Krankenhausreform in Gefahr: Tirschenreuth geht eigenen Weg
Tirschenreuth. Fast keine Woche, ohne große Veranstaltung mit Krankenhaus-Bezug. Am Mittwochabend tagte die Arbeitsgruppe Gesundheitsversorgung. Trotz aller Unsicherheit nach dem Ampel-Aus: Landrat Roland Grillmeier will die Gesundheitsregion dennoch fit machen für die Zukunft.
Alle Gesundheitsakteure am langen Hufeisen des großen Sitzungssaals im Landratsamt Tirschenreuth: Zusammen will man trotz oder gerade wegen der prekären finanziellen Situation des Klinikums Wege aus der Krankenhaus-Krise finden. Erfreulich für den Landrat: Erstmals beteiligt sich auch Dr. Wolfgang Fortelny, Mitgründer der „Initiative Kliniken Retten“ am konstruktiven Dialog.
Neben Landrat Roland Grillmeier und den Bürgermeistern Franz Stahl und Johannes Reger auch an den Tischen: KNO-Chef Michael Hoffmann, Klinikdirektor Stephan Schumacher, Betriebsratsvorsitzender Roland Gleißner, Dr. Josef Kick, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) des RDB Oberpfalz-Nord, Dr. Peter Deinlein, Initiator der Hausarztschmiede, Dr. Arne Berndt, Partner der Beratungsgesellschaft WMC Healthcare GmbH sowie Vertreter aus dem Pflegebereich.
Die Arbeitsgruppe ist die operative Fortsetzung des Versorgungsgutachtens, das die Kliniken Nordoberpfalz bei der Beratungsgesellschaft WMC Healthcare beauftragten. „Wir sollen ein Strukturgutachten erarbeiten, das die Gesundheitsversorgung in den nächsten 5 bis 15 Jahren sicherstellt“, erklärt Dr. Arne Berndt, „eine ganzheitliche, analytische Perspektive einnimmt, und faktenbasiert als Inputgeber dieser Arbeitsgruppen fungiert.“
Überwindung der Sektorengrenzen
Ziel auch der Staatsregierung, mit deren Mitteln das Gutachten finanziert wird, sei die Überwindung der Sektorengrenzen: „Wir wollen alle Bereiche, niedergelassene Ärzte, die ambulante und die stationäre Versorgung, die Prävention, Pflege und Therapie sowie Gesundheitsdienstleister wie Apotheken und andere Heilberufe mit einbeziehen.“ Die Beratungsgesellschaft soll das große Bild einer Gesundheitsregion und deren Zukunftsperspektive auf knallharter Datenbasis erstellen.
„Wir wollen den Bedarf und dessen Entwicklung analysieren.“ Beispiel: „Wie viele Herzinfarkt-Patienten erwarten wir?“, wirft Berndt eine Frage auf, „das kann man modulieren.“ Wie behandeln wir das künftig – sind wir in der Prävention dann schon weiter? „Auch das lässt sich simulieren.“ Parallel dazu will WMC Healthcare prognostizieren, wie sich auf der Angebotsseite die Zahl der Mitarbeiter in den Heil- und Pflegeberufen entwickelt: „Wie viele gehen in Rente, bei wie vielen glauben wir, eine Chance zu haben, nachzusteuern?“
Scheitern der Reform keine Lösung
Die Eigeninitiative des Landkreises ist auch dringend notwendig, denn kurzfristige Lösungen sind weder von der Landes- und schon gar nicht von der Bundesregierung zu erwarten. Landrat Grillmeier zitiert mit Sorge aus dem SZ-Artikel mit der Überschrift „Klinikreform in akuter Gefahr“: „Wir ringen seit Monaten und stehen jetzt wieder an einem Punkt, an dem keiner weiß, was kommt, und warten wieder ein halbes Jahr.“ Selbst aus Sicht von Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), wäre das Scheitern der Reform eine schlechte Lösung.
„Er warnt vor weiteren Verzögerungen, die Kliniken bräuchten endlich Planungssicherheit.“ Mit anderen Worten: „Wir hängen wieder in der Luft.“ In diesem Schwebezustand sei es „unsere Aufgabe, zu zeigen, dass wir die Versorgung aufrechterhalten können“, sagt Grillmeier. „Wir haben vergangene Woche mit den Chefs der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) und der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG) über bessere Abläufe gesprochen und werden vom Freistaat weiter eine Landesplanung einfordern“ (wir berichteten).
Kommunen zahlen für Bundes- und Landesgesetze
Dennoch betrachtet der Landrat den politischen Stillstand mit Sorge: „Wenn nächstes Jahr keine Reform kommt, werden viele weitere Häuser in Schieflage geraten.“ Bund und Land machten Gesetze und lüden die Kosten bei den Kommunen ab. Die Folge: Der Bezirk plane mit einem Rekordhaushalt von 569 Millionen Euro – im Vergleich zu 537 Millionen Euro im Vorjahr. Der mit Abstand größte Posten: der Sozialetat mit 527 Millionen Euro. Und die Rechnung bezahlen auch wieder die Kommunen über die Umlage, die sich um 0,5 auf 19,3 Prozent erhöht.
„Auch die Neuwahl wird uns keine Rettung bringen“, warnt der CSU-Politiker vor Schadenfreude. „Vielleicht bekommen die Länder etwas mehr Mitspracherecht, aber wir müssen dennoch versuchen, mit unseren Ressourcen zurechtzukommen – auch in Kooperation mit Marktredwitz.“ Und mit der Hausarztschmiede sei man dabei, sich um den eigenen medizinischen Nachwuchs zu kümmern: „Wir haben gerade wieder zwei neue Stipendien beschlossen“, freut sich Grillmeier, „wir hätten da schon vor Jahren beginnen sollen.“
Tirschenreuth hat Modellcharakter
Etwas mehr Optimismus verbreitet Dr. Arne Berndt von der Beratungsgesellschaft: Vieles spreche dafür, dass große Teile von Karl Lauterbachs Reformplänen von dem in CDU-Kreisen als Lauterbachs Nachfolgekandidaten gehandelten Karl-Josef Laumann, NRW-Landesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, übernommen würden – mit Verbesserungen beim Spielraum der Länder, was die hohen und damit teuren Qualitätsstandards betreffe.
„Und wir haben zwei große Vorteile“, konstatiert Berndt. „Sie sind hier so ein bisschen der Vorreiter, weil sich andere Landkreise und Kommunen in Bayern bisher zurückgehalten haben und abwarten.“ Da sich die Landespolitik gute Ergebnisse wünsche, könne man mit großer Unterstützung vonseiten des Freistaats rechnen. „Und gemeinsam haben wir gute Connections“, ergänzt er, „etwa zum BKG-Chef, der wiederum einen guten Draht zur bayerischen Gesundheitsministerin hat.“
Wie geht’s mit Lauterbachs Reform weiter?
Obwohl der Bundestag sie Mitte Oktober noch mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP verabschiedet hat, steht Karl Lauterbachs Krankenhausreform nach dem Ende der Ampel auf der Kippe, wie die Süddeutsche Zeitung am Dienstag vermeldete. Bundesländer, die schon bisher Änderungen forderten, sehen jetzt ihre Chance, sie durchzusetzen – oder die Reform zu Fall zu bringen.
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat bereits beim 47. Deutschen Krankenhaustag in Düsseldorf darauf hingewiesen, dass die Regierung und mit ihr der Bundesgesundheitsminister keine Mehrheit mehr habe – und deshalb zu Zugeständnissen an die Länder gezwungen sei.
Ein Dorn im Auge sind Laumann besonders Lauterbachs strikte Qualitätsvorgaben, welche die Krankenhäuser künftig erfüllen müssten, um Eingriffe bei den Krankenkassen abrechnen zu können. Dem NRW-Minister zufolge, hätte eine flächendeckende Umsetzung zur Folge, dass ganze Landstriche ohne Versorgung auf der Strecke blieben. Ebenfalls umstritten: die Finanzierung der Kliniken. Inflation und Lohnsteigerungen trieben die Kosten in die Höhe.
Rund 80 Prozent der rund deutschen 1700 Krankenhäuser würden heuer rote Zahlen schreiben. Die Budgeterhöhungen der Krankenkassen reichten nicht, um die Kosten auszugleichen. Ohne Überbrückungsfinanzierung müssten viele Häuser schließen, warnt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Deshalb fordern Kritiker aus vier Bundesländern in einem Positionspapier eine Änderung strittiger Punkte im Vermittlungsausschuss. Eine Mehrheit im Bundesrat ist wahrscheinlich. Lauterbach wehrt sich vehement gegen eine Verwässerung der Reform.
„Wenn wir da Zugeständnisse machen müssen, dann werden wir, auch wenn es bitter wäre, die Reform nicht machen“, drohte er via Livestream beim Krankenhaustag. Ansonsten würden weitere Milliarden in das System gepumpt, ohne dass sich die Lage der Häuser strukturell ändere. Diese „deutsche Lösung“ habe die heutige Misere verursacht – und er werde alles tun, um das zu verhindern. Dann müssten die Kliniken auf eine Einigung innerhalb der wohl nächsten GroKo warten.
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