubinger JVA. Er gewinnt das Vertrauen mehrfacher Mörder. Und wird Zeuge der Modellauto-Affäre der Ministerin Haderthauer. Wieder so ein Beleg für Betrug in der Politik.

Und dann auch noch ein Strafzettel

Am Ende des Gesprächs kann ich nicht sagen, ob Bauer ein gewiefter Wolf im Schafspelz oder ein gutmütiges Schaf mit Wolfsfell ist, als das er sich selber bezeichnet. Ich weiß nicht, ob er sich in einem zweiten Gespräch von Fakten überzeugen lässt, wenn ich ihm die Methode der Bellingcat-Investigativ-Journalisten beim Faktencheck im Internet nahebringe.

Was ich weiß ist aber: Ich möchte gerne im Gespräch bleiben, weil ich glaube, dass wir uns die sture Spaltung in Gut und Böse in eine noch tiefere Krise der Demokratie führt – spätestens Im Herbst, wenn Corona auf Inflation und Gasengpass trifft. Und weil ich denke, dass unsere Gesellschaft solche Typen, die anders denken, aushalten muss, auch wenn ich hoffe, dass auch er lernfähig ist – und künftig Hass und Gewalt auf seinen Seiten nicht mehr duldet.

Beim Gang zum Parkplatz dann der nächste Beleg einer Verschwörung: Hinter Bauers Scheibenwischer klemmt ein Strafzettel. Bei mir Fehlanzeige. Das widerstrebt meinem Gerechtigkeitsempfinden. „Komm, Helmut, wir teilen uns die Strafe!“

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5 Kommentare

K. Daniel - 28.08.2022

Wem soll man noch glauben?? Ich bin der Meinung das uns die Politik auch nicht die Wahrheit erzählt den vieles passt nicht zusammen sorry !

Horst Lichter - 27.08.2022

Was ein Quatsch…

Robert Christ - 26.08.2022

Ein sehr fairer und interessanter Artikel. So wünsche ich mir Journalismus!
Sehr gut Jürgen!
Viele Grüße,
Robert

Scheidler - 25.08.2022

Gratulation, Herr Herda! Gut gemacht!

Ari Beyer - 25.08.2022

Danke für diesen nicht polarisierenden, klaren und wertzuschätzenden Artikel. Und danke für Ihr Engagement als fairer Journalist.