Migrations-Podium: „Die Jungs wollen arbeiten – nicht aufeinander hocken!“
Neuhaus. Im vierten Teil unserer Echo-Wahlinitiative versuchen wir, die vielschichtigen Aspekte der Migrations-Debatte aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten – ohne zu beschönigen, aber auch ohne zu dramatisieren.

Migration ist das beherrschende Wahlkampfthema. Ist es aber auch objektiv das größte Problem, das Deutschland derzeit hat? Das Thema ist so vielschichtig wie die Fluchtgründe der Migranten. Fakt ist: Integration ist oft eher ein Schlagwort als gelebte Praxis.
Unser Ziel: Die Diskussion zurück auf eine sachliche Ebene zu führen, um Ansätze zu einer realistischen Lösung zu finden, die Kommunen und Behörden entlastet, dem Arbeitsmarkt und Arbeitssuchenden gleichermaßen nutzt und anstatt kollektiven Schuldzuweisungen zu einer Einzelfallbetrachtung kommt, die den Menschen gerecht wird.
Bei der Podiumsdiskussion trugen dazu bei:
- Thomas Würdinger, Leiter der Weidener Arbeitsagentur: Jeder glaubt zu wissen, wie gut oder schlecht sich Migranten in unsere Gesellschaft, in unseren Arbeitsmarkt integrieren. Der virtuelle Stammtisch bei Facebook ist prall gefüllt mit Meinungen von Menschen, die vom Hörensagen zu wissen meinen, wie gut sich Flüchtlinge als Verstärkung für die offenen Stellen eignen – oder eben auch nicht. Thomas Würdinger hat tagtäglich mit der Vermittlung von Arbeitskräften an Unternehmen zu tun, die händeringend nach Fach- und Servicekräften suchen. Wer sollte es besser wissen als der Leiter der Weidener Arbeitsagentur?
- Paulus Mehler, Geschäftsführer der Tirschenreuther Tuchfabrik: Der Chef eines fast 400-jährigen Nordoberpfälzer Industriedenkmals in elfter Generation, hat 2015 die ersten Flüchtlinge eingestellt. Trotz mancher Fehlschläge sind sie für ihn inzwischen unentbehrliche Fachkräfte.
- Imam Maher Khedr: Der überzeugte Demokrat absolvierte als einer der ersten Prediger die deutsche Imam-Ausbildung, die eine vom Erdoğan-Regime gesteuerte Indoktrinierung ablösen soll. Maher Khedr schildert die Integrationsprobleme von Jugendlichen mit moslemischem Hintergrund und erläutert, wie wir ihr Potenzial produktiv nutzen können.
- Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried: Die patente Tirschenreuther Kinderärztin mit einer beeindruckenden Ahnengalerie jüdischer Ärzte und Wissenschaftler, hat sich als Mitarbeiterin von „German Doctors“ selbst immer für Menschen eingesetzt, die nicht auf der Sonnenseite der westlichen Wohlstandsgesellschaften geboren sind. Zusammen mit ihrem verstorbenen Mann, dem Holocaust-Überlebenden Alexander Fried, hat sich die Bundesverdienstkreuzträgerin um die Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte an unseren Schulen verdient gemacht.
Wenn Migranten neu nach Deutschland kommen, kostet das den Staat erst einmal Geld – etwa für Sprachkurse oder Integration. Bei Geflüchteten, die aus humanitären Gründen nach Deutschland kommen, gibt der Staat anfangs mehr Geld aus. Später, wenn sie arbeiten, wird die Bilanz positiver. Kann man diese Rechnung auch für die Region aufmachen, Herr Würdinger?
Thomas Würdinger: Wir wissen, was es Geld kostet, ob jetzt ein anerkannter Asylbewerber oder ein Deutscher Bürgergeld bezieht, und wir bauen Karrieren systematisch auf, die da wirklich viel zu lange dauern. Wir haben auf der anderen Seite den Bedarf auf dem Arbeitsmarkt und schaffen es nicht, viele dieser Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, auch wenn wir sehen, dass natürlich die Erwerbsfähigkeit und -tätigkeit im Laufe des Migrationsprozesses immer mehr zunimmt.
Die Frage ist für mich, wie kriegen wir diese Menschen in den Arbeitsmarkt und können bürokratische Hindernisse abbauen. Ich bin überzeugt, da setzen wir sehr viel Geld in den Sand, weil wir das alles besser machen könnten.
Noch eine Nachfrage: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat in einer aktuellen Studie die Erwerbsquote von nach Deutschland geflüchteten Menschen untersucht. Sie zeigt: 54 Prozent der Geflüchteten, die seit sechs Jahren in Deutschland leben, sind erwerbstätig. 65 Prozent von ihnen arbeiten in Vollzeit. Allerdings sind unter denjenigen, die sich seit sechs Jahren in Deutschland aufhalten, immer noch 41 Prozent unterhalb ihres Tätigkeitsniveaus vor dem Zuzug beschäftigt, 12 Prozent oberhalb. Ist die Bilanz also gar nicht so schlecht, Herr Würdinger, und lässt sich das noch verbessern?
Thomas Würdinger: Wir sehen, dass sich die Erwerbsbiografie und die Erwerbstätigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund nach rund 5 bis 7 Jahren dem Umfang der einheimischen Bevölkerung deutlich annähert. Dass dieser Prozess Zeit dauert, das wissen wir auch. Wir haben das gesehen, als die ersten türkischen Gastarbeiter zu uns kamen. Auch da kamen nicht alle sofort in Beschäftigung, sondern auch das hat diese 5, 6, 7 Jahre gedauert, bis sich dann letztendlich die Erwerbsquoten auch der einheimischen Bevölkerung angenähert haben.
Diesen Prozess muss man auch mal aushalten, da muss man abwarten, man muss den Menschen helfen, man muss ihnen die Unterstützung zukommen lassen, damit es am Ende auch gut gelingt und auch keine Unterschiede mehr zur einheimischen oder zur deutschen Bevölkerung mehr bestehen. Die Möglichkeit ist definitiv gegeben.
Ein gängiges Narrativ besagt, man dürfe Armutsmigration und Fachkräfte-Bedarf nicht vermischen. Klar, Asylsuchende sind nicht fertig ausgebildete Ingenieure! Aber erstens ist der Bedarf an einfachen Tätigkeiten – Stichwort Wirtshaussterben, Servicekräfte – und im Pflegebereich genauso hoch. Warum sollten sich Geflüchtete hier nicht besser einsetzen lassen – etwa in der Tuchfabrik Mehler?
Paulus Mehler: Das ist ein langwieriger Prozess. Es gibt auch im Herkunftsland oft sehr große Unterschiede im Bildungsstand. Die Afghanen tun sich sehr schwer, sie haben relativ wenig Grundbildung. Die dann in eine Ausbildung zu bringen, haben wir jetzt zweimal versucht. Wir mussten zweimal abbrechen. Die haben das Grundwissen nicht, das man einfach braucht, und dann noch die sprachliche Barriere. Das ist die eine Seite.
Und dann gibt es aber andere, die sind ganz pfiffig, haben teilweise schon studiert, haben ein hohes Wissen. Die muss man auch integrieren. Das ist nicht einfach, aber da ist ein riesiges Potenzial, die musst du fördern, die musst du auf die Schule schicken, zur Ausbildung, auf die Meisterschule.
Einen fertigen Profi wird man nicht bekommen, das muss man sich gleich mal abschminken. Das ist ein Prozess, den muss man begleiten und den muss man wollen. Und dann kommt da im Endeffekt was Gutes raus. Viele fallen durchs Raster, aber die, die was wollen, die werden dann was. Und die sind auch sehr loyal.
Wir haben so viele gehabt, da ist noch keiner gegangen – ich glaube, einer ist jetzt weggegangen, weil er studieren wollte und diese Möglichkeiten bei uns nicht gehabt hat. Paulus Mehler
Das zweite ist, wir müssen, glaube ich, schon auch auf die ganze Gesellschaft schauen, dass man die ja nicht überfordern. Wir können nicht die ganze Welt retten. Wir brauchen die, wir wollen die, wir wollen auch eine gewisse Vielfalt, aber trotzdem muss man aufpassen, dass man die Gesellschaft mitnimmt.
Und da gibt schon so bürokratische Dinge, wo ich sage, die passen einfach nicht zusammen. Wenn du einen Migranten irgendwo in einer Wohnung unterbringst, dann sind da Voraussetzungen zu schaffen, die bei einem Deutschen nicht gegeben sind. Da darf kein Holzofen drin sein. Da muss ein elektrischer Ofen mit verdeckten Knöpfen da sein. Das sind so Dinge, die spalten dann in der Gesellschaft.
Ganz wichtig für die Integration ist die Sprache, das ist der Schlüssel. Die müssen die Sprache gut können, dann kann man sie gesellschaftlich und auch arbeitstechnisch integrieren. Und weil wir von der Gewalt gesprochen haben: Die Politik ist viel zu schwerfällig.
Die Jungs, die wollen arbeiten und dann sitzen verschiedene Kulturen auf einem Haufen zusammen. Dass da ein Potenzial an Gewalt und an Aggression da ist, ist klar. Das wäre doch bei uns auch da. Paulus Mehler
Die kommen in unser Land, wollen was schaffen. Das ist doch Wahnsinn. Die haben uns zum Beispiel einen voll integrierten, sprachlich guten Mann, der eine eigene Wohnung hat, seine Sozialversicherungen, seine Steuern bezahlt hat, den haben sie uns abgeholt, weil er seinen Pass auf der Flucht weggeschmissen hat.
Den hat man dann wieder ins Asylheim geschickt. Diese Dinge passen nicht zusammen. Und da gibt’s viele Beispiele. Und dann natürlich das Thema Wohnungen: Die brauchen eine Wohnung, und dann sagen die Deutschen, die nehmen uns die Wohnungen weg – das ist natürlich Blödsinn, aber da ist die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die Sicherung der EU-Außengrenzen kann kurzfristig dazu führen, dass weniger Flüchtlinge nach Europa kommen. Aber allen Prognosen zufolge wird es in den nächsten Jahren einen weltweiten Anstieg an Menschen geben, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Migrationsforscher Gerald Knaus fordert weitere Vereinbarungen mit Drittstaaten, ähnlich wie das EU-Türkei-Abkommen, um Migration zu steuern. Lässt sich aus deiner eigenen Erfahrung Migration in bessere Kanäle lenken, Maher?
Maher Khedr: Das Abkommen zwischen Europa und der Türkei in 2016 hat eine kurzfristige Wirkung gezeigt, aber langfristig hat Europa zu viel Geld an die Türkei abgegeben. Und nach diesem Abkommen haben wir 1,5 Millionen Flüchtlinge von 2016 bis heute aufgenommen. Das heißt, langfristig funktioniert das nicht. Man kann einen Staudamm von hinten nicht dicht machen. Der Druck ist so groß, und wenn die Grenze dicht ist, dann findet sich doch irgendeine Lücke.
Wir sollten Migranten eine legale Möglichkeit geben. Europäische Länder wie Deutschland haben in jedem Land auf dieser Welt eine Botschaft. Wir könnten gezielt legal Migranten nach Europa holen. Wir können in diese Länder, statt einfach Geld zu schicken, Entwicklungshelfer senden, und dort in Syrien, Ägypten oder Marokko Ausbildungsplätze schaffen. Deutschland ist meine Heimat, aber ich bin in Ägypten geboren. Da gibt es ein großes Siemens-Werk, das die Stromversorgung gewährleistet, und die Telekom ist dort mit ihrer Kommunikationstechnologie.
Viele Ägypter werden dort ausgebildet. Und wenn sie gut ausgebildet wurden, sollten sie auch die Chance haben, hier nach Europa oder nach Deutschland zu kommen. Wir dürfen nicht warten, bis in diesen Ländern Katastrophen passieren und dann versuchen, Hilfe zu organisieren. Wir müssen, wie Herr Mehler gesagt hat, größer denken, Europa als Einheit denken.
Rings um Deutschland sind lauter Grenzen, und keiner kann hier gemäß dieses Dublin-Verfahrens legal Asyl beantragen, es sei denn er springt aus einem Flugzeug. Maher Khedr
Wir haben einen Fachkräftemangel und brauchen jedes Jahr eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern – Automechaniker, Ärzte oder Maschinentechniker. Wie René gesagt hat, bis wir hier einen Fachmann ausbilden, kostet das ungefähr 200.000 Euro vom Kindergeld bis zum Ausbildungsplatz. Und wir haben Leute hier, die das könnten und es würde nichts kosten.
Es ist schmerzlich, wenn ich sehe, dass ich auf eine Bestellung einer Firma 3 bis 6 Monate warten muss, weil die mit der Produktion nicht nachkommen. Deutschland ist in vielen Bereichen Marktführer, hat überall fortschrittliche Technologie, aber es muss auch normale Standardprodukte geben, und da glaube ich, könnten wir diese Migranten richtig einsetzen.
Die einen bauen Mauern, die anderen Zäune, die EU setzt auf Kooperationen mit nordafrikanischen Diktaturen: Kriege und Krisen führen seit Menschengedenken zu Flucht und Vertreibung. Gerade das jüdische Volk blickt auf eine jahrhundertelange leidvolle Geschichte zurück. Lässt sich aus dieser Perspektive Migration nach Europa überhaupt begrenzen, Doro?
Dorothea Woiczechowski-Fried: Also, einmal zu meinen Vorfahren. Sie wurden immer wieder vertrieben, und sie kamen immer wieder zurück, weil ihnen die Herrschenden, von denen sie abhängig waren, doch eine gewisse Sicherheit gaben. Die Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Diktaturen finde ich einfach menschenverachtend. Ich schäme mich für so etwas. Wie kann man einen Handel machen mit solchen Diktaturen, wo man weiß, die sind nicht ehrlich, die schicken die Menschen in die Wüste.
In Libyen werden sie vergewaltigt, geschlagen, ermordet – das ist doch kein guter Deal, das ist doch der EU nicht würdig. Dorothea Woiczechowski-Fried
Das kann ich wirklich nicht verstehen, und ich bin sicher, es wird keine Begrenzung geben. Eine Festung Europa wird es nicht geben. Ich meine, die Bevölkerung bei uns nimmt ja auch ab. Es ist durchaus sinnvoll, dass Menschen zuziehen, und wir werden uns immer mehr gewöhnen müssen, dass wir eine multikulturelle Gesellschaft sind.
Die große Zahl von Flüchtlingen aus Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung wie Syrien oder Afghanistan hat auch vor dem Hintergrund der Proteste gegen Israel im Nahost-Konflikt zu einer Debatte über islamistischen Antisemitismus geführt. Fakt ist, dass Anti-Israelismus in vielen dieser Ländern Staatsdoktrin ist. Als Asylhelferin hast du dich bei den muslimischen Frauen nicht sehr willkommen gefühlt. Wie schaffen wir es, kulturell anerzogene Vorurteile abzubauen und fühlst du dich als Jüdin in Tirschenreuth davon bedroht, Doro?
Dorothea Woiczechowski-Fried: Man muss mit diesenLeuten umgehen. Es ist ein wunderbares Beispiel, was Herr Mehler gebracht hat, wie er mit seinen Beschäftigten umgeht, die aus dem Ausland kommen. Ich finde, es ist ein unglaubliches Vorbild, vor allem auch, dass er sie in die Gesellschaft miteinbindet, dass er dafür sorgt, dass sie in Vereinen sind, beim Sport. Das ist großartig.
Und dass er aber andererseits auch darauf hinweist, sie müssen sich an gewisse Bräuche bei uns halten. Ich habe mich schon mal hier bedroht gefühlt eine Zeit lang, als ich erfahren habe, dass bei es uns in Tirschenreuth einen islamistischen Syrer gibt. Aber dann habe ich gedacht, man muss auch diese Angst überwinden.
Nicht jeder Migrant steht mit einem Messer vor einem. Diese Vorstellung wird uns ja oft etwas aufoktroyiert. Denn die meisten Migranten sind ja ganz normale Menschen, so wie wir auch. Diese Vorstellung wird von der AfD propagiert, dass wir Juden nur von islamistischen Personen bedroht werden. Dem ist aber nicht so.
Wenn die Polizei bei uns vor den Synagogen steht oder bei Veranstaltungen, dann ist es natürlich auch Schutz vor Islamisten, aber auch auf Schutz vor deutschen Rechtsradikalen, die gibt es nämlich auch, das wird immer ein bisschen vergessen.
Freunde von uns, die als Kontingent-Juden nach Deutschland kamen und zuerst in einem Auffanglager waren, wurden jeden Abend von Seiten der Bevölkerung bedroht. Das war in einem kleineren Ort, die kamen jeden Abend und riefen laut „Juden raus, Juden raus!“ – und das waren Deutsche. Dorothea Woiczechowski-Fried

Die Zahl der „Messerangriffe“ ist von 2022 auf 2023 um 9,7 Prozent in der Kategorie „gefährliche und schwere Körperverletzungen“ gestiegen – allerdings auch die Zahl der Körperverletzungen von deutschen Tätern um 6,8 Prozent. Jeder dieser Angriffe, wie die schreckliche Tat eines psychisch gestörten Afghanen in Aschaffenburg an einem marokkanischen Mädchen und einem Helfer, verstärkt den Eindruck, dass Migration das Land unsicherer macht. Wie ist deine Einschätzung aus deiner seelsorgerischen Arbeit in Weiden – stellst du insbesondere bei jungen Migranten eine höhere Gewaltbereitschaft fest und wenn ja, warum ist das so und wie lässt sich dem begegnen, Maher?
Maher Khedr: Bevor ich in dieses Thema einsteige, kurz etwas über die Beziehung zwischen Muslimen und Juden. Viele Missverständnisse basieren auf Unwissen, und manche nutzen leider diese Unwissenheit für Hetze und Gewalt. Muslime und Juden lebten Jahrhunderte sehr friedlich miteinander. Beide haben dieselbe Wurzel, dazu kam noch das Christentum. Uns ist wohl bekannt, dass letztlich alle drei Religionen ihre gemeinsame Wurzel in Vater Abraham haben.
Der hatte zwei Söhne, einer heißt Ismail und der andere heißt Isaak. Von Ismail kommt der Prophet Mohammed und von Isaak kam Moses. Wenn wir an diese Wurzel, an Vater Abraham, zurückdenken, dann ist das eine Familie, die auch im Koran steht. Der liebe Gott spricht zu uns als „ihr Kinder Adams“. Es gibt nur den spezifischen Aufruf für die Muslime zum Gebet und zum Fasten. Aber allgemein gilt der gesamte Ruf für die Menschen als Kinder Adams.
Das heißt, der liebe Gott betrachtet uns alle, die hier sitzen, Juden, Christen oder Muslime, alle als aus einer Familie. Gut ausgebildete Imame verbreiten diese friedliche Botschaft. Maher Khedr
Und nun zur Gewaltbereitschaft junger Menschen in Weiden: Ich schätze die Lage hier in Weiden sehr ruhig ein. Es gab schon eine gewisse Gewaltbereitschaft, aber da haben wir in unserer Gemeinde viele Probleme gelöst – auch mit Hilfe des Arbeitsamts, der Arbeitsgeber und Sozialarbeiter. Wir kümmern uns um die soziale Vernetzung in ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Es gibt aber, wie gesagt, auch junge Leute, die schreckliche Erfahrungen hinter sich haben. Wir müssen auch ehrlich sagen, dass diese Gewaltbereitschaft bei Migranten aus einem Krisenland ganz anders ist als bei jungen Menschen, die in Deutschland oder in Europa aufgewachsen sind. Aber wie können wir mit dieser Tatsache umzugehen, ohne dass wir gleich mit Abschiebung oder Freiheitsstrafe reagieren?
Ich glaube, mit Gewalt werden keine Probleme gelöst, auch nicht mit staatlicher Gewalt. Es ist richtig und gerecht, dass es Konsequenzen gibt. Aber es gibt eine mildere Lösung für das Problem, wie die Einführung in den Arbeitsmarkt, in ehrenamtliche Tätigkeiten, in den sozialen Bereich. Und dann ist die Früherkennung von Störungen wichtig. Manche sitzen lange Zeit in der Asylunterkunft und warten auf ihre Papiere. Da sollte es den politischen Willen geben, das zu beschleunigen.
Wenn die Jugendlichen eine Beschäftigung haben, dann haben sie keine Zeit für Gewalt, weil sie dann entweder in der Schule oder der Berufsschule und im Arbeitsmarkt integriert sind. Maher Khedr

Neben der Erwerbstätigkeit steigt auch das Bildungsniveau und immer mehr Geflüchtete üben eine qualifizierte Berufstätigkeit aus: 33 Prozent der erwachsenen Geflüchteten haben sechs Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland Schulen und Hochschulen besucht oder haben Ausbildungen und Weiterbildungsmaßnahmen absolviert. 70 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten üben eine qualifizierte Tätigkeit aus. Inwieweit ist deine Biographie, Maher, als hochqualifizierter Wissenschaftler ein Beispiel dafür, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund noch viel besser in die Gesellschaft einbringen könnten?
Maher Khedr: Ein Beispiel, das ich persönlich erlebt habe in einer Asylbewerberunterkunft in einem Dorf in der Oberpfalz, wo sieben Häuser stehen. Nach dem Einzug einer syrischen Familie hat der Hausmeister geschrieben: „Euer Wasserverbrauch und Energieverbrauch ist fünffach so hoch wie der einer deutschen Familie, das kann nicht wahr sein!“
Was war das Problem? Ich war zufällig bei der Familie wegen eines seelsorgerischen Besuchs. Wir trafen den Hausmeister, der mir sagte: „Herr Imam, ich habe das Problem, dass hier in dieser Familie syrischer Herkunft der Energieverbrauch vier- bis fünffach so hoch ist wie bei einem normalen Haushalt, können sie mir helfen?“ Als ausgebildete Imame haben wir dann bei einer Freitagspredigt über das Thema Verschwendung gesprochen. Im Koran steht der Satz, dass Allah diejenigen nicht liebt, die verschwenden.
Wir haben über den Rohstoff Wasser gesprochen und die Heizkosten. Dann haben wir ein Projekt über die Stadt Weiden begonnen, damit die syrischen Frauen, wenn sie ihre eingefrorenen Lebensmittel aus dem Gefrierschrank rausnehmen, diese nicht eine Viertelstunde unter das laufende Wasser halten. Und tatsächlich haben sich im nächsten Jahr die Wasser- und Energiekosten wieder halbiert und nach zwei Jahren waren sie komplett normal.
Ich habe auch einen Fall in Weiden, wo eine Frau, die vier oder fünf Kinder hat, bei der Eheschließung unter 18 Jahre alt war. Dann ist diese Ehe hier in Deutschland automatisch ungültig. Deshalb wollte sich nochmal hier heiraten und hat versucht, sich beim Standesbeamten auszuweisen. Sie zeigt ihm eine Aufenthaltsgenehmigung, der Beamte sagt: „Das ist kein Ausweis, das ist eine Aufenthaltsgenehmigung, ich brauche einen Ausweis.“
Die Frau zeigt ihm einen syrischen Pass, und er sagt: „Der ist ungültig, weil er nicht unterschrieben ist – Sie müssen erst nach Berlin in die syrische Botschaft.“ Bis zum heutigen Tag wird zum Beispiel in Afghanistan der Reiserpass handschriftlich geschrieben, das ist in Deutschland und Europa undenkbar, aber in Pakistan und mehreren anderen Ländern weit verbreitet.
Wir können nicht unsere Maßstäbe von der ganzen Welt erwarten. Maher Khedr

Du kennst von deinen Auslandsaufenthalten bei „German Doctors“ die Situation in Ländern, die unsere Probleme hier in Deutschland als Luxus betrachten würden. Inwieweit glaubst du daran, dass sich Fluchtursachen vor Ort bekämpfen lassen, Doro?
Dorothea Woiczechowski-Fried: Man sagt, unser Wohlstand sei durch unsere derzeitige wirtschaftliche Lage bedroht. Ja, es gibt nicht unerhebliche Armut in diesem Land. Ich war 8 Jahre immer wieder in sogenannten Entwicklungsländern für „German Doctors“ tätig. Wenn man in einem Slum bei Nairobi oder auf den Philippinen die indigene Bevölkerung behandelt, dann sieht man wirklich existenzielle Armut. Ich möchte einige Beispiele nennen. Es gibt nur einmal am Tag eine Mahlzeit, Kinder sind durch Eiweißmangel fehlernährt, mit dürren Gliedern und dicken Bäuchen.
Beim Besuch einer Pizzeria in Nairobi sahen wir, wie sich junge Leute offensichtlich aus wohlhabenden Familien Pizza bestellten. Als sie vom Tisch aufstanden, war mehr übrig als sie verzehrt hatten. Wir schauten uns an und meinten: Die Menge an Resten wäre ein Festessen für unsere Patienten im Slum gewesen. Ich werde nie vergessen, wie ein größerer Junge versuchte, von einer leeren Tonne, welche zuvor mit Babybrei gefüllt war, die übergelaufenen, angetrockneten Reste an der Außenseite für sich abzukratzen.
Und dann war da noch eine Mutter von zwei Kindern mit einem Säugling auf dem Arm in meiner Sprechstunde. Es war nicht ihr eigenes Kind, sie fand es im Busch abgelegt von seiner todkranken Mutter, und sie nahm es trotz ihrer Armut als ihr eigenes. So viel zur Vorstellung von Armut. Dorothea Woiczechowski-Fried

Sarah absolvierte ihre Ausbildung zur Krankenschwester in Stuttgart, spricht perfekt Deutsch, das Krankenhaus wollte sie unbedingt weiterbeschäftigen. Dadurch ändert sich Ihr Aufenthaltsstatus, sie braucht eine neue Aufenthaltsgenehmigung. Beim zuständigen Ausländeramt bekommt sie über Monate aber nicht einmal einen Termin – wegen Überlastung der Behörde. Kennen Sie solche Fälle auch bei uns in der Oberpfalz, Herr Würdinger – und wie beseitigen wir diesen Mangel?
Thomas Würdinger: Ja, wir kennen natürlich diese Beispiele. Wenn jemand in einem Drittland ein Visum beantragen und nach Deutschland ausreisen möchte, dann wartet er da an der Botschaft in der Regel zwischen 6 und 9 Monaten. Wenn er Glück hat, wird er vielleicht im Zuge der Westbalkanregelung ausgelost, wenn ein Slot offen ist von 5 Minuten, wo man sich mal einen Termin geben lassen kann. Ansonsten 6 bis 9 Monate.
Wir sehen insbesondere im Bereich der Geflüchteten, dass wir es nicht wirklich gut machen. Die Menschen werden an der Grenze abgegriffen, kommen ins Ankerzentrum nach Regensburg, verbleiben da eine gewisse Zeit, werden dann auf die Kommunen verteilt in die Unterkünfte und da dauert die Beantragung des Asylantrags Monate.
Selbst wenn der Bescheid positiv ist, wartet man auf den Integrationskurs – wir waren beim Thema Sprache und Integration in die Gesellschaft. Thomas Würdinger
Noch mal Monate dauert es bis zum Integrationskurs, je nachdem, ob es ein Alphabetisierungskurs ist oder ein normaler Sprachenintegrationskurs – zwischen 9 und 12 Monate. Das heißt, wir parken die Menschen schon mal mindestens zwei, zweieinhalb, auch mal drei Jahre. Dass dann solche Situationen entstehen, dass sich die jungen Menschen auf der Straße treffen, um ihre Zeit totzuschlagen, das ist so. Das meinte ich anfangs, wenn ich sage, wir hätten so viele Möglichkeiten, wie wir es besser machen können. Und wir haben es eigentlich auf dem Papier, wie wir es besser machen können, wir bringen es nur nicht auf die Straße.
Weil jeder in der Verwaltung Tätige auf sein Ding guckt, bevor wir uns gemeinsam vernetzen und drüber nachdenken, wie können wir es denn gemeinsam besser machen und mal über den Schatten springen und das Ganze sauber abarbeiten. Thomas Würdinger
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1 Kommentare
Was mir bei diesem Artikel aufgefallen ist: man spricht von Integration und Fachkräftemangel und meint, dass Probleme mit mehr Unterstützung und Zuwendung besser in den Griff bekommen werden könnten. Und…es wurde nicht unterschieden, zwischen anerkannten und abgelehnten Asylbewerbern. Bei dem jungen Mann, der bereits einen Job und eine Wohnung hatte, seinen Pass aber auf der Flucht weggeworfen hatte, handelt es sich vermutlich um einen abgelehnten Asylbewerber oder jemanden mit ungeklärter Identität, der nicht hilft, diese zweifelsfrei festzustellen. Vermutlich hat er kaum Aussichten auf ein Bleiberecht. Da ist es ganz richtig, dass solche Personen zurück ins Ankerzentrum müssen und ihnen die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Auch die Bemerkung, Asylbewerber würden, entgegen der häufig ausgerückten Meinung, anderen keine Wohnungen wegnehmen, stimmt so nicht! Wenn 20 Wohnungen zur Vergabe oder Vermietung stehen und 5 von diesen an Asylbewerber vergeben werden, stehen den anderen schlicht und einfach 5 Wohnung weniger zur Verfügung. Wir sprechen hier über bezahlbaren Wohnraum, auf den junge deutsche Familien und auch Menschen aus dem Ausland, die mit einem Arbeitsvisum eingereist sind, angewiesen sind. Wenn man dazu noch weiß, dass ein recht hoher Prozentsatz der Asylbewerber keine Bleibeperspektive haben, weil sie abglehnt wurden, aber nicht abgeschoben werden können, sieht die Sache schon anders aus. Dieser Umstand wird komplett ignoriert. Ignoriert wird auch, dass weniger als die Hälfte der Asylbewerber eine, meist zeitlich befristete, Aufenthaltsgenehmigung erhalten, die nicht zu einem Daueraufenthalt oder Einwanderung führt und führen soll. Bei fast 3 Mio Arbeitslosen allein in Deutschland ist eine Rede von Kräftemangel für einfache Tätigkeiten Hohn. Diese brauchen nicht von abgelehnten Asylbewerbern ausgeführt werden und ihnen damit eine Bleibemöglichkeit schaffen, sondern sollten von anerkannten Bewerbern und deutschen Arbeitslosen übernommen werden…..