Kulturbahnhof: Der Wandel vom Schandfleck zum neuen Zentrum

Wiesau. Nein, ein Kulturzentrum des Stiftlands soll die Marktgemeinde dadurch nicht werden. Aber ein lebendiger Fixpunkt für Wiesau ist durchaus realistisch, wenn in circa zwei Jahren aus dem altehrwürdigen Bahnhofsgebäude ein Kulturbahnhof geworden ist. Mit Kosten von mehr als zwölf Millionen Euro ist es ein sehr ambitioniertes Projekt der Gemeinde im Herzen des Landkreises Tirschenreuth.

Ein Kraftakt, der sich aber lohnen wird, ist der Umbau des Bahnhofsgebäudes zum
Ein Kraftakt, der sich aber lohnen wird, ist der Umbau des Bahnhofsgebäudes zum “Kulturbahnhof”, ist Bürgermeister Toni Dutz überzeugt. Foto: Udo Fürst
Derzeit noch eine große Baustelle, soll der
Derzeit noch eine große Baustelle, soll der “Kulturbahnhof” bis Ende 2023, Anfang 2024 fertig sein. Foto: Udo Fürst
So soll der Bahnhof einmal aussehen. Bild: SHL Architekten und Stadtplaner
So soll der Bahnhof einmal aussehen. Bild: SHL Architekten und Stadtplaner
Trotz gewaltiger Umbauten soll die architektonisch ansprechende Bauform des Bahnhofsgebäudes im Prinzip erhalten werden. Foto: Udo Fürst
Trotz gewaltiger Umbauten soll die architektonisch ansprechende Bauform des Bahnhofsgebäudes im Prinzip erhalten werden. Foto: Udo Fürst

Vor einigen Jahren stand die Marktgemeinde vor der Wahl, das heruntergekommene Bahnhofsgebäude zu kaufen, abzureißen oder zu renovieren – oder von alldem abzusehen und damit zu riskieren, dass es in “falsche Hände” gerät. Das Gremium entschied sich schließlich schnell und einmütig für den Kauf des circa 140 Jahre alten Bauwerks mit “italienischem Anstrich” und reichlich Vergangenheit.

Bahn hat 2.250 Bahnhöfe verkauft

Die Deutsche Bahn AG hat von 1999 bis 2020 bundesweit rund 2.250 Bahnhofsgebäude verkauft. Viele davon sind seitdem vernagelt und verfallen – und zu Geisterbahnhöfen geworden. Vor allem auf dem Land. Für die Immobilien mit einer Fläche von 3,5 Millionen Quadratmetern, zum Teil in Bestlagen, hat das Staatsunternehmen circa 150 Millionen Euro bekommen. Käufer waren Kommunen, Privatleute oder Investoren.

Aus vielen der Pläne für eine Nachnutzung, die die neuen Eigentümer verfolgten, ist jedoch nichts geworden. Anders in Wiesau: Dort kaufte die Gemeinde das Gebäude von einem Investor und hatte dabei laut Bürgermeister Toni Dutz noch Glück, dass dieser “relativ human” gewesen sei und zu einem “vernünftigen Preis” verkauft habe.

Kosten mindestens 12,5 Millionen Euro

“Trotzdem ist es unverständlich, dass sich die Kommunen um die ausrangierten Bahnhöfe kümmern müssen”, kritisiert Dutz die Praxis der Bahn, ihre Liegenschaften zu verscherbeln. Man habe sich dennoch zum Kauf entschlossen, weil das Bahnhofsgebäude auch eine Art Wahrzeichen von Wiesau sei.

“Heute bin ich sehr froh, dass wir uns für den Wiederaufbau, wenn auch in anderer Form, entschieden haben.” Und das Vorhaben ist ambitioniert: Mindestens 12,5 Millionen Euro wird der Umbau zum Kulturbahnhof kosten. Davon sind allerdings 8,5 Millionen Euro zuwendungsfähig und der Bürgermeister hofft auf weitere Zuschüsse von Bezirk und Landkreis. “Schließlich hat der Bahnhof als Knotenpunkt eine überregionale Bedeutung.”

Gebäude mit italienischem Flair

Nicht nur überregional bedeutsam, sondern sogar international angehaucht könnte die Architektur des Gebäudes sein, haben doch Mitte des 19. Jahrhunderts einige italienische Gastarbeiter am Ausbau der Bahnstrecke und der Bahnhöfe mitgewirkt. “Bewiesen ist das aber nicht”, sagt Toni Dutz. Der Architekt des Projekts, Uwe Reil, sieht schon ein “gewisses italienisches Flair” des Bahnhofs und möchte dies mit einer einladenden und transparenten Architektur des Kulturbahnhofs hervorheben. Im Gebäude erschließt ein Aufzug die drei Stockwerke.

Geplant sind ein attraktiver Wartebereich mit Café und Kiosk und eine “gut bürgerliche” Bahnhofsgastronomie mit angegliedertem Biergarten. In den oberen Stockwerken werden Büros, die Gemeindebibliothek, die Geschäftsstelle des VdK-Kreisverbands und ein Jugendtreff untergebracht.

Ein Highlight des Gebäudes dürfte der Lesesaal im Obergeschoss werden. Der großzügige Raum mit teilweise verglastem Dach wird einen “wunderbaren Ausblick” bieten, ist der Bürgermeister überzeugt. In diesem Ambiente könne er sich auch sehr gut Lesungen, Konzerte oder andere Veranstaltungen auch von Vereinen vorstellen.

Attraktiver Museumsbereich

Doch damit nicht genug: Im Kulturbahnhof werden regionale Firmen sich und ihre Produkte darstellen. Die Palette reicht dabei von den Naturparken über das Sibyllenbad oder der Klosterlandschaft Waldsassen bis zum Erlebnis Fisch. Ein Museumsbereich widmet sich dem Thema Flucht und Vertreibung und erinnert unter anderem an das Durchgangslager, das nach dem Krieg 1945 in Wiesau entstand.

Außerdem soll im Museum die Geschichte der Eisenbahn in Wiesau aufbereitet werden. “Da gibt es besonders viel zu erzählen”, weiß Dutz und erinnert daran, dass früher bis zu 200 Menschen am Bahnhof beschäftigt gewesen seien. Unter anderem könnte der Lokschuppen mit seiner Drehscheibe wiederbelebt werden. Im Freibereich kommen auch die Kleinen auf ihre Kosten. Dort ist ein Spielbereich für Kinder unter anderem mit einem fahrenden Zug geplant.

“Bahnhof wird wieder leben”

Nicht nur das Bahnhofsgebäude mit seinem unmittelbaren Umfeld wird neu gestaltet. Auch der komplette Bereich vom unteren Berufsschulparkplatz bis zum ehemaligen Millitzer- und Münch-Schuppen dürfte nach der Fertigstellung kaum wiederzuerkennen sein. Dort sollen unter anderem Park-and-Ride-Flächen und ein moderner Busbahnhof mit viel Grün dem Öffentlichen Personennahverkehr einen Schub verleihen.

“Es werden wahrscheinlich keine 200 Leute mehr am Bahnhof arbeiten wie früher”, sagt Toni Dutz, aber eines sei sicher: “Der Bahnhof wird wieder leben. Und es wird so was wie ein neues Zentrum von Wiesau.”

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