Leben und Überleben unter Nazis: Das Grauen ist näher als man denkt

Vohenstrauß. Alexander Fried überlebte drei Konzentrationslager und einen Todesmarsch. Seinen Lebensabend verbrachte er in Tirschenreuth. Dietrich Bonhoeffer bezahlte seine kritische Haltung gegenüber dem NS-Regime mit dem Leben. Dorothea Woiczechowski-Fried und Siegfried Kratzer erinnern an die beiden Schicksale.

Doro und ihr geliebter Schani: Die ehemalige Kinderärztin Dorothea Woiczechowski-Fried war auch Alexander Frieds größtes Glück. Bild: Jürgen Herda

Die lange Nacht der Demokratie will daran erinnern, wie schnell aus Vorurteilen Hass, aus Intoleranz Verfolgung, aus Unzufriedenheit mit politischen Prozessen die Abschaffung der Demokratie, der Freiheits-, Gleichheits- und Menschenrechte werden kann.

Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Vohenstrauß und die Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Neustadt/WN laden deshalb am Donnerstag, 19. September, 19 Uhr, in das Café-Restaurant Friedrich, Friedrichstraße 12, 92648 Vohenstrauß.

  • Dorothea Woiczechowski-Fried, Witwe des Holocaust-Überlebenden Alexander Fried, die selbst den NS-Terror als „halb-arisches Kind“ einer jüdischen Mutter überlebte, liest aus den Erinnerungen ihres verstorbenen Mannes: „Vom Leben und Überleben“.
  • Siegfried Kratzer, Autor des Buches „Gegen Krieg, Massenmord und Tyrannei“, liest Passagen aus seinem Buch, in denen er sich vor allem mit der Haltung Dietrich Bonhoeffers zu den Verfolgten des Nazi-Regimes, vor allem den Juden, auseinandersetzt.
  • In einem vorgeschalteten Dialog führen die beiden Referenten in den Themenkomplex ein.

Frieds unglaubliche Odyssee

Alexander Fried hat den fürchterlichen Nazi-Terror in seiner slowakischen Heimatstadt Žilina überlebt. Drei Konzentrationslager, den Todesmarsch an die Ostsee. Die Flucht mit Václav Havels Onkel aus der stalinistischen Tschechoslowakei. „Ich war als Junge ein begeisterter Ausdauersportler“, erzählte der Fußballfan. „Das hat mich später vielleicht gerettet.“ 

Das und unfassbares Glück, das seiner Familie verwehrt blieb. Vater und Mutter wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Nur er und sein Bruder Iču überlebten den Holocaust. „Ich musste ihn oft mitziehen“, sagte er über den Jüngeren, der an diesem Schicksal fast zerbrach. Bei der ehemaligen Kinderärztin Dorothea Woiczechowski-Fried hat er eine neue Heimat in Tirschenreuth gefunden. „Sie ist mein ganzes Glück“, bekannte er zu Lebzeiten.

Siegfried Kratzer (links) liest aus seinem Buch und schildert Dietrich Bonhoeffers Haltung zu den im NS-Regime verfolgten Juden. Collage: jrh

Bonhoeffer fordert Widerstand der Kirche

Im Morgengrauen des 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer, Pastor und ehemaliger Privatdozent an der Berliner Universität, zusammen mit Admiral Wilhelm Canaris, Hauptmann Ludwig Gehre, General Hans Oster, Generalstabsrichter Karl Sack und Oberleutnant Theodor Strünck im KZ Flossenbürg auf persönliche Anordnung Hitlers ermordet. Zur gleichen Zeit wurde der Schwager Bonhoeffers, Hans von Dohnanyi, im KZ Sachsenhausen getötet. Der Diktator sah in ihnen die Hauptverantwortlichen für den Putsch des 20. Juli 1944.

In seinem Vortrag „Die Kirche vor der Judenfrage“ vor Berliner Pfarrern prangerte Bonhoeffer bereits im April 1933 staatliche Ungerechtigkeiten gegen die Juden an – und nimmt damit eine Sonderrolle in der von Antisemitismus keineswegs gefeiten evangelischen Kirche ein. Er erwarte, dass seine Kirche ihr Wächteramt dem NS-Staat gegenüber wahrnehme, sich allen Opfern staatlicher Willkür zur Hilfeleistung verpflichte, und dem NS-Regime durch Widerstandshandlungen „in die Speichen falle“ anstatt nur „die Opfer unter dem Rad zu verbinden“.

Das Unfassbare begreifbar machen

Das Unfassbare durch das Gespräch mit Zeitzeugen begreifbar zu machen, sei ein Schwerpunkt von „Demokratie leben“, sagt Arno Speiser von der Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Neustadt/WN. „Ich habe immer wieder erlebt, welche Wirkung Zeitzeugen vor Schulklassen hatten“, sagt der Mitorganisator der Veranstaltung. „Kein Jugendlicher ist da ungerührt rausgegangen, alle sind tief bewegt.“

Das Ehepaar Fried widmete sein Leben dem Kampf gegen Vorurteile. In über 300 Vorträgen und Diskussionen an Schulen vermittelten beide den Jugendlichen, was die Gräuel des Nationalsozialismus für die Betroffenen bedeuteten. „Was wollen diese Nationalisten?“, konnte Alexander Fried am Ende seines Lebens den Zulauf für Rechtspopulisten nicht verstehen. „Damals haben die Nazis Deutschland völlig zerstört – hat man nicht genügend gelitten?“

Anmeldungen erbeten unter info@das-friedrich.de oder christina.ponader@elkb.de Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Vohenstrauß und die Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Neustadt/WN laden am Donnerstag, 19. September, 19 Uhr, in das Café-Restaurant Friedrich, Friedrichstraße 12, 92648 Vohenstrauß.

Kommentar: Was geht uns das heute an?

Der Terror beginnt immer mit Vorurteilen und Hetze gegen Menschen, die als anders wahrgenommen werden. Andersgläubige, Andersdenkende, Andersaussehende. Er beginnt mit Fake-News wie dem haarsträubenden Unsinn, dass Juden das Blut von Christenkindern trinken, Brunnen vergiften oder die Weltherrschaft anstreben.

Die Verbreitung von Fakenews hat meist banale Gründe: Fürsten und reiche Bürger, die sich von Juden Geld geliehen hatten, setzten Gerüchte in die Welt, um ihre Gläubiger loszuwerden. Der gewünschte Nebeneffekt: Der Hass auf die Juden lenkte von den realen Ursachen der Armut ab. Am Ende dieser langen Kette von Vorurteilen und Hetzkampagnen standen Vertreibungen, Pogrome und Massenmord.

Als anders gilt in der Betrachtung der Mehrheitsgesellschaft schnell jemand: Erst sind es die Fremden, die Zugezogenen, die Kriegsflüchtlinge. Dann die Sonderbaren, die Behinderten, die Unangepassten. Am Ende landen sie alle in Lagern – die Juden, die Zigeuner, die Homosexuellen, die Behinderten, die Widerspenstigen.

Im Mittelalter und im Nationalsozialismus bereicherten sich Mächtige und Bürger an den Besitztümern der Verfolgten. Heute möchte man Menschen loswerden, weil man sie als Kostenfaktor betrachtet. „Remigration“ als Endlösung zur Bewahrung des Wohlstands? Um diese krude Denkweise zu rechtfertigen, schürt man Emotionen mit Messermorden, als gäbe es nur arabische Messerstecher und als sei allen, außer den Deutschen, die Mordlust in die Wiege gelegt.

Das Grundgesetz ist die Reaktion auf den von Deutschland entfesselten Weltkrieg und Massenmord an Millionen von Menschen. Der Versuch, staatlicher Willkür, totalitären Bestrebungen, der Benachteiligung von Minderheiten, Andersgläubigen, Andersdenkenden und Andersaussehenden einen Riegel vorzuschieben. Dieses Bollwerk der Demokratie ist so lange sicher, solange eine Mehrheit begreift, dass damit auch sie geschützt wird.

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