Motivationsschub aus Unterhachings Kabine: SpVgg feiert Halbzeitführung zu laut, SSV Jahn dreht das Spiel

Unterhaching. Die erste Halbzeit begann wie so viele in den vergangenen Wochen: Nichts zu sehen vom Spitzenreiter SSV Jahn. Die SpVgg ist präsenter, geht verdient in Führung. Dann entfachen die Gastgeber ungewollt Regensburgs Ehrgeiz mit Kabinen-Geschrei in der Halbzeitpause.

Jahns Top-Keeper Felix Gebhardt und Kollegen verabschieden sich als Herbst- und Wintermeister von 1500 Regensburger Fans im Unterhachinger Sportpark. Foto: jrh

Gegnerische Fans reagierten zuletzt regelrecht allergisch auf das Spielglück von Tabellenführer SSV Jahn: „Regensburg mit Glück von zwei Saisons“, schreibt Saarbrücken-Fan Heinz Wittmer nach dem Samstag-Spiel auf Facebook. Und Jonas Scheller ergänzt: „So viel Pech in einem Spiel hab‘ ich selten gesehen – zweimal Innenpfosten und sonstige normal 100-Prozentige, unfassbar!“

In der ersten Halbzeit scheint es im Hachinger Sportpark weiter so zu laufen, wie zuletzt seit dem tragischen Tod von Agy Diawusie. Die Ergebnisse haben zwar nach wie vor gestimmt, die Siege aber waren allesamt glücklich bis beschämend ungerecht – und die beiden Remis zuletzt schienen den Abwärtstrend zu bestätigen.

Die stark ersatzgeschwächte SpVgg Unterhaching dagegen, die notgedrungen mit einem Talentschuppen im Sportpark aufläuft, spielt frisch, frech und forsch nach vorne. Für die gesperrten Routiniers Manuel Stiefler und Nils Ortel stehen Debütant Tim Hoops, der als Fünfjähriger zur SpVgg kam, und Ben Westermeier in der Startelf. Dass auch Hachings Sturmspitze Mathias Fetsch erkrankt ausfällt, kann Maurice Krattenmacher neben Patrick Hobsch zunächst spielend kompensieren.

So gut ist sie nicht, die beste Defensive

Die schon zu oft als beste Defensive der Liga gerühmte Regensburger Abwehr kommt nach einigen Minuten halbgaren Pressings wieder sehr bald ins Schwimmen. Tobias Eisenhuth für den erkrankten Rasim Bulic und Bryan Hein für Oscar Schönfelder können erst einmal nur wenig Impulse setzen – auch wenn Christian Viet nach Flanke von Konrad Faber mit einem Kopfball aus fünf Metern in die Arme von Keeper René Vollath die erste klare Torchance für Regensburg vergibt (5.). Das war’s dann aber auch erstmal mit Sturm und Drang.

Auf der anderen Seite kombinieren sich die Münchener Vorstädter immer öfter in den Regensburger Strafraum oder hebeln die Oberpfälzer Abwehr wie schon im Hinspiel mit langen Torwartbällen auf die Spitze (fast) aus. Der junge Krattenmacher reagiert halbrechts kurz vorm Fünfer am schnellsten, Keeper Felix Gebhardt rettet zur ersten von zahllosen Ecken (7.) – auch dessen Distanzschuss lenkt er um den Pfosten (10.).

Unterhachings Ersatz-Kapitän Markus Schwabl macht nach dem Führungstreffer gegen den SSV Jahn ein Fass auf. Foto: jrh

Flatterball zur Führung

Es hat sich angedeutet: Markus Schwabls seltsamer Flatterball aus 20 Metern dreht sich nach außen, Gebhardt ist mit den Fingerspitzen dran, lenkt die Kugel an den Innenpfosten – von seinem Rücken springt das Spielgerät zum allerdings verdienten 1:0 über die Linie (23.). Fast hätte Viet danach die Hachinger Feierlaune abrupt beendet: Seine freche Bogenlampe vom Anstoßpunkt senkt sich auf die Latte, Vollath wäre zu spät gekommen (24.).

Der Jahn ist jetzt etwas besser im Spiel, ohne zu überzeugen – zu viele zweite Bälle gehen sofort wieder zurück zum Gegner, lange Pässe landen meist im Niemandsland. Ein Distanzschuss von Eisenhuth ist noch am nächsten dran an der Kategorie Torchance (32.). Stattdessen scheitert erneut Krattenmacher, nachdem er Ballas vernascht hat, aus spitzem Winkel an Gebhardt (44.).

Motivation aus der gegnerischen Kabine: Hachings Ersatzkapitän Markus Schwabl ärgert sich famos über das gedrehte Spiel, Jahn-Kapitän Andi Geipl bleibt gelassen. Foto: jrh

Die Wende der dünnen Wände

Ob die dünnen Kabinenwände des Sportparks, Joe Enochs ungewohnter Dreifach-Wechsel schon nach der Pause oder sein intensives Einreden auf die Spieler vor dem Wiederanpfiff den Ausschlag geben? Wir wissen es nicht. Der Jahn-Trainer jedenfalls ist überzeugt: „Ich bin ganz ehrlich, die Motivation kam aus der gegnerischen Kabine.“ Dass die drüben geschrien hätten: „Wir haben die aufgefressen“, habe die Mannschaft registriert. „Diese Extra-Motivation war wichtig.“

Enochs schickt Robin Ziegele, Niclas Anspach und Elias Huth für Hein, Ballas und Eisenhuth aufs matte Grün und stellt auf ein ungewohntes 4-4-2 um. Die Medizin beginnt zu wirken, die Mannschaft ist jetzt wach, präsent in den Zweikämpfen. Fabers klasse Flügellauf über rechts setzt Noah Ganaus noch knapp rechts neben den Pfosten (51.).

In Dortmund will Jahn-Trainer Joe Enochs eine andere Offensive erleben als gegen Verl. Foto: jrh

Harakiri: Schifferls langes Bein

Dann bringt sich Haching selbst in Kalamitäten: Simon Skarlatidis versucht mit einem Solo in Richtung eigenem Strafraum den Regensburger Angriff zu unterbinden und stolpert dabei über Raphael Schifferls langes Bein – was zunächst wie ein Foul aussieht, entpuppt sich als Hachinger Befreiungsschlag für Regensburgs Ganaus, der freie Bahn hat und überlegt aus acht Metern an Keeper René Vollath vorbei rechts unten einnetzt, 1:1 (56.).

Unterhaching zeigt jetzt Nerven: Erst bringt Schwabl mit einem Rückpass Vollath in Bedrängnis. Benedikt Sallers scharfe Flanke boxt Vollath dann Schifferl an den Hinterkopf – die Kugel trudelt am Tor vorbei (58.). Schließlich kann Westermeier den immer stärker aufspielenden Kother auf links nicht verteidigen, Joker Huth verwandelt per Drehschuss trotz dreier Verteidiger vor sich zum 2:1 ins linke untere Eck, 1:2 (62.).

Jahn-Trainer Joe Enochs im Motivationskreisel. Foto: jrh

Noahs vergebene Vollendung

Das konnte man befürchten: Wieder einmal nutzen die Regensburger die Führung zum geordneten Rückzug. Gegen Köln und in Saarbrücken, wo in letzter Minute der Ausgleich fiel, kein gutes Rezept. Immerhin setzt der Tabellenführer zunächst auf Umschaltmomente: Nach einem weiteren Bock von Schifferl startet Ganaus alleine auf Vollath zu, kann sich alle vier Ecken aussuchen und lupft die Kugel unbedrängt in dessen Handschuhe (67.).

So müssen die 1500 toujours feiernden Regensburger Schlachtenbummler weiter zittern. Ganaus blockt den Schuss von Dennis Waidner aus kurzer Distanz (81.), umgekehrt endet das Marathon-Solo Fabers mit einem unmöglichen Schussversuch von fast der Grundlinie – da wäre die Hereingabe zielführender gewesen (89.). Die wacklige fünfminütige Nachspielzeit übersteht der Jahn dann auch noch ohne Blessuren – und verabschiedet sich ausgiebig als Herbst- und Wintermeister von seinen Fans.

Unterhachings Debütant Tim Hoops, der als Fünfjähriger zur SpVgg kam. Foto: jrh

Stimmen zum Spiel

SpVgg-Coach Marc Unterberger: „Dass wir das Spiel verlieren, ist das eine, die Art und Weise das andere. Ich bin sehr, sehr zufrieden.“ Auch mit der zweiten Hälfte? „Ja mei, dass Regensburg nicht aus der Kabine kommt und sagt, ,nehmt die Punkte, frohe Weihnachten‘, das ist auch klar – die waren dann aktiver, wir haben uns in zwanzig Minuten die Butter vom Brot nehmen lassen.“ Hinten raus sei man dann wieder aktiver geworden, hatte noch eine Torchance von Dennis Weidner.

Unterberger lobt die Unterhachinger Nachwuchsförderung überschwänglich: „Natürlich tut das weh, aber schau‘n Sie mal, bei uns haben acht Spieler gefehlt und das NLZ hat alles aufgefüllt.“ Er wechselt mit Tim Hannemann einen 17-Jährigen ein: „Soll ich mich hier hinstellen und sagen ich bin enttäuscht?“ Nein, er sei vielmehr stolz auf den Verein und stolz auf die Mannschaft.

„Uns ist immer angedichtet worden, dass wir noch einmal oben ranschnuppern wollen“, sagt Unterberger zu unmoralischen Ambitionen, „wenn du das willst, darfst du solche Fehler nicht machen – das hat Regensburg eiskalt bestraft.“ Er habe jetzt 19 Spiele seiner Mannschaft gesehen: „Wir haben einen Riesenschritt gemacht, auch fußballerisch, wir sind punktemäßig absolut im Soll, das hätten uns wenige Leute zugetraut.“

Mit diesem kleinen Etat würden sich diese 28 Punkte wie 56 anfühlen: „Deshalb Hut ab, an alle Beteiligten, ans Präsidium, an alle, die den Weg mitgehen, an unsere Mannschaft, an die erfahrenen Spieler, die so viel Verständnis für junge Spieler haben, die manchmal auch Fehler machen.“

Wie hat sich das Profidebüt für Tim Hoops angefühlt? „Im Verlauf des Tages war die Nervosität größer als bei Spielbeginn. Im Training habe ich erfahren, dass ich spielen darf, da ging der Puls dann schon erstmal hoch, aber zum Spiel hin wurde es besser.“ Zum einen schön, dass er randurfte bei seinem Heimatverein, aber schade, dass man das Spiel verloren habe.

„Mit der 1:0-Führung das noch so aus der Hand zu geben, ist bitter.“ In der ersten Halbzeit sei man noch besser die Intensität mitgegangen und habe auch die Zweikämpfe besser geführt. „Durch die Wechsel hat Regenburg noch mehr Tempo und Qualität auf den Platz gebracht.“ Durch eigene Fehler habe man dann die Tore kassiert und sei in der Offensive nicht mehr so bissig gewesen. „Aber grundsätzlich freue ich mich.“

Matchwinner Elias Huth: „Großartig“, sei das, wieder ein Spiel gedreht zu haben, „das macht uns aus, unsere Charakterstärke, die haben wir gezeigt.“ In der zweiten Halbzeit habe man eine bessere Leistung gezeigt, und deshalb 2:1 gewonnen. „Wir hatten jetzt zwei Unentschieden, wir müssen einfach, wenn wir oben bleiben wollen, gewinnen.“

Die Mannschaften hinter dem Jahn würden das jedenfalls oft genug: „Irgendwer gewinnt immer. Deshalb verringert sich der Vorsprung, wenn du nicht gewinnst. Deshalb tut das mega gut heute.“ Jetzt aber erstmal durchschnaufen: „Wir haben sehr intensive Wochen und Monate gehabt in der letzten Zeit, und deshalb tut es auch mal gut, zwei Wochen abzuschalten.“

Jahn-Trainer Joe Enochs: „Es waren zwei verschiedene Halbzeiten heute“, beschreibt er den Spielverlauf. „Eine unterlegene erste Halbzeit, wo Unterhaching verdient in Führung gegangen ist. In der zweiten Halbzeit haben wir unser wahres Gesicht gezeigt, haben sehr viel Druck, zwei Tore gemacht.“ Es sei eine intensive, lange Hinrunde gewesen: „Jetzt ein bisschen durchpusten, so dass wir uns am 3. Januar wieder treffen und richtig Gas geben können.“

Nach der überschaubaren ersten Hälfte habe er mit den drei Wechseln „neue Impulse“ setzen wollen. Außerdem: „Wir haben gesehen, dass Balla Gelb belastet war und wollten da kein Risiko eingehen.“ Er wollte etwa mit Elias Huth, der am Samstag gegen Saarbrücken nicht eingewechselt worden sei, topmotivierte Jungs bringen. „Wir wissen halt, wie wichtig er ist für uns.“ Mit Eric Hottmann fehlt ein Stürmer langfristig, deshalb sei es umso wichtiger, dass die anderen da sind: „Ich kann nur betonen, Elias hat nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, dass er nicht eingewechselt wurde und hat seine Chance genutzt – super, das ist Mannschaft für mich.“

Den wichtigsten Energieschub aber habe die Hachinger Kabine der Jahn-Elf verpasst: „Ich bin ganz ehrlich, die Motivation kam aus der gegnerischen Kabine.“ Dass die drüben geschrien hätten: „Wir haben die aufgefressen“, habe die Mannschaft registriert. „Diese Extra-Motivation war wichtig.“ Ein kapitaler Bock der Hachinger führt schnell zum Ausgleich: „Aber wir waren da, in der ersten Halbzeit hätten wir diesen Ball nicht attackieren können, weil wir so weit auseinander waren.“ Dadurch, dass Elias und Noah gut gegen den Ball gearbeitet hätten, ergäben sich solche Fehler. „Und Noah schließt richtig gut ab.“

Von der immer höheren Wahrscheinlichkeit eines Wiederaufstiegs nach 45 Punkten vor der Winterpause will der Chefcoach nichts wissen: „Wir wissen, wie die Siege zustande gekommen sind, dass es sehr enge Spiele sind.“ In der ersten Halbzeit hätte Unterhaching 2:0 führen können: „Dann wird es richtig schwierig zurückzukommen.“ Die überragende Siegesserie sei eine schöne Geschichte: „Aber wir wissen, dass wir in jedem Spiel an unsere Leistungsgrenze gehen müssen, wenn wir gewinnen wollen. Und wir unterschätzen keinen Gegner, das hat man heute gesehen.“

Apropos Geschichte; Enochs sei so froh, dass man ihm nach der überraschenden Entlassung in Zwickau nach 4 Punkten aus zwei Spielen in Regensburg zugetraut habe, eine Mannschaft zu formen: „Natürlich war meine erste Aufgabe, die Klasse zu halten – das habe ich nicht geschafft.“ Jetzt aber habe man gemeinsam eine Mannschaft zusammengestellt, mit der er jeden Tag sehr, sehr gerne arbeite: „Das sind einfach coole Jungs.“ Auch in schwierigen Phasen: „Die Jungs halten zusammen, das ist eine große Stärke.“

Zum Fest düst Enochs jetzt in die kalifornische Heimat: „18 Grad“, sagt er lachend und reibt sich die Hände, „wenn ich ankomme.“ Gefeiert werde wie immer bei seiner Schwester: „Wir sind vier Kinder mit meiner Mutter, wir freuen uns sehr, dass wir die Tage zusammenfeiern zu können.“ Aber genauso freue er sich, wieder zurückzukommen und ab dem 3. Januar wieder richtig Gas zu geben.

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