Mutter quält Kind über Jahre: “Ich hasse dich, oh, wie ich dich hasse”

Weiden. Das Amtsgericht Weiden verurteilte am Donnerstag eine Mutter (50) wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Sie hatte ihren Sohn (zur Tatzeit 4 bis 6 Jahre alt) über Jahre gequält.

Um eine unbeschwerte Kindheit betrogen: Das Amtsgericht Weiden verhandelte am Donnerstag die Misshandlung eines kleinen Jungen durch seine Mutter. Foto: Christine Ascherl

Die geschiedene Frau war mit dem Kleinkind im April 2022 aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Der Bub ist ein Nachzügler aus einer kurzen Beziehung. Zunächst lebte die Ukrainerin allein mit dem Vierjährigen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Weiden. Als sie einen Aushilfsjob fand, reiste im Dezember 2022 ihre 74-jährige Mutter an. Sie zog ein, um ihr zu helfen. Stattdessen kam es zur Eskalation.

Über drei Stunden hört das Schöffengericht mit Richter Hans-Jürgen Schnappauf dutzende Sprachaufnahmen plus ihre Übersetzung. Die Audios geben wieder, was sich in der Wohnung abgespielt hat, heimlich aufgenommen von der Oma. Diese ist Russin, ihre Tochter Ukrainerin. “Der Krieg hat sich in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Weiden verlagert”, sagt Verteidigerin Dr. Simone Bayer.

Erschreckende Sprache

Die Zuhörer werden Zeugen eines erschreckenden Alltags für das Kind. Die Mutter bedient sich einer drastischen Sprache. Sie nennt den Buben “Vieh”, “Bastard”, ein “Miststück”, das die Schnauze halten soll. Parallel stößt sie wildeste Drohungen aus. Sie werde ihm “die Finger drehen, bis sie brechen”. Ihm das Spielzeug mit einer Axt zerhacken, ihn in den Keller sperren, am Ende sowieso ins Kinderheim geben.

“Ich hasse dich, oh, wie ich dich hasse.” In den Audioaufnahmen – die teils über drei bis fünf Minuten nonstop gehen – überschlägt sich die tiefe Stimme der korpulenten Frau. Der kleine Junge weint so, dass er fast brechen muss. In den letzten Sprachaufnahmen vom Frühjahr 2023 wendet sich das Blatt. Der inzwischen Sechsjährige fordert von der Oma: “Töte Mama. Bring sie um.”

Jugendamt nimmt Kind in Obhut

Es kommt auch zu körperlichen Misshandlungen. Einmal schreit der Bub, er werde von der Mutter in den Rücken geschlagen. Einmal wird ihm der Arm verdreht. Sie schlägt ihn mit dem Gürtel. Er hat ein blaues Auge und Kratzer. Die Eskalation tritt im Juni 2023 ein, als die Mutter dem Buben ein Kissen aufs Gesicht drückt. Die Großmutter informiert die Polizei. Am Tag darauf nimmt das Jugendamt Weiden das Kind in Obhut.

Seither wächst der inzwischen Achtjährige in einer russischsprachigen Pflegefamilie auf. Seine Pflegemutter berichtet vor Gericht von Alpträumen. Der Junge gerate in Panik, wenn er Frauen sieht, die seiner Mutter ähneln. Er wird psychologisch betreut und entwickle sich im Kreis seiner ukrainischen Pflegegeschwister gut. Die Ziehmutter nennt ihn ein “Engelkind”.

Geständnis verhilft zu Bewährung

Das Schöffengericht verurteilt die Angeklagte am Ende zu 1 Jahr und 8 Monaten Haft, zur Bewährung ausgesetzt. Das Strafmaß orientiert sich am oberen Ende eines “Deals”. Am ersten Prozesstag war es zu einer Verständigung gekommen: Die nicht vorbestrafte Frau war vollumfänglich geständig. Im Gegenzug stellte das Gericht eine bewährungsfähige Strafe in Aussicht.

Staatsanwalt Andreas Falk plädiert auf die maximal vereinbarten 21 Monate: “Man kann von Glück sagen, dass das Kind rechtzeitig herausgenommen wurde.” Der zweite Verteidiger Rouven Colbatz weist auf die Überforderung der Mutter nach ihrer Flucht vor dem Krieg hin: “Ich weiß nicht, was das aus einem macht, wenn die Bomben fliegen. Mir reichen die Bilder in der Tagesschau.”

Pflegeeltern zufrieden mit Weisungen: Kontaktverbot

Auch die Pflegeeltern sind bei der Urteilsverkündung am Donnerstag im Gerichtssaal. Mit der Strafhöhe sind sie nicht zufrieden, wohl aber mit der Urteilsbegründung des Richters und seinen Weisungen. So darf sich die leibliche Mutter dem Kind und seiner Pflegefamilie sowie der Großmutter in keiner Form annähern, sonst geht sie ins Gefängnis.

Die seelische Gesundheit des Kindes sei in “sehr, sehr, sehr übler Form” geschädigt worden, so Richter Schnappauf. Es sei Opfer einer “absolut gestörten, zerstörten Mutter-Kind-Beziehung”. Leider würden die Erfahrungen des Gerichts zeigen, dass derart verletzte Menschen trotz liebevoller Begleitung “ein Leben lang leiden” würden: “Wir wissen zur Genüge von Depressionen, Switch-Back-Fällen, Angststörungen, Schwierigkeiten in Beziehungen.” Bei der Angeklagten vermisse er echte Reue und Einsicht. Ihr letztes Wort (“Ich bereue es sehr und werde es nie wieder tun”) nennt der Richter “lapidar”.

Protokoll einer Kindheit (Ausschnitte)

4. November 2022: Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt und hat auf der TV-Fernbedienung etwas verdrückt. Die Mutter schreit auf Russisch: “Eines Tages werde ich dir die Arme brechen. Idiot, Miststück, Vieh. Ich würde am liebsten einen Gürtel nehmen und dich schlagen, bis du blau bist.”

Später am 4. November 2022: “Du hast nur einen Weg, den Weg ins Kinderheim. Scheiße, Vieh, Bastard, Hund. Ich habe seit dem Sommer den Traum, deine Finger zu nehmen und zu drehen bis sie brechen.”

3. Dezember 2022: Die Mutter sagt: “Setz dich an den Tisch und halte die Schnauze.” Das Kind sagt: “Ich brauche so eine Mutter nicht.” Die Oma wirft ein: “Er hat keine Schnauze, sondern ein Gesicht.” Die Mutter antwortet: “Ich möchte in Ruhe fressen, sonst nehme ich den Gürtel.”

Später am 3. Dezember 2022: Mutter: “Bete Gott, dass der Nikolaus nicht vergisst zu dir zu kommen.” Das Kind sagt: “Der Nikolaus kommt sowieso nicht zu mir. Ich bekomme nie etwas, nicht einmal zum Geburtstag.”

21. Dezember 2022: “Wenn du deinen Mund noch einmal aufmachst, schlage ich dir die verdammten Zähne aus.”

5. Januar 2023: “Ich nehme dich und werfe dich gegen die Wand.” Es geht um Zeichentrickfilme.

16. Februar 2023: Das Kind hat nicht aufgeräumt. “Morgen, wenn du wach bist, findest du keine Autos, nichts. Alles, was ich dir geschenkt habe, wird weggeworfen. Ich nehme eine Axt und hacke sie in Stücke.” Das Kind weint.

23. Februar 2023: Der Bub will ins Schwimmbad, wie schon einmal mit seiner Oma. Die Mutter darauf: “Ich werde mein Leben nicht damit verschwenden deine Scheißwünsche zu erfüllen.”

16. März 2023: Das Kind hat sich beim Spazierengehen mit der Oma schmutzig gemacht. Die Mutter: “Deine Hosen schauen aus wie bei einem Obdachlosen.” Das Kind sagt zur Großmutter: “Bring sie um. Umbringen, umbringen.”

22. März 2023: Das Kind hat sich unter dem Bett versteckt. Die Mutter schreit: “Ich werde dich anstelle eines Staubsaugers verwenden, damit du den Staub mit dem Mund sammelst.”

27. Mai 2023: Die Mutter streitet mit der Großmutter über die Haushaltsführung und greift sie dabei körperlich an. Das Kind schreit: “Lass meine liebe Oma in Ruhe.” Die Mutter droht der Großmutter: “Ich möchte dich umbringen, wie im Krieg in der Ukraine auseinanderreißen und deine inneren Organe herausnehmen. In der Ukraine wirst du kriechen und die Straße mit deiner Zunge reinigen.”

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