Maher Khedrs Migrations-Ruckrede: Ein guter Job ist die beste Gewaltprävention
Neuhaus. Maher Khedr kennt die Sorgen und Nöte migrantischer Jugendlicher und Erwachsener in Weiden. Der Absolvent einer der ersten deutschen Imam-Ausbildungen hilft bei Behördengängen und Erziehungsfragen. Seine Auslegung des Islams ist voll und ganz Demokratie-kompatibel.

Maher Khedr ist schon optisch weit entfernt vom Zerrbild des islamistischen Hasspredigers. Der groß gewachsene, glatt rasierte Mann trägt zivil gutsitzende Anzüge statt Kaftan. Sein freundlicher Blick und sein Lächeln strahlen Güte aus.
Erst recht seine inneren Werte: Der Imam ist ein Prediger der Toleranz, der Aufgeschlossenheit gegenüber der modernen westlichen Gesellschaft, der Brücken zwischen den Kulturen und Religionen baut. Und sein Ratschlag wird respektiert: Sowohl in der migrantischen Community in der Oberpfalz als auch weltweit.
Vermittler demokratischer Werte
Der Ägypter hat sich nach Islam-Studien in seiner Heimat an der Uni Erlangen auf die Vereinbarkeit seines Glaubens mit der demokratischen Lebenswirklichkeit spezialisiert. Er beruhigt besorgte Moslems, dass Lebensmittel in deutschen Supermärkten „ḥalāl“, also erlaubt sind. Khedr versucht konservative Eltern davon zu überzeugen, dass ihre Töchter das Recht haben, sich selbst einen Partner auszusuchen. Und ihn erreichen Anrufe aus Saudi-Arabien, ob Finanzierung eines Hauskaufs dem islamischen Kreditverbot tatsächlich nicht widerspreche.
Der überzeugte Demokrat absolvierte als einer der ersten Prediger die deutsche Imam-Ausbildung, die eine vom Erdoğan-Regime gesteuerte Indoktrinierung ablösen soll. Und man glaubt es nicht: Kein Politiker und keine Behörde hat sich bislang Gedanken gemacht, wie man diesen Weidener Seelsorger sinnvoll einsetzen könnte. Maher Khedr schildert die Integrationsprobleme von Jugendlichen mit moslemischem Hintergrund und erläutert, wie wir ihr Potenzial produktiv nutzen können.
Leben wir heute gefährlicher?
„Meine Fragestellung heute ist, ob migrantische Jugendliche stärker zur Gewalt neigen“, überschreibt Maher Khedr seine Themenstellung. Mit Blick auf erschreckende Medienberichte eine berechtigte Sorge. Aber leben wir heute wirklich gefährlicher als vor 2015? Ein Beispiel: 1993 gab es in Deutschland laut Polizeilicher Kriminalstatistik 5140 versuchte oder vollendete Tötungsdelikte. 2023 2858. Warum fühlen wir uns also heute gefährdeter? Die Wahrnehmung prägt die Wirklichkeit, und die Medien prägen die Wahrnehmung.
Und auch bei der Kriminalstatistik müsse man genau hinschauen, um welche Vergehen es sich handle, wenn gesagt werde, Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationshintergrund würden häufiger straffällig. Nicht jedes Vergehen sei ein Verbrechen. Seine Frau etwa sei mal ganz aufgeregt nach Hause gekommen, weil die Polizei sie angehalten habe: „Sie arbeitet in der Schule in Grafenwöhr und ist in einer Straße mit Schulzentrum und Kindergarten 10 statt nur 7 Stundenkilometern gefahren.“ Eine Lappalie, sicher.
Das ist nicht vergleichbar mit jemandem, der 150 statt 100 gefahren ist, Punkte bekommt und den Führerschein abgeben muss. Imam Maher Khedr
Andere Gewalterfahrung
Als Asylbewerber könne man sich Vergehen schuldig machen, die es für Deutsche gar nicht gibt: etwa das Verlassen des zugeteilten Landkreises ohne behördliche Erlaubnis. Was nicht heißen soll, es gebe keine Probleme in migrantischen Milieus, erst recht unter Flüchtlingen: „Viele dieser Jugendlichen haben eine schreckliche Erfahrung hinter sich, haben Krieg erlebt.“ Er selbst könne kaum Blut sehen, ohne dass ihm schlecht würde. „Für sie aber war es Alltag, sie haben vielfachen Tod in Syrien oder Afghanistan erlebt.“ Sie seien auf einer lebensgefährlichen Flucht aus dem Iran durch die Türkei und über die Ägäis in einem überfüllten Schlauchboot nach Europa gelangt.
Ihre Gewalterfahrung sei eine andere als die von Jugendlichen, die in Bayern in behüteten Verhältnissen aufgewachsen sind. Und dann hockten diese traumatisierten jungen Kerle aus aller Herren Länder Monate, manche Jahre lang in Flüchtlingszentren aufeinander, ohne arbeiten zu dürfen, perspektivlos. Damit ihnen in dieser Situation nicht die Sicherungen durchbrennen, könnten Politik und Gesellschaft Abhilfe schaffen.
Es sollte legale Wege für die Migration geben statt Zäune, und hier in Deutschland fehlt oft eine schnelle Integration in ehrenamtliche Tätigkeiten etwa in Sportvereine – jeder sollte so schnell wie möglich eine Arbeitserlaubnis bekommen, um in das Arbeitsleben integriert zu werden. Imam Maher Khedr
Keine Zeit für dumme Gedanken
Der tägliche Arbeitsrhythmus sei ein gutes Mittel gegen Flausen. „Ich stehe schon seit 27 Jahren jeden Tag um 6 Uhr auf, abends habe ich noch zwei Stunden für meine Familie, Abendessen und vielleicht ein bisschen Fernsehschauen.“ Am nächsten Tag das Gleiche. „Da bleibt wirklich keine Zeit, um auf dumme Gedanken zu kommen, weil meine Beschäftigung meinen Lohn beinhaltet, um meine Pflichten zu erfüllen, aber auch meine Rechte garantiert, wie zur Wahl zu gehen.“
Deshalb sei es so wichtig, Jugendliche so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt einzuführen. „Mir ist es egal, ob mein Fliesenleger eine offizielle Qualifikation hat, wenn er seine Arbeit gut macht“, sagt Khedr. „Und mir ist es lieber, wenn mich ein Arzt ohne Aufenthaltsgenehmigung operiert, der sein Handwerk beherrscht, als umgekehrt.“ Es gehe nicht um Meistertitel, sondern um die Qualität der Arbeit. Und den deutschen Qualitätsstandard würden ohnehin die Führungskräfte in den Unternehmen sicherstellen.
Es gibt viele geschickte Leute – Pflegekräfte, ein guter Bekannter hat sogar einen Meisterbrief in seinem Land –, die in Deutschland nicht in ihrem Beruf arbeiten dürfen. Warum lässt man das nicht die Firmen entscheiden, wer geeignet ist und etwas gut kann? Imam Maher Khedr
Sprache kommt beim Sprechen
Die Frage sei für Khedr auch nicht, ob jemand einen B2-Deutsch-Kurs absolviert habe: „Es sollte erst einmal um das technische und fachliche Können gehen, das sprachliche Können kommt durch die berufliche Praxis dann ganz von selbst – und dann erst sollte man die Fragen zum Aufenthaltsrecht klären.“ Das würde viel Frust, die zur Gewalt führt, präventiv verhindern. Jemand, der sich willkommen fühlt, als Teil der Gesellschaft akzeptiert, integriert sich positiv und fühlt sich diesem Land auch verpflichtet.“
Der Imam ist sich sicher, dass das der effektivste Weg wäre, damit schlimme Attacken wie jene in Aschaffenburg wieder aus den Schlagzeilen verschwänden. Denn trotz oder gerade wegen ihrer Kriegserfahrungen in Syrien oder der Missachtung der Menschenrechte im Iran würden die jungen Leute, wenn sie hier geschätzt würden und eine Chance bekämen, schnell zu würdigen wissen, welche Chancen sich ihnen hier böten, ein erfülltes Leben zu führen.
Dafür muss die Politik den Weg ebnen, dass jeder nicht nach seiner Hautfarbe bewertet wird, sondern maßgeblich nach seinem fachlichen Können – und sobald die jungen Leute in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft integriert sind, sich wohl und akzeptiert fühlen, werden wir das Problem nicht mehr haben. Imam Maher Khedr
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